# taz.de -- Album der Rapperin Breezy: Berlin, du machst es mir nicht leicht | |
> Einen Platz schaffen für Schwarze, feministische und queere | |
> Künstler*innen: Das geht die Rapperin Breezy mit ihrem Album | |
> „Schwarzfahren“ an. | |
Bild: Breezy versucht, Berlin in seiner ganzen Diversität abzubilden | |
Ein dunkler Kelleraufgang, grelle Graffiti auf sonst kahlem Beton, ein | |
Stück antifaschistischer Schutzwall, eine U-Bahn fährt ein am Kottbusser | |
Tor, und Schwarzlicht erhellt die Gesichter. Das sind zwar nicht die | |
gewöhnlichen Hochglanz-Klischees, die im Videoclip zu „The Berlin Poem“ | |
genutzt werden, aber Klischees sind es doch. Nur eben von einem | |
alternativen, ruppigen, aber im Herzen doch liebenswerten Berlin, wo jede | |
und jeder sein darf, was er ist oder sein will, vielleicht auch irgendetwas | |
dazwischen. Oder, wie es im Text heißt: „Berlin, you make it so hard to | |
live here – but don’t make me leave.“ | |
Das „Berlin Poem“ ist das zentrale Stück auf „Schwarzfahren“, dem | |
Debütalbum der US-amerikanischen Rapperin Breezy. Der Text des Stücks | |
stammt von der Dichterin Arielle Cottingham. Das ein wenig pathetische, | |
aber auch sehr wahrhaftige Gedicht, in dem die Second-Hand-Kette Humana, | |
harter Berliner Techno und das Hupen eines türkischen Hochzeits-Autokorso | |
eine Rolle spielen, und vor allem das Zusammenspiel mit dem nervösen, | |
hibbeligen Beat sind die Essenz eines Berlin, das Menschen wie die | |
US-Amerikanerin Breezy, die in Texas geborene Cottingham und viele andere | |
der Gäste auf „Schwarzfahren“ in die Stadt gebracht hat. | |
Denn die Tracks, auf denen Breezy ganz allein rappt auf ihrem Album, sind | |
rar gesät. Einer davon heißt „Get Out“ und beschreibt detailliert, wie sie | |
in Deutschland gelandet ist und vor allem, warum sie seit drei Jahren nicht | |
mehr in den USA lebt, wo sie 1988 geboren wurde. | |
Während der Old-School-Beat rattert, ist da die Rede vom Rattenrennen aus | |
Job und Konsum, vom strukturellen Rassismus, vom gläsernen Kunden, von Dave | |
Chapelle, von Ängsten und Selbstmorden, von Segregation und dem ungerechten | |
Schulsystem. Es gab also viele Gründe zu gehen, auch wenn sie singt: „Don’t | |
get me wrong/ I miss California/ So expensive/ Who can afford it.“ | |
Bis heute vermisst Breezy vor allem im berüchtigten Winter die alte Heimat | |
Kalifornien, sagt sie, aber auf dem Album stellt sie sich nur selten so in | |
den Mittelpunkt. Viel öfter hat sie sich ganz bewusst | |
Kollaborateur*innen eingeladen. | |
## Hymne auf eine Aktivistin | |
Der Song „#sayhername“, eine Hymne auf die US-amerikanische Aktivistin | |
Kimberlé Crenshaw, eine führende Vertreterin der Critical-Race-Theorie, ist | |
zusammen mit der Produzentin Kerit entstanden. Der Rhythmus schleift | |
verführerisch, der Refrain dreht sich in melodiöse Höhen, bevor man | |
Crenshaw über die Lebenswelt Schwarzer Frauen sprechen hört. Dass Breezy | |
als Vorbilder [1][Lauryn Hil]l und [2][Kendrick Lamar] angibt, ist zu | |
hören. | |
In „Decolonize & Moisturize“ wird sie von Nasheeka Nedsreal, der Tänzerin | |
und Gründerin des Kollektivs Soul Sisters Berlin, unterstützt. Die | |
Musikerin Ys4jd alias Debby James, die in Mosambik geborene Natalie Greffel | |
und Okcandice, die verschiedene BIPOC-Eventreihen initiiert hat, gehören | |
ebenfalls zu den Gästen. Die Auswahl und damit die Themen sind natürlich | |
kein Zufall. | |
Schon das „Schwarzfahren“ aus dem Albumtitel ist für Breezy vor allem ein | |
Bild, wie es sich anfühlt, als Mensch mit nichtweißer Hautfarbe in einer | |
weiß dominierten Welt zu leben. „Die Intention des Albums war nicht | |
zuletzt, einen Platz zu schaffen für Schwarze, feministische und queere | |
Künstler*innen aus Berlin“, sagt die Rapperin. Sie wuchs mit einem | |
Schwarzen und einen weißen Elternteil in Connecticut auf, bevor sie mit 19 | |
Jahren nach Los Angeles ging, und sie identifiziert sich selbst als queer. | |
Ihr vor zwei Jahren erschienenes Mini-Album „Mulatto Madness“ erzählt vor | |
allem von dieser Erfahrung. | |
## Ein niedrigschwelliges Werkzeug | |
Das Album „Schwarzfahren“ weitet nun den Blick über die persönliche | |
Perspektive hinaus und wirft ganz ausdrücklich ein Schlaglicht auf eine | |
Szene, die zwar mit Orten und Partys wie der „Swag Jam“ im Badehaus ein | |
solides Netzwerk durch Berlin geknüpft hat, aber immer noch große Probleme | |
hat, an die breite Öffentlichkeit zu gelangen. Identitätspolitische | |
Positionen und Minderheitenstandpunkte mögen sonst in der Kunst vehement | |
nach vorne drängen, im HipHop aber gibt es da noch Nachholbedarf. | |
Vielleicht deshalb, weil Rap traditionell von marginalisierten Gruppen als | |
Ausdrucksform benutzt wurde und dieses Selbstverständnis der | |
Selbsterkenntnis im Wege steht, dass ein sehr männlicher Rap im Mainstream | |
dominiert. Aber und natürlich funktioniert Rap immer noch als | |
niedrigschwelliges Werkzeug für alle, die mehr sagen wollen, als dass sie | |
geiler sind als die anderen und reich werden wollen. | |
Eben auch als Werkzeug für diejenigen, die nach Berlin gekommen sind, um | |
hier das sein zu können, was sie anderswo nicht so leicht sein konnten. So | |
ist „Schwarzfahren“ eben nicht nur ein politisches und gesellschaftliches | |
Statement, sondern vor allem auch ein Versuch, Berlin in seiner ganzen | |
Diversität abzubilden. Auch wenn das in gewisser Weise auch schon wieder zu | |
einem Klischee geworden ist. | |
2 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
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