# taz.de -- Geflüchtete in der Pandemie: Laptops gibt’s später | |
> Während des Distanzunterrichts waren geflüchtete Schüler*innen auf | |
> Laptops angewiesen – diese fehlten oft. Auch die psychische Belastung ist | |
> hoch. | |
Bild: Hava Morina (links) und Parnian Amiri arbeiten auf ihr Abitur am Charlott… | |
BERLIN taz | Parnian Amiri sitzt auf einer Parkbank in | |
Charlottenburg-Wilmersdorf und hält ihr Smartphone mit beiden Händen fest. | |
Über den kleinen Bildschirm hat die 23-jährige Schülerin die letzten Monate | |
den Online-Unterricht am Charlotte-Wolff-Kolleg (CWK) verfolgt. Teilweise | |
fiel es ihr schwer, inhaltlich zu folgen, weil sie sich schlecht | |
konzentrieren konnte. „Ich habe dadurch sicher weniger gelernt“, sagt sie. | |
Amiri ist 2017 gemeinsam mit ihren Eltern aus dem Iran nach Berlin | |
geflüchtet. Hier hat sie ihren mittleren Schulabschluss nachgeholt, nachdem | |
ihr iranisches Abitur nicht anerkannt wurde. Nun ist sie in einem | |
Abitur-Vorbereitungskurs des CWK, um die Reifeprüfung auf dem zweiten | |
Bildungsweg zu erlangen. Das Problem: Ohne Laptop ist das mühsamer, als es | |
sein müsste. | |
Seit das CWK Ende November 2020, zu Beginn der dritten Coronawelle, auf | |
Online-Unterricht umstellen musste, hatte Amiri keinen eigenen Laptop – und | |
damit ist sie in ihrer Klasse nicht die Einzige. Von 20 geflüchteten | |
Schüler*innen des Vorbereitungskurses sind es momentan acht, die ohne | |
Laptop am Unterricht teilnehmen. Seit Ende der Osterferien kommt die Klasse | |
wieder in Präsenz zusammen, dennoch sei ein Laptop heutzutage unabdingbar, | |
sagt Saniye Kocadag. | |
Die 47-jährige Sozialarbeiterin des Beratungs- und Betreuungszentrums für | |
junge Geflüchtete und Migrant*innen (BBZ) ist die Ansprechpartnerin für | |
Amiri und ihre Klassenkamerad*innen, die alle aus ihrem Heimatland | |
geflüchtet sind. Kocadag unterstützt die Schüler*innen nicht nur | |
seelisch, sondern hilft zusammen mit ihren BBZ-Kolleg*innen auch beim | |
Ausfüllen jeglicher Anträge. Schon vor dem Distanzunterricht habe das BBZ | |
begonnen, Laptops für die Schüler*innen zu beantragen. „Das braucht man | |
einfach, um das Abitur abzulegen“, sagt Kocadag. | |
Bislang fehlen die Zahlen | |
Wie viele junge Geflüchtete während des Distanzunterrichts ohne Laptop | |
lernen mussten, lässt sich nur schwer sagen. Zahlen würden dazu nicht | |
erhoben, sagt Lydia Puschnerus, Leiterin des Vorstandsbereichs Schule der | |
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin. Puschnerus unterrichtet an | |
einer Willkommensklasse des Robert-Blum-Gymnasiums in Schöneberg und | |
betont, dass die Probleme beim Distanzunterricht unabhängig vom | |
Fluchthintergrund seien. Dennoch „trifft es Schüler*innen mit | |
Migrationshintergrund, die erst kurze Zeit im Schulsystem verbracht haben, | |
schwerer“, sagt sie. | |
Bereits im September vergangenen Jahres hat Amiri beim Landesamt für | |
Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) einen Laptop beantragt – ohne Erfolg. Im | |
Februar erklärte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales | |
in einem Rundschreiben dann, dass Schüler*innen, deren Schule keine | |
digitalen Endgeräte zur Verfügung stellt, hierfür ein Darlehen beantragen | |
können, das nicht zurückgezahlt werden muss. | |
Amiri stellt im März erneut einen Antrag. Wieder wurde dieser nicht | |
angenommen. Die Begründung: Amiri hätte nicht das richtige Formular | |
ausgefüllt, das LAF verwies auf ein überarbeitetes Antragsformular, welches | |
auszufüllen sei. Dieses unterscheide sich aber nicht von dem davor | |
veröffentlichten Vordruck, sagt Kocadag, die den Prozess begleitet hat. | |
Durch den Distanzunterricht hätten die Schüler*innen sowieso schon so | |
viele Defizite, da fühle sich die Bürokratie manchmal so an, „als ob | |
Schikane dahinter ist“, sagt Kocadag und meint damit Fälle wie den von | |
Amiri, bei denen Anträge nur schleppend bewilligt werden. | |
Weil viele vom BBZ betreute Geflüchtete den Distanzunterricht via | |
Smartphone bestreiten mussten, hat das BBZ bereits im September 2020 | |
anwaltlichen Beistand für die Schüler*innen organisiert. Am Ende haben | |
jedoch nur 22 der vom BBZ betreuten Schüler*innen geklagt, nachdem sie | |
vom örtlich zuständigen Jobcenter keinen Laptop bewilligt bekommen haben. | |
„Die Mehrheit hat sich nicht getraut. Es ist den Leuten fremd, für ihre | |
Rechte zu kämpfen“, sagt Kocadag. Bisher haben neun Schüler*innen eine | |
Bewilligung erhalten, es gab eine Absage; zwölf Klagen stehen noch aus. | |
Die Pandemie sorgt für psychische Belastungen | |
Neben Amiri hatte auch ihre Klassenkameradin Hava Morina keinen Laptop für | |
den Distanzunterricht. Die 21-Jährige ist 2014 mit ihren Eltern aus dem | |
Kosovo nach Berlin gekommen. Heute lebt sie alleine, nachdem ihre Eltern im | |
Mai 2016 ausgewiesen wurden, da das Kosovo nach dem Asylgesetz als sicheres | |
Herkunftsland gilt. Morina entging der Abschiebung nur durch einen Zufall: | |
Sie war nicht zu Hause, als die Polizei ihre Eltern abgeholt hat. | |
Durch die Härtefallregelung bekam sie damals eine Aufenthaltserlaubnis, die | |
zuletzt aufgrund ihres Schulbesuchs bis 2024 verlängert wurde. Im Gegensatz | |
zu Amiri lief der Prozess bei Morina reibungslos ab: Sie hat im April ihren | |
Antrag gestellt und rund zwei Wochen später 311 Euro vom Jobcenter für ein | |
digitales Endgerät überwiesen bekommen. | |
Was Morina während der Pandemie jedoch eher belaste, sei die Einsamkeit, | |
sagt sie. Anfangs hat die Schülerin versucht, dem mit Onlineangeboten | |
entgegenzuwirken. Von Yoga über Fitness habe sie alles ausprobiert. Das | |
ersetzt aber nicht ihre Freund*innen, mit denen sie sich vor der Krise | |
täglich abends getroffen hat. Gerade in den letzten Wochen habe sie in | |
ihrer Wohnung, alleine, ohne Familie, viel Zeit zum Nachdenken gehabt. Als | |
sie dann vor einigen Wochen auch noch Corona bekam und einen Monat zu Hause | |
bleiben musste, wurden ihre Gedanken sehr negativ. „Macht das Leben noch | |
einen Sinn?“, habe sie sich gefragt. | |
Vor der Pandemie hätten sich die Schüler*innen nicht so depressiv | |
geäußert, sagt Kocadag, „das hat sich durch Corona verschlimmert“. Das | |
zeigen auch die Ergebnisse einer [1][Online-Umfrage des Bundesfachverbands | |
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e. V].: Gerade junge Menschen würden | |
durch die Coronakrise unter einer psychischen Instabilität leiden. Für die | |
Studie haben 1.026 Fachkräfte Auskunft über die Situation von unbegleiteten | |
Minderjährigen und jungen Erwachsenen sowie von Kindern und Jugendlichen in | |
Familienbegleitung gegeben. | |
Für Berlin wurden keine Zahlen erhoben, erklärt Johanna Karpenstein, die | |
Projektleiterin. Das sei bisher noch eine „empirische Lücke“. Dennoch | |
unterstreicht die Studie, dass die psychische Gesundheit nach Aussage der | |
Fachkräfte während der Corona-Beschränkungen negativ beeinflusst wurde, | |
weil psychisch stabilisierende Freizeitangebote nicht stattfinden konnten. | |
Das hat sich auch am BBZ in Berlin bemerkbar gemacht. | |
Darlehnen reicht nicht für Laptop-Zubehör | |
Um die Schüler*innen als Gruppe zu vernetzen, wurden durch das BBZ | |
alternative Online-Treffen angeboten. „Damit haben wir bei Weitem aber | |
nicht alle Schüler erreicht“, sagt Kocadag. Wie beim Distanzunterricht | |
seien auch bei den Freizeitaktivitäten technische Probleme aufgetreten, | |
sodass nicht alle teilnehmen konnten. Neben fehlenden digitalen Endgeräten | |
könnten sich viele Geflüchtete kein WLAN leisten und mit mobilen Daten | |
funktionieren die Videokonferenzen nur schlecht. | |
Laut dem LAF seien bis Ende April dieses Jahres 1.326 Anträge auf digitale | |
Endgeräte bearbeitet worden. „Rund 90 Prozent der Anträge wurden | |
bewilligt“, so Monika Hebbinghaus, Pressereferentin des LAF. Ablehnungen | |
resultierten aus fehlender Zuständigkeit, bereits durch die Schule zur | |
Verfügung gestellten Leihgeräten oder nicht anerkannten Bildungsgängen. | |
In der Zwischenzeit wurde auch Amiris Laptop-Antrag vom LAF bewilligt. Sie | |
erhält rund sieben Monate nachdem sie ihren Erstantrag gestellt hat, ein | |
Darlehen von 250 Euro. „Da bleibt kein Geld für die Software oder eine | |
Maus“, sagt Kocadag. Für die Sozialarbeiterin ist deshalb klar, dass sie | |
gemeinsam mit Amiri Widerspruch einlegen wird. Zum einen, weil die anderen | |
Schüler*innen im Schnitt rund 100 Euro mehr bekommen hätten, und zum | |
anderen, weil Laptops auch für den Präsenzunterricht notwendig seien. | |
Schließlich, so ist zumindest zu hoffen, wird die | |
Digitalisierungsoffensive unter Corona in den Schulen nicht einfach | |
zurückgedreht, sobald das ersehnte Pandemieende näherrückt. | |
27 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://b-umf.de/material/umfrage-2019/ | |
## AUTOREN | |
Jacqueline Dinser | |
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