# taz.de -- Berliner Erfolgsgeschichte: Alles für die Familie | |
> Van Tuyen Pham kam als 14-Jähriger allein aus Vietnam nach Deutschland. | |
> Als Schüler jobbte er als Tellerwäscher, nun eröffnet er sein 6. | |
> Restaurant. | |
Bild: Van Tuyen Phams Leben sind die Restaurants und die Familie und die sozial… | |
BERLIN taz | Van Tuyen Pham ist keiner, der den Chef herauskehrt. Exakt | |
folgt der Gastronom den Anweisungen der Fotografen: Gruppenbild mit seinem | |
Partner und den Assistenten vor dem Restaurant, Einzelbild an der Bar. Pham | |
eröffnet gerade sein sechstes Restaurant, das Bless am Hausvogteiplatz in | |
Berlin-Mitte, und es scheint, dass dem 33-Jährigen mit dem kindlichen | |
Gesicht der Rummel um seine Person etwas peinlich ist. | |
Häppchen werden serviert: frittierte Aubergine, Tintenfisch auf Roter | |
Beete, Ente mit fernöstlichen Zuchtpilzen. Eine Küche, die traditionelle | |
indochinesische Einflüsse und westliche Essenskultur miteinander | |
verschmilzt, das ist dem Mann wichtig, der sich Gastrokünstler nennt. Dazu | |
werden Drinks gereicht. | |
Das Publikum ist so bunt wie Berlins Partyvolk: festlich gekleidete | |
Asiatinnen, tätowierte Künstler und internationale Studierende. „Das sind | |
die Kunden unserer anderen Restaurants. Sie sind unsere Freunde geworden | |
und haben uns im Lockdown die Treue gehalten“, erzählt Phams Assistent Phuc | |
Nguyen der taz. Über seinen Chef sagt er, der würde vor Ideen und Energie | |
sprühen „und ich bin dann einer derjenigen, der ihm hilft, einen Teil davon | |
umzusetzen“. Die Eröffnungsfeier ist professionell organisiert. Eine | |
PR-Agentur kümmert sich um die Vermarktung. Pham lässt keinen Zweifel, | |
wohin er will: in die erste Reihe der Berliner Gastroszene. | |
Van Tuyen Pham spricht ein Deutsch, das mit Fehlern behaftet ist. Reden ist | |
aber grundsätzlich nicht so sein Ding. Er ist Single und Workaholic, sein | |
Leben sind die Restaurants und die Familie und die sozialen Projekte in | |
Vietnam. | |
Und so überlässt er die Eröffnungsrede seinem in Berlin geborenen | |
Assistenten, den der gläubige Katholik in der vietnamesisch-katholischen | |
Kirchengemeinde kennengelernt hat. Der erzählt, wie der erfolgreiche | |
Gastronom im Alter von 14 Jahren nach Deutschland kam: allein und „mit | |
nichts in der Hand, aber im Kopf die Idee von Freiheit“. Und wie der | |
jahrelang von Abschiebung bedrohte Junge, der als Tellerwäscher angefangen | |
hat, sich ehrgeizig die Restaurantkette Umami aufbaute: vier vietnamesische | |
Restaurants in Berlins Szenebezirken, dazu ein Nudelrestaurant gleich um | |
die Ecke am Hausvogteiplatz und nun schließlich das Bless, Phams | |
hochpreisigstes Restaurant, das er gemeinsam mit einem Partner betreibt, | |
der in einem Berliner Flüchtlingsheim zur Welt kam. | |
Bei der Rede lächelt der Inhaber peinlich berührt. „Er hat nicht vergessen, | |
woher er kommt“, sagt der Assistent und weist auf die Bilder an der Wand | |
des Nobelrestaurants. Fernöstliche Meerlandschaften, Boote im Sturm. Gemalt | |
hat sie Le Minh Chau, ein 29-jähriger zentralvietnamesischer Künstler, | |
Opfer in der dritten Generation des Pflanzengiftes Agent Orange, das im | |
Vietnamkrieg versprüht wurde. Seit seiner Geburt kann er weder laufen noch | |
seine Arme heben. Den Pinsel führt er mit dem Mund. Indem Pham seine Bilder | |
gekauft hat, ermöglicht er dem Künstler ein eigenständiges Leben. | |
Pham stammt aus Zentralvietnam, einem Landstrich, der vom | |
Wirtschaftsaufschwung in Fernost abgehängt wurde und nicht nur unter Agent | |
Orange, sondern auch unter dem globalen Klimawandel leidet. Viele junge | |
Menschen dort sehen ihre Zukunft in der Auswanderung. Sie gehen in die | |
Industriegürtel von Vietnams großen Städten, nach Europa, Nordamerika oder | |
in Vietnams Nachbarländer. Von dort schicken sie Geld an ihre Verwandten. | |
Pham war 14, als er über Russland, Polen und Tschechien mit Schleppern nach | |
Deutschland kam. Dass er Geld für seine Familie verdienen wollte, war kein | |
Bleibegrund, darum wurde sein Asylantrag abgelehnt. Für eine Abschiebung | |
war er aber zu jung. Halt fand er in der katholischen Gemeinde, Heimat in | |
gutem fernöstlichem Essen. Ein Jesuitenpater vermittelte Pham in eine | |
deutsche Pflegefamilie. | |
Tobias Eisenbarth, fünf Jahre älter als Pham, wurde der Pflegebruder des | |
Vietnamesen. „Er lebte ja ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland“, erzählt er | |
am Rande der Eröffnungsfeier. „Aber meinem Vater gelang es, ihn in einer | |
katholischen Schule anzumelden.“ Der Schulbesuch war aber nicht die | |
Leidenschaft des Vietnamesen. „Er arbeitete nebenbei in Restaurants. Er war | |
ja mit dem Auftrag seiner Familie gekommen, die Schlepperkosten abzuzahlen | |
und danach Geld zu schicken. Er musste Geld verdienen und war in der Schule | |
oft müde.“ Sehr früh hätte sein Stiefbruder gewusst, dass er in Deutschland | |
ein Restaurant eröffnen wolle, sagt Eisenbarth. „Er zeichnete mit 15 am | |
Schreibtisch Skizzen der Einrichtung.“ | |
Obwohl sie nur wenig Gemeinsamkeiten hatten, sei Pham ein angenehmer | |
Stiefbruder gewesen. Trotz Stress wäre er wenige Tage vor der Eröffnung des | |
Bless zum 81. Geburtstag des Pflegevaters gekommen. Seine ebenfalls nach | |
Deutschland geflüchteten Geschwister hätte er als Leiter einiger seiner | |
Restaurants eingesetzt. Seinem in Vietnam lebenden Vater hat Pham ein Haus | |
gebaut. | |
Es sind die von den Auswanderern finanzierten Häuser, die bis heute junge | |
Zentralvietnamesen motivieren, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu | |
machen. Polizei und einzelne Medien behaupten oft, sie kämen, weil ihnen | |
Schlepperorganisationen falsche Versprechungen machen würden. Aber für Pham | |
war die Schlepperbande nur ein Mittel zum Zweck, ohne sie wäre er nicht in | |
die hochgerüstete Festung Europa gekommen. Und Versprechen von | |
Schlepperbanden würden in Zentralvietnam nicht verfangen, gäbe es die von | |
Auswanderern finanzierten schicken Häuser nicht. Dass nicht jeder | |
Zentralvietnamese so eine Erfolgsgeschichte wie Van Tuyem Pham schreibt, | |
dass andere von Schlepperbanden oder hier lebenden Landsleuten ausgebeutet | |
werden, dass Frauen ihre Schlepperkosten sogar in der Prostitution abzahlen | |
müssen, ist allerdings etwas, was man Angehörigen in Vietnam gern | |
verschweigt. | |
Ohne Kirchengemeinde und Pflegefamilie wäre Phams Erfolgsgeschichte nicht | |
möglich gewesen. Zweimal nach Erreichen der Volljährigkeit hat sein | |
Pflegevater Pham aus dem Grünauer Abschiebegewahrsam herausgeholt. Erst | |
nach dem mittleren Schulabschluss, den er nach fünf Jahren trotz | |
Nebenerwerbs als Tellerwäscher geschafft hatte, bekam er ein | |
Aufenthaltsrecht. Die Härtefallkommission würdigte damit seine gute | |
Integration. | |
Phams Familie in Vietnam geht es jetzt finanziell gut. Weil die Regierung | |
in Vietnam das nicht tue, unterstützt er von den Gewinnen seiner | |
Restaurants mehrere Kinderheime und ein Heim für HIV-infizierte Schwangere | |
und deren Kinder in seiner Heimatprovinz, sagt er. | |
1 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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