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# taz.de -- Album „Ali“ von Nene H: Harte Arbeit
> Nene H hat ihr Debütalbum „Ali“ veröffentlicht. Noise und Harmonien,
> Geboller und erhabener Gesang gehen darauf gemächlich im Nirvana auf.
Bild: Hier zeigt sich Nene H ganz verträumt, ihre Musik ist jedoch meistens au…
Moment, ist das etwa ein Rhythmus? Ein Beat gar? Von links nach rechts, von
oben nach unten pendelt der Sequenzer, dann setzt sogar ein Geklöppel ein,
das sich kunstvoll um sich selbst windet, aber trotzdem: Bis „We Wait“
tatsächlich Club-Tauglichkeit entwickeln könnte, ist es noch ein weiter
Weg.
Aber dann: das vorwärtsdrängende „The Hustle“, spartanisch und effektiv,
wenige exotische Schlieren, der Beat kurz vorm Überschnappen, aber zugleich
kontrolliert, mechanisch und doch lebendig – ein Track, an dem man hängen
bleibt, weil er so gar nicht nach Techno klingt, aber dann doch ganz
eindeutig ist.
Die in der Türkei geborene und dort in einer traditionellen Familie
aufgewachsene Klangkünstlerin, die sich mal Nene H, mal Nene Hatun nennt
nach einer türkischen Freiheitskämpferin, lebt in Kopenhagen und Berlin.
Die Gefahr, [1][auf einem mitteleuropäischen Tanzboden demnächst auf einen
ihrer Tracks zu treffen, ist zwar wegen Corona unwahrscheinlich.]
Aber wenn sich das Leben wieder normalisiert haben sollte, könnte es
passieren, dass man dem einen oder anderen der Stücke ihres eben
erschienenen ersten Albums „Ali“ mal morgens um vier Uhr begegnet. [2][Das
Mixmag-Magazin nannte Nene H einen „breakout star“, ihre DJ-Sets
„hypnotisierend“.]
## Residency in Kopenhagen
Genauso gut aber funktioniert ihre Musik auf Avantgarde-Festivals, spielt
sie doch ebenso versiert mit den Konventionen des Hörspiels wie mit den
Versatzstücken der elektronischen Clubkultur. Folgerichtig legt sie auch
schon mal auf im Berghain und besitzt eine Residency im angesagten
Kopenhagener Club Endurance.
Aber ihre womöglich wichtigsten Auftritte hatte sie in den beiden
vergangenen Jahren bei den Berliner Festivals Atonal und CTM, wo sie – wie
als visuelle Verlängerung ihrer Musik, die sich beständig zwischen zwei
Kulturen, zwischen Tradition und Moderne bewegt – einmal im Hijab hinter
ihrem Equipment stand. Ein Jahr später erarbeitete sie mit einem
achtköpfigen Chor aus Georgien schon eine Auftragsarbeit fürs CTM.
Mit der Musik begonnen hat Beste Aydın, wie Nene H im bürgerlichen Leben
heißt, einst als klassisch ausgebildete Pianistin, die im zarten Alter von
elf Jahren Rachmaninoff spielte und sieben Jahre lang in Stuttgart
Komposition studierte, bevor sie sich nach ihrem Umzug 2015 nach Berlin der
Elektronik zuwandte, mit Techno und Industrial experimentierte, Noise- und
Dark-Wave-Elemente, die türkischen und aserbaidschanischen Harmonien, mit
denen sie aufgewachsen ist, oder religiöse Gesänge aus Tibet integrierte.
Von jenen spirituellen Chants zog Aydin eine direkte Linie zu den harten
Beats Berliner Clubs: „It’s techno. It’s fucking techno“, sagte sie dam…
in einem Interview mit Resident Advisor: „Es ist genau dasselbe Gefühl.“
## Gebete in Songs verarbeitet
Diese Idee greift sie auf „Ali“ ebenfalls wieder auf in Tracks wie „Gebet…
in dem sich über einem stumpfen Geboller ein erhabener Gesang so lange
selbstzufrieden im Kreis dreht, bis er gemächlich im Nirvana aufgeht.
Grundsätzlich aber entfernt sich Aydın mit ihrem Debütalbum entschieden
vom Dancefloor. „Ali“ ist ein Konzeptalbum, in dessen acht Tracks sie den
Tod ihres Vaters verarbeitet. Die mal türkischen, mal deutschen Texte, die
mal eher Klang als Inhalt sind, mal dräuend von Trauer und Verlust
erzählen, bilden im Zusammenspiel mit der Musik, die konsequent zwischen
den Polen Techno und türkische Musik hin und her pendelt, eine zusätzliche
Ebene, auf der sich Nene H mit dem Leben zwischen zwei Kulturen auseinander
setzt.
Dass diese Auseinandersetzung nicht immer harmonisch abläuft, dass sie
mitunter anstrengend ist, das kann man der Musik anhören. „Ali“ ist keine
Klangtapete, keine Hintergrundmusik, kein Soundgebimmel für eine hippe
Ausstellungseröffnung, sondern harte Arbeit – auch für den Hörer und
selbst, wenn dann doch mal der Beat einsetzt.
18 Jul 2021
## LINKS
[1] /Nachtleben-in-Berlin/!5777503
[2] https://mixmag.net/feature/nene-h-impact-dj-mix-techno-interview
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
Musik
Club
Türkei
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Techno
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