| # taz.de -- Covid-19-Pandemie in den USA: Aussicht auf Leben | |
| > New York war ein Epizentrum der Pandemie. Langsam kehren die Menschen | |
| > zurück. Doch Corona wird die Stadt dauerhaft verändern. | |
| Bild: Die Altenpflegerin Nissi ist geimpft und will unbedingt wieder ins Kino | |
| Die Pandemie? „Ich denke nicht mehr daran.“ Nissi wirft ihr hüftlanges | |
| rotes Haar in den Nacken und sucht die Pose für das nächste Selfie. 100 | |
| Stockwerke unter ihr liegt Manhattan. Direkt neben ihr, aber außerhalb des | |
| Bild-Rahmens, stehen ihre Schwester und ihr Boy-Friend. Weit hinter ihr | |
| liegt die Zeit vor der Impfung, „als ich noch Maske trug“. | |
| Die junge Krankenpflegerin war in den zurückliegenden Monaten täglich mit | |
| dem Risiko konfrontiert. Sie arbeitet in einem Altersheim nördlich von New | |
| York. Zu ihrer eigenen Sicherheit und der von ihr Betreuten hatte sie | |
| nichts anderes als den Atemschutz, die Handschuhe und die Tests. | |
| Seit zwei Wochen ist sie geimpft. Das und ihren 20. Geburtstag feiert sie | |
| jetzt in New York. Sie hat sich in ein Hotel eingemietet. Ist an diesem | |
| heißen Juli-Tag mit dem Aufzug zur „Edge“, der höchsten Aussichtsplattform | |
| über der Stadt, gefahren. Isst Popcorn und Hotdogs. Verschickt Selfies. Und | |
| geht ins Kino, um „Fast and Furious 9“ zu sehen. Sie hat keinen Film der | |
| Reihe verpasst. | |
| Als die Aussichtsplattform „Edge“ vor zwei Jahren eröffnete, begann in dem | |
| unter ihr liegenden Stadtteil „Hudson Yards“ neues Leben. Mit einer | |
| Investition von 25 Milliarden Dollar ist es das teuerste Immobilienprojekt | |
| der New Yorker Geschichte. Die Wolkenkratzer, die über Bahngeleisen und | |
| über einem Zugdepot der Verkehrsbetriebe am Westrand von Midtown gebaut | |
| wurden, sollten eine Stadt in der Stadt werden. Eine Luxusoase, in der es | |
| sich wohnen, arbeiten, einkaufen und Sport treiben lässt, ohne sie | |
| verlassen zu müssen. | |
| Dann kam das Virus. [1][Es machte New York zum globalen Epizentrum der | |
| Pandemie]. Am 20. März 2020, als New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo per | |
| Dekret anordnete, alle nicht unerlässlichen Geschäfte zu schließen, und als | |
| sich die City schlagartig leerte, fielen auch die „Hudson Yards“ in | |
| Schockstarre. Der Verkauf der Wohnungen, mit einem Einstiegspreis von knapp | |
| 3 Millionen Dollar für ein Zimmer, stagnierte. Der Bau der geplanten | |
| weiteren Wolkenkratzer verlangsamte sich. Das Einkaufszentrum mit den | |
| Skulpturen und den Gängen aus Marmor machte zu. Und durch die Weite der | |
| nagelneuen U-Bahn-Station Hudson Yards huschten nur noch Krankenschwestern, | |
| Ärzte und andere „unerlässliche Beschäftigte“. Ab dem 15. April, dem Tag, | |
| als im Bundesstaat New York Masken zur Pflicht wurden, waren von ihren | |
| Gesichtern nur noch die Augen zu sehen. | |
| Knapp drei Kilometer nordöstlich von den Hudson Yards ruft Spiderwoman mit | |
| spanischem Akzent „Foto?“ zu den Passanten, die an ihr vorbeiströmen. Dann | |
| zeigt sie, was sie zu bieten hat: eine auf Stelzen stehende Freiheitsstatue | |
| in goldglänzendem Tuch, einen riesigen Roboter, einen Batman. Sie sind ein | |
| Familienbetrieb. Antonio ist der Chef und stellt Batman dar, er stammt aus | |
| Ecuador. Seit zwei Jahrzehnten arbeitet er an der Ecke von Broadway und 45. | |
| Straße auf dem Times Square. Sein Geschäft ist es, anderen Menschen für die | |
| Dauer eines Fotos nah zu kommen, sie vielleicht sogar zu umarmen. | |
| Die ersten Monate der Pandemie, als in New York jede Versammlung verboten | |
| war und der Publikumsverkehr auf dem Platz von täglich 365.000 auf fast | |
| niemanden zusammenschrumpfte, waren die schwierigsten von Antonios Leben | |
| hier. Im Spätsommer 2020 kamen er, seine Frau, die Spiderwoman spielt, und | |
| seine Söhne auf den Times Square zurück. Es gab keine Touristen und fast | |
| kein Geld. Die Darsteller schmissen, was sie bekamen, in einen Topf. | |
| Rückten in einer Wohnung zusammen. Und kochten gemeinsam. Inzwischen ist | |
| die ganze Familie geimpft. Und auf dem Times Square tummeln sich fast | |
| wieder 200.000 Menschen pro Tag. „Die Leute schöpfen allmählich neues | |
| Vertrauen“, sagt Antonio. Mit einer Rückkehr zum Normalzustand rechnet er | |
| im Dezember: „Falls Delta keine bösen Überraschungen bringt.“ | |
| ## Die mobilen Teststationen verschwinden | |
| Auf den Fassaden rund um den Times Square erinnert nichts mehr an Corona. | |
| Auf der Dutzende Meter hohen Leuchtfläche, auf der im letzten Jahr in | |
| riesigen vertikalen Lettern „Thank you“ für die Pandemiehelfer flimmerte, | |
| werben wieder die Hersteller von Softdrinks und Hamburgern. Der | |
| Medienkonzern ABC hat hier seinen Sitz, am Gebäude flimmert die | |
| Schlagzeile: „Taliban kontrollieren mehr als 50 Prozent des afghanischen | |
| Territoriums“. Hinter der US-Fahne auf der Außenseite des | |
| Rekrutierungsbüros suchen Army, Navy, Air Force und Marines nach neuen | |
| Freiwilligen. | |
| Im Gewühl sitzen drei junge Frauen unter einem blau-roten Zeltdach auf dem | |
| „Covid-19-Testing“ steht. Die drei sind im letzten Jahr im Schnellverfahren | |
| angelernt worden. Hinter ihnen parkt ein Minibus, in dem sie ihre Tests | |
| durchführen. Rund 150 Passanten pro Tag nehmen ihr Angebot noch wahr. | |
| Nachdem Coronatests in den ersten Monaten der Pandemie in den USA | |
| Mangelware waren, hatten Labors das Geschäft damit entdeckt, es gab viele | |
| Testzelte. Der Boom war kurz, die Lizenzen für mehrere Labore sind | |
| abgelaufen. | |
| Die drei jungen Frauen empfehlen allen, auch den Geimpften, zwei bis drei | |
| Tests pro Woche. „Die Impfung stärkt das Immunsystem“, sagen sie, „aber | |
| eine Ansteckung ist weiterhin möglich“. Doch die Einheimischen kommen nicht | |
| mehr. „Wir haben die New Yorker verloren“, sagt Diane, die Chefin des | |
| Test-Teams am Times Square. Sie hat im Restaurant ihrer Familie gearbeitet, | |
| bis es in der Pandemie zumachen musste, weil so viele Beschäftigte das | |
| Virus hatten. Fast alle Personen, die sie jetzt testet, sind Auswärtige, | |
| die das für einen Rückflug brauchen. Einheimische Reisende verlangen | |
| Schnelltests, ausländische benötigen PCR-Tests. Alle Kosten werden vom | |
| Staat New York übernommen. Wie lange Diane noch am Times Square testen | |
| wird, ist unklar. | |
| Auch bei den Impfzentren in New York schrumpft die Nachfrage. Am | |
| Jahresanfang waren Geduld und viel Glück nötig, um einen Impftermin zu | |
| ergattern. Inzwischen haben alle, die älter als zwölf sind, Anspruch | |
| darauf. Ohne Anmeldung. Inzwischen müssen nicht mehr die Impfkandidaten | |
| warten, sondern das Personal. Die Stadt hat „Test & Trace Corps“ – Gruppen | |
| von jungen und alten Aufklärern –, die an viel benutzten Straßenkreuzungen | |
| Informationsmaterial über den Nutzen von Impfungen verteilen. Sie hat | |
| mobile Impfzentren in Bussen, die an Wochenmärkten auffahren. Impfzentren | |
| haben sich in leer stehenden Ladenlokalen niedergelassen. Auch Hausbesuche | |
| sind möglich. | |
| 4,3 Millionen New Yorker – rund 70 Prozent der Erwachsenen – sind voll | |
| geimpft. Aber die Bilanz ist unterschiedlich nach Stadtteilen, Hautfarben, | |
| Geschlecht und Alter. In Staten Island ist die Impfrate am niedrigsten. In | |
| der republikanischen Hochburg der Stadt wohnen viele Polizisten. | |
| In der Bronx, in East Harlem und anderen Stadtteilen mit großen schwarzen | |
| und braunen Bevölkerungsgruppen, ist die Rate ebenfalls nicht hoch, dort | |
| stoßen die Impfaufklärer der „Test & Trace Force“ auf Misstrauen gegen den | |
| Staat. Sie hören von medizinischen Experimenten an Afroamerikanern, von | |
| denen Großeltern ihren Enkeln erzählt haben. Sie hören von der Angst | |
| undokumentierter Einwanderer, nach der Impfung abgeschoben zu werden. Und | |
| sie hören von „Anti-Vaxxern“, die Impfung sei eine „Giftspritze“, mit … | |
| die Bevölkerung kontrolliert werden soll. | |
| ## Impftouristen aus Südamerika | |
| Wo das Misstrauen am größten ist, schnellen seit Juni die Neuinfektionen | |
| und die Covidbedingten Krankenhausaufenthalte wieder hoch. Statt 133 | |
| Neuinfektionen pro Woche Mitte Juni finden die Teststellen in der Stadt | |
| Mitte Juli 438 pro Woche in New York. Die aggressive Deltavariante ist für | |
| die Mehrheit der neuen Infektionen verantwortlich. „Jetzt ist eine | |
| besonders gefährliche Zeit, nicht geimpft zu sein“, sagt der | |
| Gesundheitsbeauftragte der Stadt, Dr. Dave Chockshi. Er fleht die NewYorker | |
| an, sich impfen zu lassen. Anders als in San Francisco will Bürgermeister | |
| Bill de Blasio keine Impfpflicht für die 400.000 Beschäftigten seiner | |
| Verwaltung einführen. In der kalifornischen Stadt müssen Beschäftigte in | |
| sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern, Gefängnissen und Altersheimen bis | |
| Mitte September geimpft sein. | |
| Statt der New Yorker nehmen Touristen aus Lateinamerika die Impfzentren der | |
| Stadt in Anspruch. Auf Twitter hat Bürgermeister de Blasio sie eingeladen: | |
| „Die Impfung und die Museen sind gratis.“ Der Impftourismus ist ein Trend | |
| für jene, die es sich leisten können. Sie bekommen Johnson & Johnson, weil | |
| dafür keine zweite Impfung nötig ist. Flugtickets aus Mexiko-Stadt nach New | |
| York kosten jetzt 1.000 Dollar. Auch die Flugpreise von Bogotá und anderen | |
| lateinamerikanischen Metropolen nach New York haben sich verdoppelt. | |
| „Zu Hause hätte ich noch wochenlang warten müssen“, sagt Luis. Der | |
| 27-jährige Arzt aus Mexiko-Stadt ist zusammen mit seinem bereits geimpften | |
| Onkel und dessen Ehemann José, der auch Impftourist ist, nach New York | |
| gekommen. An ihrem ersten Tag in New York haben Luis und José ihre Impfung | |
| bekommen. „Es war sehr einfach“, sagt Luis, „unbürokratisch“. An ihrem | |
| zweiten Tag in der Stadt beginnen sie ihr touristisches Programm. | |
| Die New Yorker sind nicht mehr unter sich wie in den gespenstischen Monaten | |
| des letzten Jahres, als ununterbrochen die Sirenen von Krankenwagen durch | |
| die Stille peitschten. Und als an manchen Tagen 500, an anderen 800 | |
| Menschen in der Stadt an dem Virus starben. Sie haben ihre Masken fallen | |
| gelassen – außer in den Bussen und der U-Bahn, wo weiterhin eine | |
| Tragepflicht gilt. | |
| Die sechs Fuß langen roten Pfeile, die angezeigt haben, wie groß der | |
| Abstand zwischen zwei Personen sein muss, sind nur noch Erinnerungsstücke. | |
| Der neuerdings empfohlene Sicherheitsabstand beträgt drei Fuß, aber die | |
| Direktoren der Schulen, die im September wieder aufmachen, haben bereits | |
| klargemacht, dass sie nicht genügend Platz für drei Fuß Abstand zwischen | |
| den Kindern haben. Die Museen sind geöffnet. Die Jazzkonzerte und die | |
| Shakespeare-Aufführungen unter freiem Himmel haben wieder begonnen. Und die | |
| Theater am Broadway wollen im September zurückkommen. | |
| Nachdem im letzten Jahr Zigtausende die Stadt verlassen hatten, standen | |
| zahlreiche Wohnungen leer. Mietinteressenten wurden umworben wie seit | |
| Generationen nicht mehr. Hausbesitzer und Makler lockten mit Gratismonaten | |
| und Renovierungen, sie waren öfter bereit, zu verhandeln. Die Stadt füllt | |
| sich wieder und die Mieten sind erneut auf dem rasanten Weg nach oben. | |
| Hat die postpandemische Ära begonnen? Der Leerstand vieler Geschäfte war | |
| schon lange vor der Pandemie ein New Yorker Problem. In den vier Jahren | |
| nach 2010 stiegen die Gewerbemieten in den begehrtesten Stadtteilen von | |
| Manhattan um fast 90 Prozent. Zugleich verlagerte sich das Geschäft | |
| zunehmend auf den Onlinehandel. Zwischen den luxuriösen Boutiquen an der | |
| Upper East Side finden sich in manchen Blöcken vier und mehr verlassene | |
| Läden. Kleine Geschäfte, aber auch nationale Ketten haben aufgegeben. | |
| Hart getroffen hat es auch die Tourismusbranche. Statt der 67 Millionen | |
| Besucher von 2019 werden in diesem Jahr nur 36 Millionen nach New York | |
| kommen, prognostiziert Jan Freitag, der für die Informationsagentur STR das | |
| Gastgewerbe analysiert. Er ist sicher, dass die Touristen zurückkommen | |
| werden. Aber er glaubt, dass die Tourismusindustrie mehrere Jahre brauchen | |
| wird, um die Krise zu überwinden. Berücksichtigt man die vielen immer noch | |
| geschlossenen Hotels, kommt man auf eine Belegungsrate von nur 48 Prozent. | |
| Das senkt die Übernachtungskosten in New York auf unter 200 Dollar pro | |
| Zimmer. Aber es drückt zugleich auf den Arbeitsmarkt. | |
| ## In den Restaurants finden sie kein Personal | |
| Im März vergangenen Jahres verloren mehr als 600.000 New Yorker auf einen | |
| Schlag ihre Jobs. Bis Juni war fast jeder fünfte New Yorker arbeitslos. Die | |
| Arbeitslosenquote in der Stadt beträgt immer noch rund 10 Prozent. Sie ist | |
| doppelt so hoch wie vor der Pandemie und liegt weit über dem nationalen | |
| Durchschnitt von gut 5 Prozent. | |
| Barbesitzer und Hoteliers suchen trotzdem vergeblich nach Personal. Vor der | |
| Pandemie kamen viele, die im Gastgewerbe gearbeitet haben, mit Mindestlohn | |
| und Trinkgeld knapp über die Runden in der teuersten Stadt der USA. Nach | |
| dem Wegfall von beiden blieb vielen nur, zurück zu Familienangehörigen aufs | |
| Land zu ziehen. In den Monaten der Arbeitslosigkeit konnten sie über Dinge | |
| nachdenken, für die im New Yorker Alltag wenig Zeit bleibt: Familie. | |
| Lebensqualität. Krankenversicherung. Für die Eltern unter ihnen kommt | |
| hinzu, dass ihre Kinder weiterhin zu Hause sind. Das ist mit geregelten | |
| Arbeitszeiten in Online-Lagerhallen, mit Lieferantenjobs auf Abruf und mit | |
| Heimarbeit leichter vereinbar als mit Nachtarbeit. | |
| „Wer in New York arbeiten will, findet etwas“, sagt Fathi: „aber das | |
| Geschäft ist extrem schleppend.“ Er ist vor 13 Jahren aus Ägypten in die | |
| USA gekommen. Vor der Pandemie verkaufte er Hot Dogs, jetzt Softeis an | |
| Touristen. Ohne Hilfe aus Washington hätte Fathi die Pandemiemonate nicht | |
| überstanden. Die Regierung schickte ihm drei Konjunkturschecks und stockte | |
| sein wöchentliches Arbeitslosengeld auf. Anderen New Yorkern half sie mit | |
| vorübergehendem Mieterschutz, um Räumungen und Massenobdachlosigkeit zu | |
| verhindern. Mit Joe Biden im Weißen Haus kam zudem der American Rescue | |
| Plan. Die Stadt bekommt eine 16-Milliarden-Dollar-Konjunkturspritze aus | |
| Washington. Ende Juni verabschiedete der Stadtrat ein Budget von 99 | |
| Milliarden Dollar, das größte der New Yorker Geschichte. | |
| New York wird in öffentliche Universitäten, in Schulen und in Kindergärten | |
| investieren. Auch ein Teil der Privatleute in New York hält mehr Geld in | |
| den Händen. Das sind einerseits die laut Forbes 118 Milliardäre, deren | |
| Vermögen in der Pandemie um 44,9 Milliarden Dollar gestiegen ist. Sie haben | |
| von den Höhenflügen der Börse profitiert. Während weite Teile der realen | |
| Ökonomie am Boden lagen, spekulierten sie erfolgreich, dass der Aufschwung | |
| kommen würde, sobald die Beschränkungen enden. Einige haben außerdem mit | |
| dem Höhenflug einzelner Branchen wie dem Onlinehandel verdient. | |
| Auch die Mittelschicht verfügt über mehr Kaufkraft. Dafür sind nur zum | |
| kleinen Teil staatliche Hilfen verantwortlich. Es war im zurückliegenden | |
| Jahr einfach schwierig, Geld auszugeben. Im Juni, als das wieder ging, | |
| stiegen die Ausgaben der Konsumenten in New York auf einen fast 10 Prozent | |
| höheren Stand als direkt vor der Pandemie. | |
| ## Wer muss ins Büro zurückkommen? | |
| Die eigentlichen postpandemischen Auseinandersetzungen beginnen gerade. Bei | |
| Hunderttausenden Büroangestellten, die in den zurückliegenden 15 Monaten | |
| von zu Hause gearbeitet haben, fällt früher oder später die Entscheidung, | |
| ob sie in die Innenstadt zurückkehren. Bislang bestehen nur Banken und | |
| Immobilienunternehmen darauf. „Wer in New York bezahlt werden will, muss in | |
| New York sein“, hat ein Chefökonom bei Morgan Stanley bestimmt. Die | |
| einflussreiche Unternehmergruppe Partnership for New York City schätzt, | |
| dass langfristig nur 62 Prozent der Büroangestellten zurückkommen werden. | |
| Wenn das geschieht, werden auch die letzten Cafés, Friseursalons und | |
| Nagelstudios in Midtown und dem Financial District verschwinden. | |
| Auf die Frage, wie der freiwerdende Raum genutzt werden könnte, gibt es | |
| bislang keine verbindlichen Antworten. Wohnraum ist Mangelware. Die | |
| Umwidmung von Bürotürmen, in denen die meisten Arbeitsplätze kein | |
| natürliches Licht haben, in Wohnungen wäre nicht einfach. Zumal auch das | |
| New Yorker Raumordnungsrecht streng zwischen gewerblichen Flächen und | |
| solchen für Wohnraum unterscheidet. | |
| In der Stadt kommt es zu neuen Verteilungskämpfen. Während der Pandemie | |
| haben Restaurants auf die Bürgersteige expandiert und sie mit Strukturen | |
| aus Holz, durchsichtigem Plastik und Metall zugebaut. Die Stadt genehmigte | |
| sie als Provisorien für eine nie dagewesene Krise. Nachdem die Restaurants | |
| ihre Innenräume wieder nutzen dürfen, hat Bürgermeister de Blasio ihre | |
| Sondergenehmigungen verlängert, um den Restaurants zu helfen. Nicht alle | |
| New Yorker sind glücklich darüber. „Dies ist nicht Paris“, schimpft eine | |
| Anwohnerin bei einer lärmigen Bürgerversammlung in dem Bohemeviertel East | |
| Village. Andere Teilnehmer beklagen Lärm und Alkohol in ihren zuvor nachts | |
| ruhigen Straßen. | |
| Im West Village protestieren Anwohner gegen Partys, gegen Musik und gegen | |
| nächtliche Tänze im Washington Square Park, der von bürgerlichen | |
| Wohnhäusern und Gebäuden einer Privatuniversität umgeben ist. In der | |
| Pandemie machten Jugendliche aus allen Stadtbezirken den Park zu einem | |
| Treffpunkt. Die Polizei hat ihn nach den Protesten nachts gesperrt. | |
| Diese Konflikte dringen nicht in die Idylle auf 335 Metern Höhe, wo jene, | |
| die sich die fast 40 Dollar Eintrittsgeld für die Aussichtsplattform über | |
| den Hudson Yards leisten können, ihr postpandemisches Leben feiern. Für die | |
| frisch verliebten Vee und Clarissa aus Philadelphia ist es die erste | |
| gemeinsame Reise. Ein Tagesausflug. Während der Pandemie hat Vee, die bei | |
| einer Bank arbeitet, eine Scheidung hinter sich gebracht: „Wir waren beide | |
| ununterbrochen zu Hause und sind uns auf die Nerven gegangen.“ Clarissa, | |
| die in einem Lebensmittelladen arbeitet, galt während der Pandemie als | |
| „unersetzliche Beschäftigte“. Sie hat nie mit der Arbeit ausgesetzt. Vee | |
| hat mit ihren vierjährigen Zwillingen ein Kinderbuch geschrieben. Clarissa | |
| hat „ein paar Pfund zugenommen“. | |
| Unter den vielen auf der Aussichtsplattform, die ihre Gesichter zeigen, | |
| fallen zwei Frauen auf, die Maske tragen. Warum? „Weil niemand weiß, ob und | |
| wann die nächste Welle kommt.“ | |
| Die beiden Freundinnen sehen sich zum ersten Mal seit 16 Monaten wieder in | |
| persona. „Ich bin so glücklich, dass wir noch da sind“, sagt Dana. Im | |
| Frühling 2020 hat sie zwei Neffen verloren. Die beiden – 39 und 40 Jahre | |
| jung – gehören zu den 33.000 Pandemietoten der Stadt. Sie haben sich mit | |
| dem Virus angesteckt, bevor sie wussten, dass es schon in New York war. | |
| Beide hingen lange an Atemgeräten. Beide mussten in Massengräbern | |
| beigesetzt werden, weil so viele gleichzeitig starben, dass die | |
| Bestattungsunternehmen nicht nachkamen. Dana und ihre Freundin sind | |
| gekommen, um zu sehen, worauf ihnen der Blick so lange verwehrt war: ihre | |
| Stadt vom Hudson River über die Freiheitsstatue und den Hafen bis zur | |
| Küstenlinie von Brooklyn. Sie sagen: „Alles ist teurer geworden. Ansonsten | |
| hat sich nichts verändert.“ | |
| 22 Jul 2021 | |
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