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# taz.de -- Vietnamesische Community in Berlin: Solidarisch an der Nähmaschine
> Die Erwerbsgrundlage vieler Vietnamesen ist mit Corona zusammengebrochen.
> Während die einen Masken nähen, wollen andere zurück nach Vietnam.
Bild: Eine kleine Hilfe im Kampf gegen Corona: selbstgenähte Masken
Berlin taz | Nguyen Thi Ha kämpft mit den Tränen. Die Vietnamesin, Ende 40,
die in Russland Chemie studiert hatte und in Berlin einen Großhandel für
Nagelstudiozubehör betreibt, hat in dem YouTube-Video die Hände vor dem
Körper gefaltet und erklärt ihren Followern, was jetzt zu tun sei: Sie wird
alle ihre Vorräte an Einmalmasken und Desinfektionslösung an Krankenhäuser
in Berlin verschenken.
[1][Masken] hat sie viele Kisten voll, Desinfektionslösung nur einzelne
Flaschen, und man sieht der Frau an, dass es ihr schwerfällt, sich von
ihren Vorräten zu trennen, die noch vor einem Monat Grundlage ihres
Geschäfts waren.
„Aber Corona kann uns alle treffen“, sagt sie. Und die Nagelstudios hätten
ohnehin geschlossen. Darum will sie ihre Vorräte dorthin geben, wo um
Menschenleben gekämpft wird: in die Krankenhäuser in Berlin. Nguyen Thi Ha
fordert ihre Landsleute überall in Deutschland auf, es ihr gleichzutun.
Solche solidarischen Aktionen kann man derzeit oft unter vietnamesischen
Berlinern beobachten. In Facebook-Gruppen feuern sich ältere Frauen
gegenseitig an, Mehrwegmasken aus Baumwolle zu nähen. Und es sind
regelrechte Nähgruppen entstanden, die zwar räumlich getrennt, virtuell
aber miteinander verbunden sind.
Viele der Frauen haben zu DDR-Zeiten ihre Brötchen in der Textilindustrie
verdient oder sie nähten nach Feierabend im Nebenerwerb die damals knappen
Jeans für DDR-Bürger. Auch wenn der Umgang mit der Nähmaschine in den
vergangenen dreißig Jahren nicht mehr gefragt war, verlernt haben Frauen
wie Trinh Thi Mui aus Hohenschönhausen das nicht. Heute ist die Frau über
60 und war in den Zeiten vor Corona als Unternehmerin tätig.
Seit zwei Wochen ruhen ihre Geschäfte. Und seit einer Woche holen ihre
Mitarbeiter säckeweise T-Shirts aus dem Lager, um daraus Baumwollmasken
nähen zu lassen. „In diesem Sommer können wir die T-Shirts ohnehin nicht
verkaufen. Aus einem Männer-T-Shirt lassen sich sechs Masken nähen, aus
einem Kinder-T-Shirt vier,“ erläutert sie.
In dem Gemeindezentrum Pagode Pho Da in Lichtenberg laufen die Fäden
zusammen. Von hier aus werden Angebote an Seniorenheime und
Wohlfahrtsverbände geschickt. „Das Virus kann uns alle treffen. Wir wollen
helfen“, sagt die Händlerin.
Die selbst gefertigten Masken genügen keinen medizinischen Anforderungen.
Sie haben keinen Filter, die kleinen Coronaviren können durch die Poren der
Baumwolle hindurchschlüpfen. Insofern schützen sie – da sind sich Virologen
uneins – den Träger entweder wenig oder gar nicht vor Corona. Aber sie
können verhindern, dass der Träger oder die Trägerin der Masken beim
Sprechen oder Niesen infektiöse Tröpfchen in die Umwelt abgibt.
Manch ein Seniorenheim nutzt gern die Baumwollmasken für das Personal,
damit die hochbetagten Bewohner vor Viren geschützt sind, die
möglicherweise einzelne Altenpflegerinnen unbewusst einschleppen. Erst wenn
es Coronafälle im Heim gibt, werden die wenigen zertifizierten Masken mit
Filter genutzt. Weil die Näherinnen in nicht sterilen Wohnräumen arbeiten,
sollten Nutzer die Baumwollmasken vor der Benutzung bei 90 Grad waschen
oder zumindest bügeln.
Auch Tamara Hentschel vom vietnamesischen Integrationsverein Reistrommel,
die eigentlich seit letztem Herbst im Ruhestand ist, hat ihre Nähmaschine
wieder herausgeholt. In der DDR hatte sie als Näherin gearbeitet, bevor sie
Betreuerin für Vietnamesinnen wurde. „Die alten Netzwerke werden
reaktiviert“, erzählt sie.
Frauen, die einst im VEB Fortschritt Herrenbekleidung gearbeitet haben,
aber in den letzten dreißig Jahren Asiarestaurants, Wochenmarktstände oder
Blumenläden betrieben, treten virtuell in Kontakt und tauschen sich über
das Maskennähen aus. Ihr Verein will auch koordinierend tätig sein, etwa
Stoffe organisieren – Bettwäsche etwa. „Damit wollen wir unseren Beitrag
zur Eindämmung der Pandemie leisten“, sagt sie der taz. „Nachdem die Läden
schließen mussten, waren viele Leute zum Nichtstun verdammt, aber das sind
sie nicht gewöhnt.“
Es entstehen zweilagige Baumwollmasken mit Vlieseinlage oder auch, wenn die
Nähmaschinen das nicht mitmachen, einlagige Baumwollmasken. Ein Problem sei
der Absatz. Er funktioniert bei Seniorenheimen, weil viele Vietnamesinnen
als Altenpflegerinnen arbeiten. Aber ein Verkauf an die Wohnbevölkerung
scheitert daran, dass asiatische Restaurants, Läden und
Änderungsschneidereien schließen mussten.
## Nur noch ein Ziel: zurück nach Vietnam
Doch es gibt unter vietnamesischen Berlinern auch eine andere Tendenz als
die, sich in den Kampf gegen das Coronavirus einzubringen: Landsleute, die
erst seit wenigen Monaten in der Stadt sind und hier Asyl beantragten oder
völlig illegal hier leben und auf ihre Weiterwanderung nach Großbritannien
warteten, wollen jetzt nur noch eins: zurück [2][nach Vietnam, wo es kaum
Coronafälle gibt]. Nicht nur aus Angst vor Ansteckung. „Sie sehen keine
Perspektive mehr“, sagt Sozialarbeiter Nguyen Huu Thanh.
Normalerweise ist für Flüchtlinge aus Zentralvietnam Berlin nur eine
Zwischenstation auf dem Weg nach Großbritannien.
Doch die Infrastruktur dieser Zwischenstation ist durch das Coronavirus
völlig zusammengebrochen: Sie können nicht mehr in von Landsleuten
betriebenen Läden Hilfsarbeiten ausführen, weil diese Läden geschlossen
sind. Sie können nicht mehr in vietnamesischen Familien Babys sitten, weil
das die Familien jetzt selbst tun. Sie können nicht mehr in den von den
Schleuserstrukturen gemieteten Wohnungen bleiben, weil niemand dort mehr
Miete zahlt. Und sie können auch nicht nach Großbritannien weiterwandern,
weil es bis dahin viele Grenzkontrollen gibt.
Nguyen Huu Thanh: „Ich höre oft, dass sie nach Vietnam zurückwollen, weil
das Virus potenziell tödlich ist, und wenn sie schon sterben müssen, dann
in Vietnam.“
## Hilfen gibt es kaum noch
Aber selbst eine freiwillige Rückkehr nach Vietnam ist coronabedingt
schwierig. Wie ein Sprecher der Innenverwaltung der taz mitteilt, ist die
Rückkehrberatungsstelle des Landes Berlin seit der Coronakrise geschlossen.
Diese Beratungsstelle hilft normalerweise rückkehrwilligen Asylsuchenden
bei der Beschaffung der notwendigen Ausweispapiere, und sie übernimmt auch
die Kosten für den Rückflug und für die ersten Schritte im Herkunftsland.
Dennoch scheint es einigen vietnamesischen Flüchtlingen aus Deutschland
gelungen zu sein, nach Vietnam zurückzukehren. Vietnamesischen
Medienberichten zufolge sind derzeit 80 Rückkehrer aus dem Coronagebiet
Deutschland in einer vietnamesischen Militäreinrichtung in Quarantäne.
3 Apr 2020
## LINKS
[1] /Schutz-vor-Coronavirus/!5672820
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## AUTOREN
Marina Mai
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