# taz.de -- Impfskepsis bei Geflüchteten: Eine Dosis Vertrauen | |
> Die Bewohner:innen der Flüchtlingsheime sollten längst gegen Corona | |
> geimpft sein – doch es geht schleppend voran. Auf Impfberatung in | |
> Brandenburg. | |
Bild: Eine Frau hat Bedenken, Lafi Khalil (Mitte) versucht, sie auszuräumen | |
Seit Wochen ringt die Ukrainerin Tatjana Illjenko mit sich. Soll sie sich | |
gegen Covid-19 impfen lassen oder nicht? Ihr Mann, ein Tschetschene, hat | |
sich früh dagegen entschieden, so wie die meisten Tschetschen:innen, die in | |
der Flüchtlingsunterkunft im brandenburgischen Werder an der Havel gelandet | |
sind. Auch Tatjana Illjenko, 30 Jahre alt, hat noch Bedenken. Was, wenn der | |
Impfstoff gar nicht wirkt? Wenn er ihrem Körper nicht nur Nebenwirkungen | |
zufügt, sondern dauerhafte Schäden? Wenn er gar zu ihrem Tod führt und ihr | |
vierjähriger Sohn ohne Mutter aufwachsen muss? | |
Ihre Zweifel sind es auch, die sie an einem heißen Junitag aus ihrer | |
Wohnung im zweiten Stock der Gemeinschaftsunterkunft hinabsteigen und an | |
einer Infoveranstaltung zur Coronaschutzimpfung teilnehmen lassen. Illjenko | |
hat sich dazu auf der ausgedörrten Grünfläche vor dem Gebäude ein | |
schattiges Plätzchen gesucht. Dort sitzt sie nun in der ersten Reihe auf | |
einem Plastikstuhl und wartet, in ihrem Schoß die FFP2-Maske, unterm Stuhl | |
die pinken Sandalen. Neben ihr sitzen Frauen aus Tschetschenien und anderen | |
Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, links die Afghan:innen, rechts die | |
Syrer:innen. Ein paar Männer lehnen an der Hauswand des klotzartigen | |
Neubaus, gegenüber parkende Autos und Birken. | |
Knapp 20 Bewohner:innen der Familienunterkunft sind gekommen, es ist | |
ein Fünftel der Erwachsenen. Fragt man die Anwesenden, warum sie hier sind, | |
wird schnell klar, dass Tatjana Illjenko mit ihren Fragen zum Impfen nicht | |
alleine ist. Dabir Ahmed, ein junger Mann aus Somalia, hat gehört, dass man | |
nach der Corona-Infektion nur mehr eine Impfdosis braucht. Ali Shaban, 46 | |
Jahre alt und aus Syrien, hat ein Schreiben von seiner Hausärztin | |
mitgebracht. Er will sich nach den Nebenwirkungen erkundigen. Seine Frau | |
schickt ihn, sie selbst ist im Deutschkurs. Tatjana Illjenko, Dabir Ahmed, | |
die Shabans: Sie alle erhoffen sich von diesem Tag Klarheit über die | |
Covid-19-Impfung. Klarheit, für die ein Krisenberatungsteam sorgen soll, | |
das im Auftrag der Landesregierung durch Brandenburg reist. Ihr Ziel: über | |
die [1][Vorteile des Impfens] aufzuklären. | |
Wie schleppend die Impfung der Geflüchteten vorangeht, zeigt eine Umfrage | |
der taz unter den zuständigen Landesministerien. Nur sechs Bundesländer | |
erreichen aktuell in den Flüchtlingsunterkünften eine Impfquote von 50 | |
Prozent oder darüber. In Berlin und Nordrhein-Westfalen liegt sie bei rund | |
40 Prozent, in Hessen nur unwesentlich höher. Niedersachsen hat in manchen | |
Unterkünften bis jetzt nur 20 Prozent der Bewohner:innen geimpft. In | |
vier Bundesländern ist den Ministerien nicht bekannt, wie viele Menschen in | |
den Sammelunterkünften bereits immunisiert sind. | |
[2][Betrachtet man die Zahlen, drängt sich der Verdacht auf, dass der Staat | |
die Fürsorge für seine Schutzsuchenden hintenanstellt]. Schließlich gehören | |
die Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften schon seit Februar zur | |
Priorisierungsgruppe zwei – ebenso wie Grundschullehrer:innen, | |
Polizist:innen und Menschen mit chronischer Lungenerkrankung. So sieht | |
es die Impfverordnung des Bundes vor. Und das mit gutem Grund: Denn die | |
Ansteckungsgefahr in den Sammelunterkünften ist nachgewiesen hoch. Nach den | |
Daten des brandenburgischen Sozialministeriums infizierte sich dort bislang | |
rund jede:r Zwanzigste. Nichtsdestotrotz hat lediglich Schleswig-Holstein | |
im März mit dem Impfen in Flüchtlingsunterkünften begonnen, fast die Hälfte | |
der Bundesländer starteten erst im Mai. | |
Wieso so spät? Und lässt sich allein damit die niedrige Impfquote erklären? | |
Um das herauszufinden, hat die taz mit rund einem Dutzend Menschen | |
gesprochen, die tagtäglich mit dem Alltag in den Sammelunterkünften zu tun | |
haben. Weil sie dort leben oder arbeiten. Weil sie eine Unterkunft für | |
Geflüchtete leiten oder als externe Berater:innen dort ein und aus | |
gehen. Oder weil sie in den Ministerien die Impfkampagnen für Geflüchtete | |
mit koordinieren. Worin sich alle einig sind: Es läuft längst nicht alles | |
rund bei den Corona-Impfungen. Und das fängt bei der fehlenden | |
Einheitlichkeit an. | |
Wie und wo Geflüchtete geimpft werden und welcher Impfstoff zum Einsatz | |
kommt, unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, teilweise sogar von | |
Unterkunft zu Unterkunft. In Bayern etwa kommen mobile Impfteams nur in die | |
größeren Einrichtungen. Wer in einer kleinen Unterkunft lebt, muss sich in | |
der Regel selbst um einen Termin bemühen. Generell gilt: In | |
Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es andere Regeln als in den kommunalen | |
Unterkünften. Auch in Brandenburg kommen verschiedene Impfstoffe zum | |
Einsatz: Biontech in den Kommunen, Johnson & Johnson in den | |
Landeseinrichtungen. Wer selbst wählen möchte, darf aber jederzeit zum | |
Hausarzt gehen. | |
Bei der Frage, warum die Impfquoten auch Mitte Juni noch so niedrig sind, | |
gehen die Meinungen auseinander. Tatsache ist: Im Februar war der Impfstoff | |
knapp, die Ministerien schickten die mobilen Impfteams erst zu den Alten | |
und Pflegebedürftigen, später zu Menschen mit Behinderung oder anderen | |
besonders gefährdeten Menschen. Als es dann endlich losgehen konnte, so | |
stellen es jedenfalls die Ministerien dar, seien neue Hindernisse | |
hinzugekommen: die Bürokratie und die niedrige Impfbereitschaft von | |
Geflüchteten, die von Falschinformationen in den sozialen Netzwerken, | |
traumatischen Erfahrungen mit Behörden und der zeitlichen Überschneidung | |
der Impfungen mit dem Fastenmonat Ramadan herrühren sollen. All das hätte | |
die Impfkampagne erschwert. | |
Flüchtlingsräte kontern: Es brauche mehr persönliche Beratung. Einfach nur | |
Informationen des Robert-Koch-Instituts zu verteilen reiche nicht aus. Auch | |
Tatjana Illjenko sagt: „Ich habe zu wenige Informationen über die | |
Impfstoffe. Ich will erst einmal abwarten.“ Und sie ist nicht die Einzige. | |
Als Brandenburg die Impfbereitschaft in den Flüchtlingsunterkünften | |
abfragte, lag die in manchen Einrichtungen bei nur 5 Prozent. So war es | |
auch in Werder an der Havel, wo sich zunächst nur einige wenige impfen | |
lassen wollten. | |
## Misstrauen gegen den Staat | |
Wie sehr die staatlichen Informationen und die Impfbereitschaft der | |
Geflüchteten miteinander zusammenhängen, lässt sich beim Umgang mit dem | |
Impfstoff von Johnson & Johnson beobachten. Die Länder hatten bei den | |
Impfungen in den Sammelunterkünften fest darauf gebaut. Weil der Impfstoff | |
bereits nach einer Dosis seine volle Wirkung entfaltet, wäre er eigentlich | |
ideal für die Sammelunterkünfte mit ihrer hohen Fluktuation gewesen. Doch | |
dann zog die Ständige Impfkommission Anfang Mai die altersunabhängige | |
Empfehlung für Johnson & Johnson zurück, wie sie es zuvor auch schon bei | |
Astrazeneca getan hatte. Plötzlich konnten Personen unter 60 Jahren den | |
Impfstoff nur mehr nach einer ärztlichen Beratung bekommen. Manche | |
Bundesländer zweifelten daran, dass sie die Ressourcen für derartige | |
Beratungen überhaupt aufbringen konnten, also wechselten sie zu Biontech. | |
Andere blieben bei Johnson & Johnson, wieder andere überließen den | |
örtlichen Impfzentren die Entscheidung. | |
Kritiker:innen sagen: Bei so viel Hin und Her ist es nicht | |
verwunderlich, dass sich die Geflüchteten wie Versuchskaninchen vorkommen. | |
Dass sie damit nicht gerade zur Vertrauensbildung beigetragen haben, wissen | |
auch die Ministerien. Schließlich gab es ja auch schon davor genügend | |
Gerüchte unter den Geflüchteten. Etwa dass Geimpfte leichter abgeschoben | |
werden können oder dass die Impfung unfruchtbar macht. | |
Olaf Jansen, 61 Jahre alt und Jurist, hat schon viele solcher Geschichten | |
gehört. Er ist als Leiter der Zentralen Ausländerbehörde in Brandenburg für | |
die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes verantwortlich und damit für den | |
Impferfolg bei rund 1.300 Menschen. „Und der“, sagt Jansen am Telefon, | |
„stellt sich nur ein, wenn die Leute Ihnen vertrauen.“ Um dieses Vertrauen | |
zu gewinnen, setzt Jansen auf Mentor:innen. Seine Mitarbeiter:innen | |
sprechen gezielt die Personen an, von denen sie glauben, dass sie Einfluss | |
auf die jeweiligen Communities nehmen können. „Das klappt ziemlich gut“, | |
sagt Jansen. Nur bei Menschen aus dem Kaukasus, Russland oder | |
Tschetschenien bliebe die Skepsis oft trotz vieler Gespräche hoch. „Bei | |
Menschen aus dieser Region ist das Misstrauen in den Staat besonders stark | |
ausgeprägt“, hat er beobachtet. | |
Dennoch: Während sich zum Impfstart in der Erstaufnahmeeinrichtung Anfang | |
Mai nur etwa jede:r Dritte impfen lassen wollte, liegt die Impfquote laut | |
Jansen heute bei 70 bis 75 Prozent. Dazu habe aber sicherlich auch noch ein | |
anderer Umstand beigetragen, glaubt Jansen. In der kleinen Turnhalle, in | |
der drei Mal die Woche geimpft wird, stünden Geflüchtete, Wachschutz und | |
Mitarbeiter:innen gemeinsam in der Schlange. „Wenn die sehen, dass | |
sich auch alle anderen mit dem gleichen Stoff impfen lassen, haben wir | |
gewonnen.“ | |
## Die Impfbereitschaft steigt | |
In gewisser Weise spiegelt Jansens Erstaufnahmeeinrichtung die gesamte | |
Gesellschaft wider. Ein kleiner Teil schließt eine Covid-19-Impfung | |
kategorisch aus – der Großteil entscheidet sich aber dafür, wenn sich auch | |
Personen aus dem eigenen Umfeld impfen lassen. Umfragen wie das | |
Impfmonitoring des Robert-Koch-Instituts belegen, dass das Vertrauen in den | |
Impfstoff steigt. Laut ARD-Deutschlandtrend hat sich der Anteil derer, die | |
sich „auf jeden Fall“ impfen lassen wollen, zwischen November und Mai | |
verdoppelt. | |
Auch Ali Shaban, ein höflicher Mann mit grauen Schläfen, war zunächst | |
unentschlossen. Er lebt mit seiner Familie seit nicht mal zwölf Monaten in | |
Deutschland, momentan in der Flüchtlingsunterkunft in Werder an der Havel. | |
Zuvor arbeitete er als Schuhmacher in der kurdischen Provinz Afrin im | |
Norden Syriens. Ali Shaban kennt die Bundesrepublik nur im Krisenmodus der | |
Pandemie. Er hat zwar immer noch Fragen zu den Impfstoffen, doch seine | |
anfängliche Skepsis ist verschwunden, seitdem sich der Bruder seiner Frau | |
impfen ließ. Das war im März. Daraufhin ist er zur Hausärztin gegangen und | |
habe Impftermine für sich, seine Frau Hanifa und den ältesten Sohn Mohammed | |
ausgemacht. „Wir wollen kein Corona bekommen“, sagt er. Mittlerweile | |
vertraue er den Impfstoffen. | |
Doch nicht alle können ihre Skepsis so einfach ablegen. Tatjana Illjenko | |
fällt das schwer, obwohl sie schon viel länger in Deutschland ist als Ali | |
Shaban. Seit sechs Jahren lebt sie in Werder, hierher kam sie, weil sie als | |
konvertierte Muslimin in der Ukraine Ausgrenzung und Hass erfuhr. Heute | |
sitzt sie im Landkreis Potsdam-Mittelmark im Integrationsbeirat und | |
vertritt die Interessen der ausländischen Bürger:innen. Ihr Sohn geht in | |
die Kita, ihr Mann stellt für Amazon Päckchen zu. Das Misstrauen gegen den | |
Staat aber ist geblieben – auch nach dem Besuch des Krisenberatungsteams. | |
Der deutschen Presse gegenüber scheint Tatjana Illjenko hingegen weniger | |
misstrauisch zu sein. Sie bittet die taz zum Gespräch in ihre | |
Zwei-Zimmer-Wohnung. Auf Fotos möchte sie aber nur so drauf sein, dass ihr | |
Gesicht nicht zu erkennen ist. Sie hat es sich auf der breiten Couch neben | |
der geöffneten Balkontür bequem gemacht, ihre pinken Sandalen liegen auf | |
dem riesigen Teppich. An ihre frühere Heimat erinnern nur die Buchrücken | |
mit kyrillischer Schrift. | |
Tatjana Illjenko stammt aus einem Dorf in den Karpaten. Und ihre alte | |
Heimat hat viel mit der anhaltenden Skepsis vor dem Staat zu tun. So | |
erzählt sie von russischen Impfstoffen, die die Kinder im Dorf krank | |
gemacht hätten. „Pobotschnoje dejstwije“, sagt sie mehrfach – | |
„Nebenwirkungen“. Und „Insult“ – „Schlaganfall“. Sie spricht gut … | |
für diese Begriffe fehlt ihr aber die Übersetzung. Und nachprüfen lassen | |
sich ihre Behauptungen nicht. Zumal sie nicht sagen kann, bei welchen | |
Impfungen die Schlaganfälle aufgetreten sein sollen. | |
Fragt man bei Menschen nach, die sich gut mit der Ukraine und Russland | |
auskennen, hört man aber, dass solche Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen | |
sind. Vor allem bei älteren Generationen in den Post-Sowjet-Staaten hätten | |
russische Impfstoffe nicht den besten Ruf. Und das hat auch Folgen für die | |
Impfkampagne in Deutschland. Denn das Angebot der brandenburgischen | |
Landesregierung hat Tatjana Illjenko bislang ausgeschlagen. | |
Und damit gehört sie zur Zielgruppe von Angela Bernasch. Die Referentin ist | |
im brandenburgischen Sozialministerium für Migrationssozialarbeit | |
zuständig. Seit der Pandemie besteht ihre Arbeit vor allem darin, die | |
Kommunen bei Corona-Ausbrüchen zu unterstützen – oder diese besser gleich | |
zu verhindern. Also hinfahren, zuhören, informieren, auf | |
Schutzmöglichkeiten hinweisen. Dafür hat Bernasch im April 2020 ein | |
Krisenberatungsteam aus Ärzt:innen, psychosozialen Berater:innen und | |
Sprachmittler:innen aufgebaut. 59 Mal rückte das Team bis Ende des | |
vergangenen Jahres aus, 29 Mal wegen eines Corona-Ausbruches. Wenn es Ärger | |
gab, dann meistens wegen der Pauschalquarantäne für die ganze Unterkunft, | |
die Gesundheitsämter bei Corona-Ausbrüchen verhängen. In so einer Situation | |
hätten die Landkreise und zuständigen Behörden alle Hände voll zu tun, da | |
bleibe für die individuellen Sorgen und Ängste der Bewohner:innen nur | |
wenig Zeit, sagt Bernasch. „Manchmal mussten wir vor Ort erst mal die | |
Gemüter beruhigen.“ | |
Doch seitdem die Fallzahlen gesunken sind, haben Bernasch und ihr Team Zeit | |
für eine neue Aufgabe: die Geflüchteten über die Vorteile der | |
Corona-Impfung aufzuklären. 39 solcher Einsätze haben sie in diesem Jahr | |
schon gehabt. An einem Donnerstag Mitte Juni folgt mit der | |
Infoveranstaltung in Werder an der Havel Einsatz Nummer 40. | |
Geleitet wird der Einsatz von Lafi Khalil, einem Sozialarbeiter aus Berlin. | |
So wie seine anderen Kolleg:innen musste auch er drei Kriterien | |
erfüllen, um beim Krisenberatungsteam mitmachen zu können: eine eigene | |
Einwanderungsbiografie besitzen, für Flüchtlingseinrichtungen relevante | |
Sprachkenntnisse aufweisen und bei einem Träger arbeiten, mit dem die | |
Behörde sowieso zusammenarbeitet. Lafi Khalil spricht Deutsch und Arabisch. | |
Geboren wurde er in Jerusalem, seit 30 Jahren arbeitet er mit Arbeitslosen | |
und Jugendlichen, seit einigen Jahren über den Verein „Inter Homines“ auch | |
mit traumatisierten Geflüchteten. Bei Bernaschs Krisenberatungsteam war er | |
von Anfang an dabei. | |
„Heute ist mein 31. Einsatz“, sagt er und man hört ihm an, dass er stolz | |
darauf ist. Vor der Infoveranstaltung sitzt er im Büro der Heimleitung und | |
trinkt noch schnell eine Tasse Kaffee. Wenn er auf Fragen antwortet, | |
versteht man, warum die Menschen schnell Vertrauen zu ihm fassen. Lafi | |
Khalil hat eine beruhigende Art. „In Werder war ich noch nie“, sagt er. | |
„Ich bin schon gespannt, was alles zur Sprache kommt.“ Kurz darauf tritt er | |
ins Freie und berichtet den Bewohner:innen von den Vorteilen einer | |
Impfung. Er erklärt, warum das Virus immer aggressiver wird, wenn man | |
nichts dagegen tut. Warum die Impfungen nicht nur einen selbst, sondern | |
auch Verwandte, Freunde und Nachbarn schützen. Warum man keine Angst vor | |
den Nebenwirkungen haben muss. „Wenn man Fieber bekommt, ist das ein gutes | |
Zeichen“, ruft er in die Runde. „Dann weiß ich, dass der Körper | |
funktioniert.“ Ein Dolmetscher übersetzt ins Russische, eine Bewohnerin in | |
Dari. Arabische Zwischenfragen beantwortet Khalil direkt auf Arabisch. | |
Durch die Übersetzungen zieht sich das Gespräch in die Länge. Die Sonne ist | |
nach Süden gewandert, die Bewohner:innen der Familienunterkunft sitzen | |
mittlerweile in der prallen Sonne. Dennoch bleiben alle geduldig bis zum | |
Schluss – und auch die Fragen reißen nicht ab. Ob es stimme, dass Geimpfte | |
nach zwei Jahren sterben?, will eine Frau aus Syrien wissen. Das habe sie | |
in einer libanesischen TV-Sendung aufgeschnappt. Eine andere fragt, ob sie | |
sich impfen lassen kann, wenn sie Hepatitis C hat. Auch Tatjana Illjenko | |
stellt eine Frage: „Wie kann es sein, dass Corona-Impfstoffe in nur einem | |
Jahr entwickelt wurden?“ So, wie sie ihren Satz betont, klingt es beinahe | |
vorwurfsvoll. | |
## Gerüchte und Falschmeldungen | |
Auf seinen Einsätzen begegneten ihm immer wieder ähnliche Ängste und | |
Vorbehalte, sagt Lafi Khalil. Manche hätten mit der eigenen Gesundheit zu | |
tun, ein großer Teil aber stamme aus Gerüchten und Falschmeldungen. „Ich | |
frage deshalb auch immer, wo sie das herhaben“, erzählt er. Die Quellen | |
müssten die Geflüchteten ihm dann zeigen. Manchmal, sagt Khalil lachend, | |
glichen seine Einsätze einer Social-Media-Fortbildung. Es mache ihm | |
trotzdem Spaß. Denn oft sehe er einen unmittelbaren Erfolg, auch wenn nur | |
wenige Menschen zu den Veranstaltungen kommen. Und dann sagt Khalil, der | |
Berater, etwas ganz Ähnliches wie Jansen, der Leiter der | |
Erstaufnahmeeinrichtung. Es gehe um Multiplikator:innen, die in ihre | |
Community hineinwirken. Manchmal melden sich dann plötzlich alle zusammen | |
zum Impfen an. Er habe normalerweise immer eine Liste dabei, in Werder | |
hängt sie im Büro der Heimleitung. | |
Wie notwendig solche Veranstaltungen sind, habe sich schon früh | |
abgezeichnet. „Als wir im Februar auf unseren Einsätzen die | |
Impfbereitschaft in den Gemeinschaftsunterkünften abgefragt haben, waren | |
wir schon etwas enttäuscht“, sagt Angela Bernasch aus dem | |
Sozialministerium. Was erschwerend hinzukommt: dass sie im Ministerium so | |
gut wie keine Daten aus den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften kennen. | |
Von den Impfteams des Deutschen Roten Kreuzes weiß Bernasch zwar, wie viele | |
Geflüchtete in 13 von 18 Kreisen Brandenburgs ihre erste Corona-Impfung | |
erhalten haben: 2.450 von 6.383 gemeldeten impfberechtigten Personen | |
nämlich und damit etwa 39 Prozent. Doch wer unter den „Ablehnern“ | |
vielleicht bereits geimpft war oder wegen einer ausgestandenen | |
Corona-Infektion als genesen gilt, ist nicht bekannt. Die Impfquote der | |
Kommunen lasse sich so jedenfalls nicht abschließend bestimmen, sagt sie. | |
„Wahrscheinlich ist sie aber um einiges höher, als wir denken.“ | |
Stimmen Bernaschs Schätzungen, wäre die Impfbereitschaft unter Geflüchteten | |
im Endeffekt doch nicht so niedrig, wie die Daten aus den Ländern es | |
suggerieren. Dafür spricht noch ein anderer Umstand: Auch Geflüchtete, die | |
sich nachträglich für eine Impfung entscheiden und zum Hausarzt gehen, | |
fallen aus der Statistik. So wie Ali Shaban aus Werder an der Havel, der ja | |
jetzt auch Impftermine für sich und seine Familie ausgemacht hat. | |
Wenige Tage nach dem Besuch des Krisenberatungsteams kommt Ali Shabans | |
18-jähriger Sohn Mohammed aus der Arztpraxis und hält den Daumen hoch. Er | |
hat soeben seine erste Covid-19-Impfung erhalten. Wie zum Beweis zückt er | |
seinen Impfausweis. Ein Sticker mit der Aufschrift Comirnaty® prangt in der | |
untersten Zeile, er hat eine Dosis von Biontech/Pfizer erhalten. Mitte Juli | |
bekomme er die zweite, sagt er. Kurz darauf kommt auch seine Mutter aus der | |
Praxis. Sie sei wegen ihrer körperlichen Beschwerden erst mal nicht geimpft | |
worden, sagt Hanifa Shaban. Sie solle wiederkommen, wenn die vorbei sind. | |
Und ihr Mann? Lässt der sich nicht impfen? „Der ist für ein paar Tage in | |
Bremen“, sagt sie. Er suche Arbeit. | |
Tatjana Illjenko schreibt eine Woche nach dem taz-Besuch eine SMS. Sie | |
bittet, ihren wirklichen Namen nicht zu verwenden. Die Frage, ob sie sich | |
eine Impfung mittlerweile vorstellen könne, lässt sie unbeantwortet. | |
28 Jun 2021 | |
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