| # taz.de -- Neues Album vietnamesischer Band: Thrill-Ride durch die Apokalypse | |
| > Das Experimentalmusikkollektiv Rắn Cạp Đuôi veröffentlicht ein neues | |
| > Album. Es klingt nach Aliens, Sperrfeuer und springenden Schrauben. | |
| Bild: Interessieren sich mehr für Sounds als für Melodien: die Jungs von Ră… | |
| Es gibt im Englischen das schöne Wort „glitch“, das so was wie „Störimp… | |
| oder „kleiner Defekt“ bedeutet. Gleichzeitig klingen zumindest für | |
| Deutschsprechende auch Wörter wie „Glibber“ mit, etwas Nasses, Zähflüssi… | |
| also. Genau nach dieser Mischung klingt auch das neue Album von Rắn Cạp | |
| Đuôi, einem Experimentalmusik-Kollektiv aus Saigon, Vietnam. Die Band | |
| besteht seit etwa neun Jahren, damals waren ihre drei Mitglieder noch | |
| Teenager. | |
| „Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế“, das neue Album, das übersetzt etwa d… | |
| Apokalypse durch- beziehungsweise verschlafen bedeutet, zeichnet vor allem | |
| die Mischung aus organischem und technischem Sound aus. Gleich im | |
| Eingangstrack „Images“ etwa lässt man sich von dumpfen | |
| Herzschlag-Geräuschen einlullen, die nur mit Kopfhörern wirklich | |
| wahrnehmbar sind, um dann von einer arg zersplitterten Kick-Drum wieder in | |
| die dissonante Wirklichkeit gerissen zu werden. | |
| Wobei diese Wirklichkeit irgendwo im Weltraum angesiedelt sein muss, | |
| irgendwo, wo Zeit und Raum ein bisschen anders funktionieren als auf der | |
| Erde. Dunkel fühlt man sich auch [1][an Filme wie „Das fünfte Element“ | |
| erinnert]: futuristisch schon, aber trotzdem ein bisschen kaputt, | |
| angerostet. Hier und da springt mal überraschend eine Schraube heraus, | |
| woanders steigt Rauch auf. | |
| Dieses Mechanische im Sound, man könnte es auch mit Motorrädern in | |
| Verbindung bringen, die in Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon heute heißt, | |
| omnipräsent sind. Die Verbindung zur Heimatstadt ist von Rắn Cạp Đuôi | |
| durchaus beabsichtigt, die ihr Album als einen „surrealen und | |
| psychedelischen Thrill-Ride“ durch vietnamesische Traditionen und Kultur | |
| verstehen. | |
| ## Klänge der südostasiatischen Großstadt | |
| Immer wieder sind die südostasiatischen Einschläge auch zu hören, etwa in | |
| „Eri Eri Eri Eri Eri Rema Rema Rema Rema Rema“, wo hinter akustisches | |
| Sperrfeuer – Schwertklirren, Fast-Forward-Geräusche – Marktgesänge und | |
| asiatische Zupfinstrumente geschnitten werden. Oder auch in „Distant | |
| People“, wo möglicherweise Reis auf ein Snare-Drum-Fell geschüttet wird; so | |
| ganz genau lässt sich das bei Rắn Cạp Đuôi nicht sagen, zu verfremdet si… | |
| die zerstückelten Soundeffekte. | |
| Die Band setzt die verschiedenen Klänge als Störgeräusche ein, die aus dem | |
| eigentlichen Stück herausreißen, das wiederum fast nur aus Störgeräuschen | |
| besteht – „glitch“ eben. | |
| Wenn „Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế“ als Vertonung Saigons gehört wer… | |
| dann findet sich auch das Widersprüchliche der Stadt darin wieder, die bis | |
| 1975 als Hauptstadt des von den [2][USA unterstützten Südvietnams | |
| fungierte]. Unleugbar eine asiatische Großstadt, säumen die Straßen | |
| Ho-Chi-Minh-Stadts US-amerikanisch aussehende Cafés, zudem zeugt die große | |
| Basilika, die Notre-Dame von Saigon, vom Leben unter den französischen | |
| Kolonialherren. | |
| Die Titel auf dem Album von Rắn Cạp Đuôi, die auf Deutsch übrigens | |
| Skorpionschwänze heißen, sind so auch abwechselnd englisch und | |
| vietnamesisch. Auch das Kollektiv selbst ist multinational: Neben Bassist | |
| und Produzent jung buffalo (Đỗ Tấn Sĩ) hat Phạm Thế Vũ die Lyri… | |
| Ngày Ngay Ngày Tận Thế“ verfasst. Die Musik stammt hingegen fast | |
| ausschließlich von Zach Schreier, der sich nur Zach Sch nennt und auf dem | |
| Album den Tod seines Vaters verarbeitet. | |
| ## Melodiöses als Kontrapunkt | |
| Als Schlüsselstück lässt sich so womöglich „Denial and Caves“ verstehen, | |
| das trotz seines Titels das fröhlichste, melodischste Lied des Albums ist. | |
| Vogelgezwitscher und das Summen und Surren von Insekten breiten sich hier | |
| ungestört aus, ohne wie sonst von Alien-Sounds durchstoßen zu werden. | |
| Lediglich die langsamen Orgelklänge darunter lassen die Zuhörer:innen | |
| an eine Beerdigung denken. | |
| Auch der letzte Song des Albums „Đme giựt mồng“ stimmt hoffnungsvoll, … | |
| der Text, den die Band für die taz aus dem Vietnamesischen ins Englische | |
| übersetzt hat, spricht von dunklen Zeiten: von falschen Seelen, falschen | |
| Geliebten, die aus Kokons entschwinden, und dem Tod. | |
| „Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế“ klingt anders als die Vorgängeralben … | |
| Kollektivs aus Saigon. „In a Grass House“ von 2014 ist wohltönend, sogar | |
| durchgängige Schlagzeugrhythmen gibt es. Auch das 2018er Album „Đẹp Trai | |
| Chết Hết“ ist noch unverkennbar melodisch, sanfter, mit Gesangspassagen. | |
| „Ngủ Ngày Ngay Ngày Tận Thế“ ist dunkler, weniger zum Träumen als … | |
| Aufwachen geeignet, disruptiv. | |
| Womöglich hängt das mit der Co-Produzentin des Albums zusammen: | |
| Verantwortlich zeichnet Ziúr, die in Berlin lebende DJ und | |
| Experimentalmusikerin. Hört man sich ihr neuestes Album „Antifate“ an, | |
| fällt auf, dass hier ähnlich klingende Kick-Drum-Punches verbaut wurden wie | |
| bei Rắn Cạp Đuôi. Nur der „glitch“ ist vielleicht nicht ganz so domin… | |
| 13 Jul 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julia Hubernagel | |
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