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# taz.de -- Geflüchtete in der Pandemie: Einen Fuß in der Tür
> Viele von uns Geflüchteten haben Corona härter erlebt als
> Durchschnittsdeutsche. Es fehlt uns an Austausch, Deutschkenntnissen und
> an Sicherheiten.
Bild: Ein Geflüchteter engagiert sich ehrenamtlich – doch auch das ist durch…
Covid-19 und Coronakrise: Zwei Worte, die auch meine Welt verändert haben.
Die Monate waren lang und wir haben sie alle unterschiedlich und doch
gemeinsam durchlebt: Mit Corona, Ausgangssperren, mit stündlichen Updates
zu den Inzidenzzahlen, mit Angst, Unsicherheit, Maskenaffären, aber auch
mit Nachbarschaftshilfen und vielen engagierten, hilfsbereiten Menschen.
Ich habe das Gefühl, dass ich persönlich die Covid-19-Pandemie bis jetzt
wie viele andere „normale“ Hamburger:innen erlebt habe. Vielleicht weil
ich zu den „Elite-Flüchtlingen“ gehöre, wie eine Bekannte mal zu mir gesa…
hat. Auch wenn es in den deutschsprachigen Medien nicht immer bemerkbar
ist, sind die Geflüchteten keine einheitliche Gruppe, sondern untereinander
geteilt.
## Prekäre Jobs gehen schnell verloren
Anders als viele in meinem Umfeld konnte ich im März 2020, als der erste
„Lockdown“ kam, meine Arbeit behalten und auch in meiner Wohnung im
Homeoffice arbeiten. Aber viele Freunde, Bekannte und
Social-Media-Kontakte, die auch als Geflüchtete nach Deutschland gekommen
sind, haben eine sehr andere Pandemie erlebt.
Erstens, weil [1][viele ihre Jobs verloren] haben und nicht wussten, ob
oder wann sie überhaupt noch mal arbeiten können. Für viele war das eine
persönliche Enttäuschung, da sie nicht zurück in die Arbeitslosigkeit und
damit zurück zum Jobcenter wollten – aber sie hatten keine andere Chance.
Viele arbeiten als Verkäufer:innen, als Reinigungskräfte, Kellner:innen,
Fahrer:innen oder in anderen sogenannten prekären Jobs. Das ist nicht
immer frei gewählt. Manche können ihre Ausbildung oder ihr Studium nicht
(mehr) nachweisen oder mussten sie wegen ihrer Flucht unterbrechen.
Was ich persönlich erzählt bekomme, stimmt mit einer Befragung des
[2][Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg]
überein. Das IAB erklärt, dass ab März 2020 Geflüchtete häufiger entlassen
wurden und dass im zweiten Quartal 2020 die Arbeitslosenquote unter
Geflüchteten acht Prozent höher lag als in 2019. Die Quote bei Deutschen
ohne Flucht- oder Migrationsgeschichte stieg im Vergleich um ein Prozent.
Andere Menschen aus meinem Umfeld stellte hingegen das Online-Lernen vor
ganz neue Herausforderungen. Wie sollen die Kinder lernen, wenn es für die
[3][ganze Familie nur einen Laptop] gibt? Oder wenn es gar keinen Laptop
oder Drucker gibt? Oder wenn es in den Hamburger Unterkünften kein Wlan
gibt? Manche Eltern können ihren Kindern zudem nicht dabei helfen, die Welt
des digitalen Lernens zu entdecken, da ihnen die Sprache oder das
technische Wissen fehlen.
## Es fehlte an Infos auf anderen Sprachen
Wer nur mit viel Mühe auf Deutsch lesen kann, der:die wird wahrscheinlich
nicht oft oder nicht gern deutschsprachige Medien konsumieren. In den
sozialen Medien gibt es viele Seiten, die die Nachrichten aus Deutschland
und Europa in viele unterschiedliche Sprachen übersetzen, aber nicht alle
diese Seiten arbeiten nach journalistischen Standards. Das ist vor allem
ein großes Problem geworden, als Geflüchtete und migrantische Communitys
Informationen zu Covid-19 brauchten.
Viele Menschen (egal, ob hier geboren oder nicht) wurden in den letzten
Monaten Opfer von Fake News und Angstmacherei. Viele in meinem Umfeld
bekommen aber 100 Prozent ihrer Informationen aus den sozialen Medien und
sind so mit Faktenchecks schwieriger zu erreichen.
Natürlich haben Behörden und Ministerien irgendwann reagiert und ihre
Corona-Informationen übersetzt – aber diese Infos auf ihren Websites haben
es selten zu Facebook geschafft. Ich frage mich deshalb, ob das Übersetzen
reicht, um gegen Fake News und Verschwörungen anzukämpfen.
## Orten zum Lernen und Austauschen sind Mangelware
Die Pandemie hat viele unterschiedliche Folgen für das große Ziel der
Integration. Seit sechs Jahren höre ich, dass ich erst richtig integriert
bin, wenn ich bei „Sprache, Arbeit, eigener Wohnung“ die volle Punktzahl
habe. Aber was machen wir Geflüchteten, wenn die Sprachschulen geschlossen
sind, Kontaktbeschränkungen beachtet werden müssen und Begegnungsorte
geschlossen sind? Wie können wir die Integrationserwartungen erfüllen, wenn
es keine Orte zum Lernen und Austauschen gibt?
Ich weiß, dass die letzten Monate mit der Covid-19-Pandemie viele Menschen
in unserer Gesellschaft sehr hart getroffen haben. Menschen mit
Fluchtgeschichte wurden auf eine besondere Art getroffen, weil viele von
ihnen noch nicht die Chance oder Zeit hatten, um sich ein stabiles
Fundament in ihrer neuen Heimat Hamburg aufzubauen.
Wer am Anfang der Pandemie weniger Kenntnisse, Geld, hilfreiche Netzwerke
oder soziale Kontakte hatte, der:die wird es noch schwerer haben, wenn
alles wieder „normal“ wird. Das ist auch für Menschen ohne Fluchtgeschichte
wahr. Aber wer erst fünf oder sechs Jahre in Hamburg lebt, wer viel
zurücklassen musste, der:die hat meiner Erfahrung nach heute mehr Sorgen
als Hoffnung für die Zukunft.
## Werden wir für die Krise verantwortlich gemacht?
Viele Refugees und Ex-Refugees (wie mich ein Kollege der taz mal genannt
hat) haben Angst, weil sie wissen, dass ihr Aufenthalt in Hamburg und
Deutschland von anderen abhängig ist. Viele fragen sich: Wenn nach der
Coronazeit eine wirtschaftliche Krise kommt, werde ich dann noch einen Job
finden? Wenn ich keinen Job habe und vom Jobcenter lebe, werde ich für die
Krise verantwortlich gemacht? Darf ich überhaupt hier bleiben?
Je schlimmer die Pandemie wird, desto größer ist die Sorge, dass (unter
anderem) Geflüchtete als günstige politische Ablenkung benutzt werden
könnten. Vor allem in syrischen Communitys sind Sorgen um Abschiebungen
besonders stark geworden, nachdem uns die Nachrichten aus Dänemark erreicht
haben. Dort setzt die (sozialdemokratische!) Regierung zurzeit [4][eine
harte Abschiebungspolitik gegen Syrer:innen] um.
Angst und Sorgen begleiten die meisten Refugees aber ständig. Wir haben
Angst um unsere Familien, die noch in Damaskus, Kabul, Asmara oder Teheran
leben. Angst, dass sich dort Covid-19 ausbreitet und die Menschen sterben,
aber niemand sagen will (oder darf) warum. Eine Freundin hat mir vor Kurzem
gesagt, dass die Facebook-Profile von ihren syrischen Kontakten wie
Friedhöfe seien. Auch ich finde auf Facebook jeden Tag neue Traueranzeigen
aus der alten Heimat.
Wer schon mal den Tod einer geliebten Person erleben musste, weiß
vielleicht, wie viel Trauer und Leid, aber auch wie viel Zusammenhalt dies
auslöst. Wer im Exil lebt, kann diesen Prozess nicht miterleben. Er:sie
versucht die Trauer und das Gefühl des Zusammentrauerns online zu ersetzen.
Ein syrischer Freund sagte letzten Winter zu mir, Integration bedeute für
ihn, keine Angst mehr zu haben, im Exil zu sterben. Aber genau deswegen
könne er sich hier nicht ganz integrieren, weil er sich noch immer davor
fürchte.
Am Ende haben wir alle als Menschen die Pandemie erleben müssen und sie hat
uns verändert. Aber wie wir mit diesen Veränderungen weiterleben müssen,
ist nicht gleich, und die Pandemie ist nicht fair.
Mehr zu angekommenen Geflüchteten lesen Sie im Themenschwerpunkt der
Nordausgabe in der gedruckten taz am Wochenende oder [5][hier]
17 Jul 2021
## LINKS
[1] /Prekaer-Beschaeftigte-in-Coronazeiten/!5680834
[2] https://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb0921…
[3] /Gefluechtete-in-der-Pandemie/!5769442
[4] /Gesetzentwurf-in-Daenemark/!5755039
[5] /!114771/
## AUTOREN
Hussam Al Zaher
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