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# taz.de -- Vietnamesen in Berlin: Es muss weiß Gott kein Buddha sein
> Lichtenberg plant für vietnamesischstämmige Berliner*innen ein
> buddhistisches Gräberfeld. Allerdings sind viele gar keine Buddhisten.
Bild: Auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, wo jeden Januar die Liebknecht-L…
Als Cans Vater vor 18 Jahren in Vietnam starb, hatte der Deutschvietnamese
seiner Mutter ein Versprechen gegeben: Wenn er schon nicht zu Lebzeiten in
sein Heimatstädtchen zurückkehren wird, dann wird er zumindest seinen
Leichnam dorthin überführen lassen. Can, der in Berlin lebt, sollte in
seinem nordvietnamesischen Heimatort begraben werden, am Ort des
Ahnenaltars, dort wo auch die Ahnen seiner Vorfahren zu Hause sind. Für den
ältesten Sohn der Familie gebietet das der in Vietnam tief verwurzelte
Ahnenkult. Und Can, der zum Studium in die DDR gekommen und in Deutschland
geblieben ist, hat seiner Mutter auch versprochen, seinen eigenen Sohn so
zu erziehen, dass der seine Begräbniszeremonie nach der Tradition managen
wird.
„Vor zwei Jahren ist meine Mutter gestorben“, sagt Can, der seinen
richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, der taz. „In ihren letzten
Jahren hat sie diesen Wunsch nicht mehr geäußert. Sie hat akzeptiert, dass
ich und meine Kinder in Deutschland anders aufwachsen und Berlin meine
Heimat ist.“ Inzwischen steht für Can, Mitte 50, fest, dass er in Berlin
begraben werden will. In der Stadt, in der er die Hälfte seines Lebens
gelebt hat und in der zwei seiner drei Kinder zu Hause sind.
Aber wo könnte er seine letzte Ruhe finden? „Seit Corona beschäftige ich
mich damit. Ich gehöre einer Risikogruppe an“, sagt der Mann. Weil es
anderen ähnlich geht, ist es wohl kein Zufall, dass sich die Vereinigung
der Vietnamesen in Berlin und Brandenburg gerade im Coronajahr mit dem
Gedanken trug, auf einem Lichtenberger Friedhof ein eigenes Gräberfeld zu
installieren mit einer kleinen Pagode oder zumindest einem Schrein, in dem
man Räucherkerzen aufstellen kann. Sie haben sich mit dem Anliegen an den
Bezirk Lichtenberg gewandt, an jenen Bezirk, in dem die meisten Berliner
Vietnamesen wohnen. Die BVV hat im Juni auf Antrag der Linken beschlossen,
gemeinsam mit der Community diese Möglichkeit zu prüfen.
## Offene Türen
Beim Bezirksamt seien sie offene Türen eingerannt, sagt der zuständige
Stadtrat Martin Schaefer (CDU) der taz. „Letzten Dezember hat unser
Friedhofsamt ein Konzept vorgelegt, unseren einzigen staatlichen Friedhof
im Bezirk für neue Gruppen zu öffnen.“ Gemeint ist der Zentralfriedhof
Friedrichsfelde, auf dem fast die gesamte SED-Führungsriege begraben liegt
und zu dem jeden Januar die Liebknecht-Luxemburg-Demo führt.
Wie alle Friedhofsträger hat auch Lichtenberg freie Friedhofsflächen im
Überfluss, weil der Trend zu kleineren Grabstellen und anonymen
Bestattungen anhält. Vier staatliche Friedhöfe in Lichtenberg wurden
deswegen in den vergangenen 20 Jahren geschlossen. Kirchlichen Friedhöfen,
die in Berlin den Löwenanteil stellen, geht es nicht anders. Das Konzept
des Lichtenberger Friedhofsamtes sah ausdrücklich ein buddhistisches
Gräberfeld vor und dachte dabei an die in Lichtenberg sehr große Gruppe der
Vietnamesen. Eine Pagode wäre wegen des Denkmalcharakters des
Zentralfriedhofes Friedrichsfelde aber nicht genehmigungsfähig.
Ein buddhistisches Gräberfeld für 100 Erdbestattungen, 800 Urnengräber,
einer riesiger Buddha-Statue und Türmen gibt es bereits auf dem Friedhof
Ruhleben am anderen Ende der Stadt. Das hat 2003 die buddhistische Gemeinde
in Spandau initiiert. Es hat noch etliche freie Plätze. Hier liegen vor
allem vietnamesische Bootsflüchtlinge begraben, die im Durchschnitt zehn
Jahre älter als die ehemaligen Vertragsarbeiter der DDR waren und von denen
deshalb schon mehr gestorben sind.
Der Weg nach Ruhleben ist von Lichtenberg oder Marzahn-Hellersdorf, den
Orten, wo die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter und ihre Nachfahren
hauptsächlich leben, aber sehr weit. Darum wird der Ort von Vietnamesen aus
dem Ostteil der Stadt wenig aufgesucht. Und es gibt einen weiteren Grund:
Die Pagode in Spandau und die dort lebenden Nonnen, die wie alle
buddhistischen Pagoden keinerlei staatliche Zuschüsse erhalten,
erwirtschaften einen großen Teil ihrer Einnahmen über Begräbnisse und
religiöse Zeremonien. Das macht Beerdigungen dort teuer.
## Auch Bestattung in Vietnam ist zu teuer
Noch teurer ist es allerdings, die Leichen hier verstorbener Vietnamesen
nach Vietnam zu schicken, erzählt Huu Thanh Nguyen von der Vereinigung der
Vietnamesen in Berlin und Brandenburg. „Da kommen leicht fünfstellige
Summen zustande und die Hinterbliebenen bitten auf Facebook um Spenden. Das
Geld kann man sinnvoller ausgeben.“ Hung Manh Le ist Journalist und Musiker
und hat schon für mehrere Landsleute Grabreden gehalten. „Die Familien
haben jeweils den Friedhof am Wohnort gewählt“, erzählt er.
Er lobt auch den professionellen Umgang von Friedhofsverwaltungen mit den
kulturellen und spirituellen Bräuchen der Vietnamesen. Die Familien dürften
ihre eigenen Musik-CDs mitbringen. Vor 20 Jahren hätte es ein Friedhof
wegen Brandschutzbedenken noch untersagt, während der Beisetzung
Räucherstäbchen für den Verstorbenen anzuzünden. „Heute weiß man, dass
davon keine Gefahr ausgeht. Es wird auch erlaubt, während der
Begräbniszeremonie auf dem Altar Teller mit Obst und gekochtem Essen für
den Verstorbenen aufzustellen. Die Mitarbeiter wissen, dass die Familien
die Teller anschließend wieder mit nach Hause nehmen.“
Das Weiterleben der Seelen der Verstorbenen im Jenseits an jenem Ort, wo
der Tote zu Hause war, ist ein unter Vietnamesen weit verbreiteter Glaube.
Er kommt aus den in Vietnam verbreiteten Naturreligionen. Im Buddhismus,
dem sich nur eine Minderheit der Vietnamesen zugehörig fühlt, glaubt man
hingegen, dass die Seele des Verstorbenen in ein anderes Lebewesen
übergeht. Das kann ein Mensch am anderen Ende der Welt sein oder auch eine
Pflanze. Wie alle Weltreligionen, die nach Vietnam kamen, hat der
Buddhismus aber akzeptiert, dass viele Vietnamesen neben buddhistischen
Ritualen auch weiterhin Ahnenkult und andere naturreligiöse Praktiken
zelebrieren. Buddhistische Pagoden stellen für den Dialog mit den Ahnen,
der das Gegenteil des eigenen Glaubensinhaltes ist, sogar ihre Altäre
bereit.
Der katholische Pater Stefan Taeubner, der Seelsorger für Vietnamesen ist,
hat auch solche Orte in seiner Kirche integriert. Er beobachtet eine große
Unsicherheit von hier geborenen Vietnamesen der zweiten Generation in Bezug
auf die spirituellen Praktiken, wenn ihre Eltern sterben. „Sie fragen mich
dann, ob die Seelen ihrer Eltern in Deutschland oder in Vietnam weiterleben
und was sie für deren Wohlergehen tun müssen.“ Katholische Vietnamesen, so
Taeubner, lassen sich meist auf katholischen Friedhöfen begraben.
## Ein Gräberfeld für Vietnamesen wäre sinnvoller
Dass der Bezirk Lichtenberg für die nichtkatholischen Vietnamesen jetzt
ausgerechnet ein buddhistisches Gräberfeld einrichten will, sieht er
kritisch. „Gerade die in die DDR gekommenen Vietnamesen fühlen sich oft
weder dem Christentum noch dem Buddhismus zugehörig. Sie zelebrieren aber
einen Totenkult, der auf Naturreligionen beruht. Hier sollte man vielleicht
eher einen religionsneutralen Namen und Träger suchen.“
Auch Hung Manh Le, der Erfahrung als Trauerredner hat, sieht die Fixierung
des Bezirkes auf den Buddhismus kritisch. „Wenn buddhistische Nonnen und
Mönche zu Begräbnissen eine Zeremonie machen, dauert das Stunden und ist
teuer. Man muss schon sehr religiös sein, um sich dabei nicht zu
langweilen.“
Ein Gräberfeld speziell für Vietnamesen hält er hingegen für sinnvoll –
„nicht für mich selbst, aber für diejenigen, die noch nicht so lange in
Deutschland leben und noch nicht so gut integriert sind. Sie fühlen sich
dann beim Sterben nicht allein.“ Und dass sich ein Friedhof auf
vietnamesische Begräbniszeremonien spezialisieren könne, hätte auch
Vorteile. „Die Mitarbeiter gehen dann noch professioneller damit um.“
Can, der seit Corona mehr über seinen Tod nachdenkt, will auf keinem Fall
in Friedrichsfelde begraben werden. Wegen der vielen SED-Prominenten, die
dort liegen, sagt er. Ein vietnamesisches Gräberfeld würde er sich
wünschen, aber auf einem anderen Friedhof. Der Bezirk sei „gerade dabei,
die Bedarfe kennenzulernen“, sagt Stadtrat Martin Schaefer. Auch wenn eine
Pagode in Friedrichsfelde wohl nicht möglich sei, kleinere Bauten könne man
prüfen. „Wir wollen den Friedhof fit machen für die Zukunft. Da müssen wir
uns umstellen.“
Die Linke Birgit Stenzel, die den BVV-Antrag initiierte, will gemeinsam mit
vietnamesischen Vereinen noch einmal den religiösen Rahmen diskutieren.
Erik van Look vom Evangelischen Friedhofsverband, der in Lichtenberg zwei
Friedhöfe unterhält, bietet den Vietnamesen ebenfalls Flächen an. „Wir sind
gegenüber anderen Konfessionen und Konfessionslosen offen.“
21 Jun 2021
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Vietnamesen in Berlin
Vietnam
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Was macht eigentlich …?
Lichtenberg
Buddhismus
Experimentelle Musik
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Buddhisten
Menschenhandel
Schwerpunkt Korruption
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