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# taz.de -- Streit um Trans-Aussagen von Autorin: Gefahr der Einseitigkeit
> Chimamanda Ngozi Adichie galt als feministische Ikone der Literaturwelt –
> bis sie mit Statements zu trans Frauen ihre Fans gegen sich aufbrachte.
Bild: Mit ihrem Roman „Americanah“ landete Chimamanda Ngozi Adichie 2013 ei…
[1][Die nigerianische Schriftstellerin und Feministin Chimamanda Ngozi
Adichie] („Feminismus!“, „Americanah“) hat vor Kurzem überraschend ein
wütendes und kulturpessimistisches Essay auf ihrer Webseite veröffentlicht.
Im Kern rechnet Adichie darin mit Kolleg*innen und ihren
Ex-Student*innen ab, die Adichie wegen ihrer Aussagen über trans Frauen
angegriffen hatten. Der Text mit dem Titel „Es ist obszön. Eine wahrhaftige
Reflexion in drei Teilen“ kritisiert aber auch pauschal eine Generation von
jungen Menschen in Literaturkreisen und in der feministischen Bewegung, die
aus Adichies Sicht mit einer arroganten Anspruchshaltung und mit
moralischer Überlegenheit durchs Leben gingen. Die heftige Kritik aus
Adichies Feder richtet sich also direkt an ihre, wenn man so sagen möchte,
Zielgruppe: [2][feministische, kosmopolitische Menschen,] die in den
vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren politisch aufgewachsen sind und in
dieser Zeit nicht zuletzt durch Adichies Werk beeinflusst wurden.
Chimamanda Ngozi Adichie ist seit den frühen 2000er Jahren international
als Schriftstellerin bekannt. Popkulturellen Ruhm erlangte sie hingegen mit
ihrem Vortrag „The Danger of a Single Story“ (etwa: „Die Gefahr einer
einseitigen Geschichte“), der 2009 in dem Videoformat „TED Talk“
aufgezeichnet wurde und sich viral verbreitete. Adichie zeigt darin
anekdotisch auf, wie stereotype Bilder den Blick auf die Menschlichkeit
anderer verstellen.
Der Vortrag beinhaltete feministische und postkoloniale Kritik und ist
einer der meistgesehenen „TED Talks“. Adichie gilt längst als eine der
wichtigsten Stimmen afrikanischer Literatur, obwohl sie selbst dem
Sammelbegriff „afrikanisch“ eher ablehnend gegenübersteht. Ihre Bücher si…
in viele Sprachen übersetzt worden, als eloquente und humorvolle
Intellektuelle ist sie Vorbild, manche mögen sagen: Ikone. Mit ihrem Essay
wehrt sie sich, so scheint es, genau dagegen: weniger gegen die Kritik an
ihrer Haltung zu trans Frauen, als gegen ihre Stellung als Ikone. Und doch
hängt beides zusammen.
## „Wahrhaftige Reflexion in drei Teilen“
Die Geschichte beginnt vor vier Jahren. 2017 gibt Adichie dem britischen
Sender Channel 4 ein Interview. Sie wird gefragt, ob eine trans Frau ihrer
Ansicht nach „weniger Frau“ sei als eine cis Frau. Adichie antwortet: „Me…
Gefühl ist, [3][dass trans Frauen trans Frauen sind.]“ Wenn jemand eine
Zeit lang als Mann in der Welt gelebt habe, mit den entsprechenden
Privilegien, falle es ihr schwer zu akzeptieren, dass man diese Erfahrung
mit der Erfahrung einer Frau gleichsetzen könne, „die von Anfang an als
Frau in der Welt gelebt hat“.
Adichie wiederholt diese Sicht später auf Facebook. Es sei wichtig,
Erfahrungen zu differenzieren. Danach wird sie [4][von queerfeministischen
Aktivist*innen und Kolleg*innen] heftig kritisiert, einige wenden
sich ab.
Adichies „Wahrhaftige Reflexion in drei Teilen“ ist eine 20.000 Zeichen
lange Stellungnahme zu komplizierten Vorgängen über Jahre hinweg,
beinhaltet privaten E-Mail-Austausch, persönliche Erinnerungen,
Interpretationen von Statements auf Twitter, Erinnerungen an
Schreibworkshops. Im Kern richtet sich Adichie gegen Akwaeke Emezi,
ebenfalls Schriftsteller*in aus Nigeria, allerdings zehn Jahre jünger
und einst Student*in Adichies. Emezi hatte im April in etwa getweetet:
Adichie helfe mit ihren Aussagen all denjenigen, die versuchten, trans
Kinder durch das Verweigern medizinischer Leistungen zu töten.
## Die „richtige“ Meinung
Adichie schreibt nun, Emezi habe sie „eine Mörderin genannt“. Und hebt an
zur Kritik an der Generation nach ihr: Diese sei besessen von der richtigen
Meinung, unfähig zur Selbstkritik, zu lernen, zu wachsen. Über den
eigentlichen Stein des Anstoßes, ihre Haltung zu trans Frauen, schreibt
Adichie wenig. Stattdessen endet die sonst souveräne und humorvolle Autorin
ihre Zeilen voll Galle: „Wir sind keine Menschen mehr. Wir sind Engel, die
eifern, einander zu übertreffen. Gott steh uns bei. Es ist obszön.“
Es ist eine Sache, zu kritisieren, wie politischer Diskurs in sozialen
Medien funktioniert: mit seinen verkürzten Takes, seiner „Mit mir oder
gegen mich“-Logik, seinen Superlativen. Auch legt Adichie dar, dass ihre
Kritiker*innen sich offenbar zum Teil im persönlichen Gespräch ganz
anders verhielten als gleichzeitig in der Öffentlichkeit des Internets.
Eine andere Sache ist die Pauschalität, mit der Adichie ausgerechnet in
Richtung ihrer Fanbase austeilt, obwohl es hier vor allem um einen
konkreten Konflikt mit Akwaeke Emezi und einer weiteren Person geht.
Was aber steckt hinter Adichies Aussage über trans Frauen und was daran
bringt Menschen so gegen sie auf, die ihr eigentlich politisch nahestehen?
## Was die Aussagen bedeuten
Die Aussage, die Adichie über trans Frauen gemacht hat, kann als
trans-ausschließend verstanden werden. Zwar ist ihr Appell, dass man
„zwischen Erfahrungen differenzieren“ möge, alles andere als kontrovers.
Kaum jemand wird abstreiten, dass Erfahrungen von cis und trans Frauen sich
unterscheiden. Oder dass männlich gelesenen trans Frauen männliche
Privilegien zuteil werden können. Aber wann man Differenz betont und welche
Differenz, ist eine strategische Entscheidung.
Die Unfreiheiten, unter denen trans Menschen – und queere Menschen generell
– leiden, haben mit der verbreiteten Ansicht zu tun, dass diese Menschen
irgendwie nicht richtig sind, nicht vollständig. Eine Behelfsexistenz. Der
politische Slogan „Trans Frauen sind Frauen“ ist eine Selbstbehauptung
dagegen: Zunächst mal sind wir komplett – dann erst anders. Es ist kein
Versuch, die Unterschiede zwischen den Erfahrungen von Frauen zu übergehen.
Die politische Kategorie „Frau“ existiert, unbeeindruckt von den massiven
Unterschieden zwischen den Erfahrungen armer und reicher Frauen, Frauen of
Color und weißer Frauen, junger und alter Frauen, queerer Frauen und
Heteras, Frauen mit und ohne Behinderung oder – im deutschen Kontext –
Frauen aus Ost und West. Einzig bei trans Frauen ist es üblich, Differenz
mehr zu betonen als Gemeinsamkeiten.
Warum? Adichie argumentiert: Weil trans Frauen männliche Privilegien
genießen, während sie in the closet sind.
Damit verkennt sie: The closet ist kein privilegierter Ort, sondern ein Ort
verinnerlichter Diskriminierung. Adichie nimmt zudem vor lauter
Differenzierung ein anderes Privileg gar nicht erst in den Blick: Cis zu
sein. Also sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht weitgehend
zu identifizieren. Ein eindeutiger gesellschaftlicher Vorteil.
## Nichts Neues
Diese Debatten sind weder neu noch hat Adichie sie erfunden. Im
schlechtesten Fall geraten sie zu Oppression Olympics, wo man
Diskriminierung mit Diskriminierung kontert. Im besten Fall sind sie zwar
anstrengend, aber bereichernd. Aber zunächst muss das Gespräch stattfinden.
Unter Gleichen. Die Parole „Trans Frauen sind Frauen“ ist die Forderung
nach Anschluss an eine Frauen*-Bewegung, von der angenommen wird, dass sie
starres binäres Geschlecht hinterfragt.
Dass eine international gewichtige feministische Stimme wie Chimamanda
Ngozi Adichie die Gelegenheit, diesen Slogan zu verstärken, bewusst nicht
wahrnimmt und stattdessen zunächst mal auf Differenzierung pocht, ist eine
Enttäuschung für diejenigen, die Hoffnungen in sie hegten. Auch wenn der
Satz „Trans Frauen sind trans Frauen“ inhaltlich korrekt ist: Es geht um
das, was sie nicht gesagt hat.
Das kann Strategie sein. Adichie befürchtet vielleicht eine politische
Schwächung der Kategorie „Frau“, wenn trans Frauen bedingungslos als solche
bezeichnet werden. Oder sie fürchtet um konkrete Allianzen mit cis Frauen,
die eher trans-abgeneigt sind. Möchte Adichie deshalb, dass trans Menschen
sterben, wie Emezi es ihr indirekt vorwirft? Dass Adichie sich entschieden
hat, Differenz zu betonen, ist eine ideologische Stellungnahme und hat
nichts mit Todeslust zu tun.
Dennoch: Adichie hat die Macht, mit einem einzelnen Satz einen Unterschied
zu machen. In einem Land wie Nigeria, wo das Gesetz LGBT-Menschen nicht vor
Diskriminierung schützt. In Großbritannien, wo sich seit Jahren eine
transfeindliche Hetzdebatte durch alle politischen Lager zieht. In
Deutschland, wo die Reform des uralten Transsexuellengesetzes immer wieder
scheitert – nicht zuletzt, weil einflussreiche Menschen sich trans Frauen
weiterhin als „verkleidetes männliches Privileg“ vorstellen. Und das alles
hat negative gesundheitliche Auswirkungen auf trans Menschen.
Manchmal gibt es nur wenige Stimmen, die die Kraft und Reichweite haben,
Vorurteile abzubauen und somit dazu beizutragen, dass Fortschritt sich
schon jetzt einstellt – anstatt erst dann, wenn viele längst nicht mehr
davon profitieren können. Chimamanda Ngozi Adichie wird diese Macht von
ihren Fans zugeschrieben. Ihr Text kann als Zurückweisung dieser
Verantwortung verstanden werden und den damit verbundenen Begehrlichkeiten.
Und menschlich gesprochen ist so viel Macht auch niemandem zu wünschen.
Aber das Problem allein im Medium selbst zu verorten, oder in einer
Generation, sich selbst bei alledem so gar nicht zu thematisieren: Das ist
dann doch eine gefährlich einseitige Geschichte.
30 Jun 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Peter Weissenburger
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