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# taz.de -- Kritik vietnamesischer Vereine: Verschiedene Perspektiven
> Vietnamesen in Berlin wehren sich gegen Medienberichte über
> Menschenhandel. Die Emotionalität der Debatte ist in der
> Migrationsgeschichte begründet.
Bild: Razzia der Bundespolizei gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution in B…
Berlin taz | Vietnamesische Vereine im Ostteil Berlins lehnen es ab, bei
der illegalen Migration von Vietnam nach Europa von Menschenhandel zu
sprechen. Duc Nguyen von der Vereinigung der Vietnamesen in Berlin und
Brandenburg hat sich an die taz gewandt, weil er „das Medienbild
zurechtrücken will“, wie er sagt. Denn in Filmen und Presseberichten, aber
auch in Darstellungen der Polizei ist immer wieder davon die Rede, Kinder
aus Vietnam würden von Schlepperbanden nach Europa gebracht werden, um
hier ausgebeutet zu werden.
Nguyen sagt: „Hier wird mit dem Bild von Kindern zu sehr auf Emotionen
gesetzt.“ Diese Kritik werde „von allen Vereinen artikuliert, die sich in
der Arbeitsgruppe Vietnam treffen“. Das sind Vereine im Ostteil Berlins.
Ehemalige Bootsflüchtlinge aus Vietnam, mit denen die taz auch gesprochen
hat, teilen die Kritik nicht.
Wenn die Polizei, wie in diesem Monat geschehen, einer Bande das Handwerk
lege, die neu in Berlin angekommene Frauen in die Prostitution zwinge,
dann, so Nguyen, „verurteilen wir diese Taten selbstverständlich auf das
Schärfste“. Kriminologen sprechen eindeutig von Menschenhandel, wenn
Menschen in ausbeuterische Verhältnisse gezwungen werden.
Doch ist das typisch für die vietnamesische Migration nach Europa? Die
Frage ist auch unter Polizeiexperten umstritten. In einem im Januar
ausgestrahlten Film der RBB-Autoren Adrian Bartocha und Jan Wiese über
vietnamesische Kinder, die nach Europa verbracht, unterwegs festgehalten
und zur Arbeit gezwungen werden, sprechen die Bundespolizei, aber auch die
Polizeien in Polen und Großbritannien von Menschenhandel, weil die Opfer in
ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen landen.
Das Berliner Landeskriminalamt lehnt das ab und geht nur in Ausnahmefällen
von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen aus, in der Regel von illegaler
Migration und Schwarzarbeit. Die Frage ist wichtig, denn Opfer von
Menschenhandel können staatlichen Schutz in Anspruch nehmen. Demnächst wird
der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses dazu beraten.
## Zwei Kritikpunkte
Nguyens Kritik lässt sich in zwei Punkten zusammenfassen: Erstens behauptet
er, dass fast alle Menschen aus Vietnam freiwillig und aktiv nach Europa
kommen und dafür sogar viel Geld zahlen. In Medienberichten und von
Polizisten werde jedoch der Eindruck erweckt, sie kämen einzig nach Europa,
weil ihnen Schleuserbanden falsche Hoffnungen auf ein besseres Leben machen
würden und sie in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse pressen wollten.
Nguyen: „Wer sich auf den Weg nach Europa macht, weiß, was ihn erwartet.
Nach unserer Kenntnis suchen sich die Neuankömmlinge in Berlin selbst
Schwarzarbeit. Wenn Medien und Polizei suggerieren, ganze Branchen würden
Kinder als Sklaven ausbeuten, ohne das zu belegen, bringen sie diese
Branchen in Verruf.“
Sein zweiter Kritikpunkt: Oft seien diejenigen, die sich als Kinder
ausgäben, längst erwachsen. „Sie erhoffen sich Vorteile davon, wenn sie
sich jünger machen. Von Kinderarbeit kann aber keine Rede sein.“ Der RBB
sagt dazu: „Unsere Berichte, Informationen und Zeugenaussagen wurden
sorgfältig recherchiert und überprüft. Inzwischen bestätigt auch das
Bundeskriminalamt die Recherchen.“ Die Vereinigung der Vietnamesen und
weitere Vereine aus dem Ostteil der Stadt erarbeiten derzeit einen
Fragebogen, den sie der Polizei schicken wollen. „Wir wollen Fakten sammeln
gegen das Medienbild, unter dem wir leiden.“
Überraschend ist die Vehemenz, mit der vietnamesische Vereine Medien- und
Polizeikritik üben. Einige Vereinsmitarbeiter akzeptieren es nicht einmal,
wenn in Fachgremien das Wort „Menschenhandel“ überhaupt in den Mund
genommen wird. Woher kommt diese Emotionalität?
## Vergleich mit Vietnam
Da gibt es eine „deutsche“ und eine „vietnamesische“ Sicht. Wenn ein
Nagelstudio beispielsweise eine neu aus Vietnam eingereiste Frau für 500
oder 800 Euro im Monat rund um die Uhr beschäftigt, ist das aus deutscher
Sicht ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis. Vietnamesen vergleichen
dagegen mit dem Einkommen in Vietnam und akzeptieren diese Bezahlung. Die
Nagelstudioinhaberin sieht sich nicht als Ausbeuterin, sondern als
Wohltäterin, die einer armen Frau aus dem bitterarmen Zentralvietnam Arbeit
und Auskommen gibt.
In vielen vietnamesischen Geschäften und Familien arbeiten solche Menschen,
die in keiner deutschen Statistik auftauchen und oft erst nach Jahren durch
Zufall in eine Polizeikontrolle geraten. Viele vietnamesische Teenager
wurden über Jahre durch Kindermädchen erzogen, die schwarz in der Familie
lebten, haben ein gutes Verhältnis zu ihnen und sehen ihre Eltern nicht als
Ausbeuter. In der Coronakrise werden für diese Menschen im Schattendasein
Armenspeisungen organisiert und man ermutigt sich in Facebookgruppen, sie
weiterhin kostenlos wohnen zu lassen.
Wer so etwas tut, begreift sich nicht als Ausbeuter – zumal viele dieser
illegalen Arbeitgeber vor Jahren selbst illegal nach Deutschland kamen und
sich hochgearbeitet haben. Solche Erfolgsgeschichten trauen sie auch den
Neuankömmlingen zu.
Anmerkung: In einer früheren Version war erwähnt worden, das auch der
Verein Reistrommel sich an dem Fragebogen für die Polizei beteiligt. Dem
ist nicht so. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
5 Apr 2021
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Menschenhandel
Zwangsprostitution
Migration
Vietnamesen in Berlin
Organisierte Kriminalität
Geflüchtete
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Vietnam
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