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# taz.de -- Gedanken zum Wahlkampf: Wo Özdemir Außenminister wär
> Ein Paralleluniversum bräuchte es, um Fehler ungeschehen zu machen. Und
> um Wunschkandidaten auf Wunschposten zu befördern.
Bild: Die Grünen feiern ihren 40. Geburtstag im Januar 2020
Vor ein paar Wochen meldeten Boulevardblätter, die [1][Nasa habe ein
Paralleluniversum] entdeckt, in dem die Zeit rückwärtslaufe. Der Eingang
dazu befinde sich in der Antarktis. Das erinnerte mich an die Behauptungen
von Nazi-Esoterikern, Hitler habe sich einst in eine unterirdische Basis in
[2][Neuschwabenland] geflüchtet. Neuschwabenland gibt es wirklich. Das
Deutsche Reich hat 1939 in diesen Teil der Antarktis eine Expedition
entsandt.
Und es gibt auch eine faszinierende neue kosmologische Theorie, die – kurz
gesagt – darauf hinausläuft, dass sich, wenn man in der Zeit zurückgeht und
die Singularität des Urknalls durchquert, „auf der anderen Seite“ ein
Spiegeluniversum vorfindet. Die Sache mit der Antarktis wiederum erklärt
sich so, dass dort Teilchen entdeckt wurden, die es nicht geben dürfte. Die
beobachtenden Wissenschaftler wollten ihr Erscheinen mit der neuen
[3][Spiegeluniversumtheorie] erklären.
Das populäre Fantasieren über Paralleluniversen, die unserem gleichen, aber
sich in kleinen Details deutlich unterscheiden, erklärt sich aus dem
verständlichen menschlichen Wunsch, in einem Paralleluniversum ungeschehen
zu machen, was man im eigenen Kosmos verbockt hat. Da ständig Fehler
gemacht werden, ist die Vorstellung unendlich vieler Paralleluniversen
verlockend.
Vielleicht wünscht sich [4][Annalena Baerbock] auch gerade in ein
Paralleluniversum. Wenn dem so sein sollte, ist es vermutlich nicht
dasselbe, in dem ich gern wäre. Kaum hat sich Baerbock mehr schlecht als
recht aus der Lebenslauf-Affäre gezogen, stehen Vorwürfe im Raum, sie habe
in ihrem Buch [5][„Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“] nicht korrekt
zitiert.
Im Zeitalter von Copy and Paste und schnell auf den Markt geworfener
Produkte ist es wenig erstaunlich, wenn in einem Buch statt einer
Paraphrase eines Gedankens, den die Autorin auch nicht selber gedacht hat,
ein halber Satz im Manuskript steht, der wörtlich von jemand anders stammt.
Das sollte nicht passieren. Aber es macht einen Unterschied, wer so
schlampig arbeitet.
## Baerbock will nur Kanzlerin werden
Vor nicht allzu langer Zeit konnte das Publikum dabei zuschauen, wie eine
ob ihrer gar nicht so originellen Thesen von Teilen des Feuilletons
gefeierte Wissenschaftlerin von ebenjenen Feuilletonisten verteidigt wurde,
als sich herausstellte, dass ihr hoch gelobtes Buch Passagen aus gleich
mehreren ungekennzeichneten Quellen enthielt.
In der Wissenschaft sollten strenge Regeln gelten. In einem besseren
Paralleluniversum würde bestraft, wer sie bricht. In Universen, in denen
diese Standards nicht gelten, kann man über kurz oder lang die
Universitäten dichtmachen. Aber nee, halt, das geht nicht: Von irgendwem
müssen Leute mit politischen Ambitionen ja ihre Doktortitel bekommen.
Annalena Baerbock ist keine Wissenschaftlerin, sie will nur Kanzlerin
werden. Für funkelnde Ideen gibt es talentierte Redenschreiber, wobei auch
die sich in der Regel mit dem Formulieren allzu kühner Gedanken
zurückhalten, weil es in der Politik nach allgemeinem Dafürhalten um die
pragmatische Lösung von Problemen geht. Wobei ich mir vorstellen könnte,
dass originelle Ideen bei der Problemlösung hilfreich wären.
In Baerbocks Buch heißt es: „Wer immer nur von der Gegenwart aus denkt,
verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe.“ Die
nicht zitierte Quelle dieser Stelle könnte dieser Satz einer
sicherheitspolitischen Expertin sein: „Wer ständig in Krisen denkt,
verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe.“
Ja, nun. Was soll man dazu sagen? Wer nicht in die Zukunft schaut, verharrt
im Sumpf der Gegenwart und bringt uns auch mit Floskeln nicht voran. Das
gilt für Experten wie für Kanzlerkandidatinnen. Ich werde also [6][Marco
Buschmann] von der FDP nicht widersprechen, der sagte: „Die Sache selber
ist im Grunde eine Kleinigkeit. Aber beide Seiten putschen den Konflikt mit
Kampfbegriffen wie Plagiat und Rufmord immer weiter auf.“ Dann spielte
Buschmann den Ball zurück ins Feld des Politischen.
Oder wäre es präziser zu sagen, er versenkte sich in die strategische
Tiefe? Er sagte jedenfalls: „Mir wäre lieber, wir würden über die
Modernisierung von Staat, Infrastruktur und sozialem Sicherungssystem
sprechen.“ Ja, das ist doch mal eine gute Idee! Fragt sich bloß, warum sich
die FDP freiwillig für vier Jahre Opposition entschieden hat, als es 2017
darum ging, eine Jamaikakoalition zu bilden, die Staat, Infrastruktur und
soziales Sicherungssystem inzwischen längst modernisiert hätte?
Je länger dieser Wahlkampf dauert, desto schmerzlicher wird mir bewusst,
wie sehr ich es [7][Christian Lindner] übel nehme, dass er die
Zukunftskoalition aus Union, FDP und Grünen damals verhindert hat. Ich
würde gern in einem Paralleluniversum leben, in dem Cem Özdemir längst
Außenminister ist.
4 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=UMkcJGM8hqc
[2] https://www.travelbook.de/orte/skurrile-orte/neuschwabenland-antarktis-irre…
[3] https://www.youtube.com/watch?v=uIhekmR7Dvk
[4] /Plagiatsvorwurf-gegen-Kanzlerkandidatin/!5783913
[5] https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/jetzt-9783550201905.html
[6] https://twitter.com/MarcoBuschmann/status/1410590738396725254?ref_src=twsrc…
[7] /Verhandlungen-zur-Jamaika-Koalition/!5457921
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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Kolumne Der rote Faden
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