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# taz.de -- Autorin über modernen Antisemitismus: „Woke? No fucking way!“
> Politisch zu sein ist mehr denn je von Coolness geprägt, sagt die Autorin
> Mirna Funk. Antizionismus habe sich sehr gut eingefügt in den Trend des
> Gerechtigkeitskämpfers.
Bild: Der Queer for Palestine Soli-Block der umstrittenen pro-palästinensische…
taz: Frau Funk, [1][in Ihrem jüngsten „Zeit“-Essay] gingen Sie mit der
jungen antirassistischen, intersektionalen Linken hart ins Gericht. Sie
schrieben: „Für viele Juden und Jüdinnen der jüngeren Generationen, die
leidenschaftlich Seite an Seite mit den woke warriors marschierten und sich
für eine bessere Welt einsetzten, waren diese letzten Wochen krasser, als
einen Eimer Eiswasser über den Kopf geschüttet zu bekommen. Für sie
bedeutete es den Verlust der politischen Heimat.“ Können Sie das erläutern?
Mirna Funk: Ich selbst gehöre nicht [2][zur Generation der Millennials],
also jener, die sich insbesondere in den letzten Jahren stark im
Social-Justice-Bereich engagiert haben. Aber natürlich habe ich auch viel
mit jüngeren Jüdinnen und Juden zu tun. Und dass zum Beispiel in
queerfeministischen Räumen schon seit Jahren Probleme herrschen, wenn da
Jüdinnen und Juden auftauchen, ist bekannt und wird von Jüdinnen und Juden
seit Langem kritisiert.
In den letzten Wochen aber ließ sich die gesamte Problematik noch einmal
besonders deutlich beobachten: In dem Moment, in dem du in diesen Räumen
als Jüdin oder Jude auftrittst, wirst du sofort nach deiner Beziehung zu
Israel gefragt. Und wer sich dann nicht antizionistisch äußert, ist nicht
willkommen. So einfach ist das. [3][Denn die meisten dieser aktivistischen
Räume sind schlichtweg antizionistisch.]
In Ihrem Essay beschreiben Sie auch, wie sehr Antizionismus inzwischen mit
popkultureller Coolness aufgeladen ist. Wie kam es dazu?
Antizionismus hat sich einfach sehr gut eingepasst in den allgemeinen Trend
des woken Gerechtigkeitskämpfers. Früher waren linke Antizionisten vor
allem klassische, und daher nicht besonders coole Linke. Jetzt aber hat
sich das unter anderem durch Black Lives Matter, MeToo oder Fridays for
Future vollständig geändert.
Wenn du heute cool sein willst, musst du politisch engagiert sein und dich
gegen alle Formen von Ungerechtigkeit aussprechen. Das sehen wir unter
anderem auch an Marken. Unpolitisches Social-Media-Geplänkel geht für
Brands nicht mehr. Man muss sich im Social-Justice-Bereich verorten, sonst
können Millennials nicht mehr erreicht werden. Politisch zu sein, ist heute
cool. Das war vor 20 Jahren noch völlig anders.
Eigentlich keine per se schlechte Entwicklung – oder?
Absolut. In den Techno-Neunzigern- und den Sneaker-Nullerjahren war das
überhaupt nicht so. Niemand wollte wählen, weil: Who cares? Doch viele der
politischen Bewegungen sind extrem ideologisch. Auch weil sie auf der
Grundannahme einer binären Welt basieren: Das System unterdrückt uns und
wir sind die Unterdrückten, die den Unterdrückern gegenüberstehen und uns
befreien müssen.
Da ist natürlich schon auch etwas Wahres dran, aber derart einfach
gestrickt ist die Welt dann doch nicht. Es hilft, sie sich zu erklären und
macht vor allem diejenigen, die sich gegen die Unterdrücker auflehnen, zu
besseren Menschen. Darin liegt aber ein Riesenproblem.
Inwiefern?
Alles Schlechte und Böse wird nun externalisiert und auf andere projiziert:
auf das System oder die White Supremacists oder SUV-Fahrer oder Banker. Das
hilft dabei, sich selbst moralisch überlegen zu fühlen. Dabei wird
vergessen, dass wir als Menschen immer zugleich gut und böse sind. Der
Aufschrei war groß, als Hannah Arendt aus Eichmann einen Menschen machte.
Aber das war er nun mal. Ob einem das gefällt oder nicht.
Eichmann war ein Mensch mit guten und ganz besonders schlechten
Eigenschaften. Er selbst inszenierte sich beim Prozess in Jerusalem als
Opfer des Systems. Damit behaupte ich natürlich nicht, die Wokies seien
Eichmann, sondern damit sage ich, es fehlt aktuell an Selbstverantwortung.
Die beginnt aber bei sich selbst und zeigt sich nicht in der Abgrenzung von
den vermeintlich schlechteren Menschen. Moralische Selbstgerechtigkeit ist
weit entfernt davon, gut zu sein. Das haben viele vergessen.
Woher aber kommt die Verknüpfung mit dem Antizionismus, die schematische
Verortung von Israel und den Israelis aufseiten der Oppressors? Eigentlich
wäre Israel doch ein hochinteressanter Ort für intersektional
Interessierte. Denn immerhin leben dort doch zwanzig Prozent arabische
Israelis, zahlreiche äthiopisch-jüdische Israelis oder misrachische
Israelis, die über 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen und deren Vorfahren
aus den arabischen Ländern, der Türkei und dem Iran fliehen mussten oder
von dort vertrieben worden sind …
… weil das keiner weiß. Weil keiner weiß, dass es in Israel schwarze Juden
gibt, und keiner die Geschichte der Misrachim kennt. Oder die der
Sephardim. Jüdinnen und Juden gelten schlicht und einfach als weiß und
werden damit zu Unterdrückern. Was wissen die Leute, die nun auf den
antizionistischen Zug aufspringen, schon über die israelische Gesellschaft?
Sie wissen ja auch nicht, was es bedeutet, Palästinenser zu sein und
gleichzeitig israelischer Staatsbürger.
Sie wissen nicht, wie sehr sich die Lebenswelten von Palästinensern in
Ostjerusalem, Gaza und dem Westjordanland unterscheiden. Oder in Ramallah
oder Hebron. Die Leute wissen nicht, was die Fatah ist. Okay, Hamas, das
haben sie mal gehört. Aber wenn Hamas sich auf die Fahnen schreibt, eine
palästinensische Widerstandsbewegung zu sein, dann kann sie sich damit
extrem gut verkaufen – denn Widerstand ist eben sexy und cool im Moment.
Das alles wäre eigentlich einfach zu recherchieren.
Natürlich, aber man will es einfach nicht. [4][Weil man selbst – ohne es zu
wissen – antisemitisch ist]. Und das habe ich versucht mit meinem Essay zu
erklären: Der Antisemitismus ist schlicht und einfach internalisiert – von
allen meinen drei Kunstfiguren. Von Paula, die ein Problem mit der
Klimaerwärmung hat und ihren internalisierten Rassismus jeden Morgen durch
das Hören von Podcasts bekämpft; von Farid, der sich in der Migrantifa
engagiert und gegen Antideutsche wettert; sowie von Tara, die eine schwarze
Mutter und einen weißen Vater hat und in einem Reihenhaus im Odenwald
aufgewachsen ist und seit George Floyds Tod nicht mehr ohne ihr
Malcolm-X-T-Shirt das Haus verlässt.
Sie alle haben den Blueprint eines Juden im Kopf, der jetzt auf Israelis
projiziert wird, völlig egal, ob das auf allen möglichen Ebenen hinten und
vorne nicht passt. Die Realität vor Ort im Nahen Osten interessiert doch
niemanden wirklich. Die Ereignisse dort fallen nur auf sehr fruchtbaren
Boden – auf einen über 2.000 Jahre alten antisemitischen Boden. Anstatt
sich zu informieren, will man den eigenen internalisierten Antisemitismus
ausleben – getriggert von den Ereignissen in Nahost.
Wie haben Sie die Ereignisse und Entwicklungen aus den letzten Wochen im
Vergleich zu 2014 erlebt?
Nach jahrelanger bezahlter und unbezahlter Bildungsarbeit bin ich nun
realistischer geworden. Wie viele andere hatte ich in den Maiwochen das
Gefühl, dass das, was wir machen, Sisyphusarbeit ist. Wir machen und machen
ohne Ende – und letztlich gibt es so viele und so massive Enttäuschungen,
auch bei Leuten, die ich eigentlich anders eingeschätzt hatte. Anders als
2014 war ich im Mai aber nicht in Tel Aviv, wo ich über drei Monate hinweg
den Raketenalarm, den Raketenhagel und das damals schon online
stattfindende antisemitische Aufbegehren erlebte.
Mit dem ganzen Antisemitismus und Antizionismus musste ich mich damals im
Alltag nicht wirklich auseinandersetzen, allenfalls online. Ich fühlte mich
damals vor Ort, in Tel Aviv, sogar sicherer als in den Maiwochen hier in
Deutschland. Denn dieses Mal habe ich eine Erfahrung gemacht, die ich noch
nicht kannte: Angst zu haben, das Haus zu verlassen und mir von fremden
Leuten auf der Straße dummes Zeug zu Israel anhören zu müssen.
Als öffentliche Person, die sich gegen Antisemitismus klar positioniert,
stehe ich noch mehr im Fadenkreuz als im Sommer 2014. Das führte auch dazu,
dass ich Hunderte Nachrichten auf Instagram bekam, in denen ich beschimpft
oder mir gedroht wurde.
2014 sind Sie als Reaktion auf die antisemitischen Ausschreitungen nach
Israel ausgewandert. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den
Erfahrungen der letzten Wochen?
Ich finde es berührend, wie junge Menschen kämpfen. Auf Miriam Yosef und
Ina Holev von der großartigen Bildungsinitiative Jüdisch & Intersektional
bin ich zum Beispiel total stolz. Mir fehlt es mittlerweile völlig an
Idealismus. Ich glaube, dass der Kampf nicht zu gewinnen ist. Dafür bin ich
pragmatischer, habe realistischere Erwartungen an meine eigene Arbeit.
Allerdings bin ich eines nicht mehr, obwohl ich das vor drei Jahren noch
war: links. Eine Liberalistin? Ja! Aber woke? No fucking way!
13 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2021/24/antisemitismus-israel-judentum-antizionismus-so…
[2] /Millennials/!t5590881
[3] /Antisemitische-Vorfaelle-in-Deutschland/!5779017
[4] /Kulturschaffende-ueber-Antisemitismus/!5779515
## AUTOREN
Till Schmidt
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