| # taz.de -- Alltag in Teheran: Tanz auf dem Vulkan | |
| > Frauen tragen das Kopftuch nur um den Hals. Im Café wird Wodka | |
| > ausgeschenkt. Regelbrüche sind normal. Aber die Konsequenzen | |
| > unkalkulierbar. | |
| Die Essenz des Lebens in Teheran offenbart sich an einem Ort, der kultur- | |
| und charakterloser nicht sein kann: in einer Shoppingmall. Die 33-Jährige | |
| Mitra sitzt mit einer Freundin im Restaurantbereich, grellweiße Lichter | |
| leuchten von der gläsernen Decke, im Hintergrund verbinden Rolltreppen fünf | |
| Etagen voller Bekleidungsgeschäfte, Dessousläden und Juwelieren. Die beiden | |
| haben Taccos mit Reis bestellt. „Ich hatte die Chance, auszuwandern“, | |
| erzählt die Kunstlehrerin. „Aber dann hat mich das poetische Gefühl | |
| überkommen, meine Erinnerungen, der Geruch in den Straßen, das konnte ich | |
| nicht verlassen.“ Inmitten der gläsernen Sterilität fängt die junge Frau an | |
| zu weinen. „Wir haben eine Geschichte, Kultur, Familienzusammenhalt – all | |
| das konnte ich nicht verlassen.“ Die Menschen, so sagt sie, fühlten starke | |
| Nostalgie und Liebe. | |
| Ein Gefühlsausbruch im Tempel des Kapitalismus, an einem Ort der | |
| politischen Gleichgültigkeit. Das entzieht sich gängigen Deutungsmustern, | |
| genauso wie die Stadt Teheran. Sie ist eine Mischung aus öffentlichen | |
| Grünanlagen, sauberen Schnellstraßen, beigefarbenen symmetrisch | |
| angeordneten Bauten vor Gebirgskulisse, Basaren und hippen Cafés im Zentrum | |
| und sich gleichenden brutalistischen Sozialbauten am Stadtrand. | |
| Zwischendrin reich verzierte blau-gelbe Moscheen mit arabischer Kalligrafie | |
| und bunt gemusterten Kacheln. | |
| Teheran hat eine eigene Version der Modernität erschaffen: kosmopolitisch, | |
| kapitalistisch, muslimisch. Im Gegensatz dazu stehen die geopolitischen | |
| Diskussionen rund um die Frage nach der Rückkehr zum Atomabkommen und | |
| Wirtschaftssanktionen: bipolar, reduziert, engstirnig. | |
| „Nein“, antwortete [1][Ebrahim Raisi] kurz und bündig bei seiner ersten | |
| Pressekonferenz auf die Frage, ob er US-Präsident Joe Biden treffen würde. | |
| Raisi ist der gerade gewählte Präsident des Iran. Mit ihm sind die | |
| Hardliner wieder an der Macht im Iran, der nach der Revolution 1979 von | |
| einer Monarchie zur Islamischen Republik wurde. Diese Republik wird von | |
| schiitischen Geistlichen geführt, deren Oberhaupt der Religionsführer ist. | |
| In diesem System ist Präsident Raisi die Stimme der Ultrakonservativen, | |
| deren Staatsideologie in der Feindschaft zu den USA und Israel besteht. | |
| Raisi wurde am vergangenen Freitag nach amtlichen Angaben mit fast 62 | |
| Prozent der Stimmen gewählt. Doch die Zahl trügt: Denn die | |
| [2][Wahlbeteiligung] in der Republik war noch nie so niedrig. Nur knapp 49 | |
| Prozent gingen überhaupt an die Urnen – und von den rund 29 Millionen | |
| abgegebenen Stimmen waren noch einmal 3,7 Millionen entweder absichtlich | |
| oder versehentlich ungültig. | |
| Welchen Rückhalt hat die antiwestliche Ideologie in der Bevölkerung? Und | |
| wie lebt es sich in der Hauptstadt der Iranischen Republik? | |
| ## Antiwestliche Propaganda funktioniert nicht mehr | |
| Die Suche nach Antworten beginnt bei dem Soziologen Taghi Azadarmaki. Wir | |
| sitzen in einem Garten neben dem Mehrfamilienhaus, in dem er lebt. Die | |
| Vögel zwitschern, der Professor sitzt auf dem Vorsprung einer | |
| Backsteinmauer, die den Garten vor unerwünschten Blicken schützt. | |
| Die geopolitischen Narrative gegen die USA oder Europa seien im Volk schon | |
| lange passé, erklärt Azadarmaki. „In der Vergangenheit war der Westen weit | |
| entfernt von uns. Aber heutzutage ist die Verbindung viel direkter. Durch | |
| die Globalisierung existiert der Westen nicht mehr, die iranische | |
| Gesellschaft ist in einer neuen Phase. Es ist eine offene, globalisierte | |
| Gesellschaft mit Menschen verschiedener Religionen und | |
| Migrationsgeschichte.“ Die iranische Gesellschaft wünsche sich Verbindungen | |
| und Beziehungen, während das politische System an den antiwestlichen | |
| Prinzipien festhielte. „Doch das Narrativ gegen den Westen ist nicht mehr | |
| erfolgreich.“ Die konservative Politik sei weit entfernt von der | |
| Lebensrealität der Menschen, die sowohl in die Moschee als auch in die | |
| Kaffeestube gingen. | |
| Cafés im Iran sind nicht nur ein beliebter Treffpunkt, sondern eine Art | |
| Paralleluniversum geworden. Ein semiprivater Raum, für private oder | |
| geschäftliche Treffen, Diskussionen, Buchclubs oder fürs Dating. In manchen | |
| haben die Bedienungen ihr Tuch nur um den Hals geworfen, anstatt es auf dem | |
| Kopf zu tragen. Um herauszufinden, wie die Menschen in dem System mit | |
| streng-konservativen Regeln, staatlich kontrollierten Medien und | |
| restriktiver Meinungsfreiheit leben, sind Cafés wie geschaffen. | |
| Nach Feierabend sitzt Doktor B. in einem Café neben dem Krankenhaus, in dem | |
| er als Kardiologe arbeitet. Vor ihm steht ein Glas, verziert mit Noppen, | |
| darin eine klare Flüssigkeit. „Sie servieren Wodka in einem solch einfachen | |
| Glas, es sieht aus wie Wasser“, sagt er. „Aber wehe, es wäre wie Alkohol | |
| präsentiert, dann käme sofort jemand vorbei und würde das anprangern“, | |
| erklärt der Arzt. Wir haben uns getroffen, um darüber zu sprechen, welchen | |
| Einfluss die US-Sanktionen auf die Importe von Medizin haben. Doch aus dem | |
| Gespräch wird schnell eine Einführung in die iranische Gesellschaft. | |
| Der Kardiologe trägt einen beigefarbenen Anzug, seine Haare sind gegelt. | |
| Für jemanden, der in den USA gelebt hat und sich weltoffen gibt, käme es | |
| nicht in Frage, in einem öffentlichen Krankenhaus zu arbeiten, erzählt der | |
| Arzt. Nicht, weil die staatlichen Krankenhäuser schlechter zahlten, sondern | |
| weil der Zugang zu ihnen beschränkt sei. In den gut bezahlten öffentlichen | |
| Dienst käme nur, wer sich gewissen Verhaltensregeln beuge. | |
| „Nichtwissenschaftliche Standards“ würden gut ausgebildetes Personal am | |
| Zugang hindern. Rein käme, wer ein „politisches und religiöses Auftreten | |
| und Verhalten“ an den Tag lege. | |
| ## Sex außerhalb der Ehe kann mit dem Tod bestraft werden | |
| Das Zivil- und Strafrecht im Iran basiert auf schiitisch-islamischen | |
| Gesetzen. Alkohol zu konsumieren oder zu verkaufen ist verboten. Im | |
| öffentlichen Raum müssen Frauen Kopftücher und lange Oberteile, einen | |
| sogenannten Manteau („Mantel“ oder Tunika) tragen, die Knöchel sollten | |
| bedeckt sein. Männer müssen lange Hosen und lange Shirts anziehen. | |
| Hotelmanager*innen können auf eine Heiratsurkunde bestehen, bevor sie | |
| einem Paar ein Zimmer geben. Homosexuelles Verhalten, Ehebruch und Sex | |
| außerhalb der Ehe sind illegal und können die Todesstrafe zur Folge haben. | |
| Schweinefleisch ist verboten, ebenso Satellitenschüsseln fürs Fernsehen. | |
| Wer Fernsehschüsseln verkauft, verwendet oder repariert, muss mit einer | |
| Geldstrafe von bis zu 2.500 Euro rechnen. Vor fünf Jahren konfiszierten und | |
| zerstörten die Behörden 100.000 Satellitenschüsseln. Sie rechneten damit, | |
| dass 70 Prozent der Bevölkerung ein solches Gerät besaßen. „Die meisten der | |
| Satellitenkanäle schwächen nicht nur die Familiengrundlage, sondern | |
| verursachen auch Störungen in der Bildung der Kinder“, erklärte damals ein | |
| General der Revolutionsgarden. | |
| „Ich habe keine Kinder“, erzählt der Arzt. „Wie sollte ich ihnen erklär… | |
| was richtig oder falsch ist? Alle besitzen Satellitenfernsehen, aber die | |
| Kinder dürfen in der Schule nichts davon erzählen. Wie sollen sie also | |
| verstehen, ob es nun gut oder schlecht ist?“ Es sei schwer, Kinder beim | |
| Größerwerden zu begleiten, wenn die Erwachsenen kein klares Verständnis von | |
| richtigem oder falschen Verhalten, ein Grundgerüst an moralischen | |
| Richtlinien aufbauen könnten. | |
| Denn Regelbrüche sind häufig toleriert oder gar die Norm. Viele Frauen | |
| tragen ihre Kopftücher so, dass der Haaransatz klar zu erkennen ist. In | |
| Teheran halten junge Pärchen auf der Straße für kurze Zeit Händchen, in | |
| Shoppingmalls legen Frauen komfortabel das Kopftuch ab. In privaten Räumen | |
| wird getanzt oder gekifft. | |
| Doch diese routinierten Verstöße können schnell zum Problem werden. Um ihre | |
| Sicherheit zu gewährleisten, werden die Menschen in diesem Text deshalb nur | |
| bei ihrem Vornamen genannt – denn niemand weiß, ob das Gesagte einmal zu | |
| ihrem Verhängnis werden könnte, bei der Jobsuche oder wenn man dem Regime | |
| in einer anderen Sache unliebsam wird. Dass sich die Mehrheit gegen die | |
| Regeln wendet, schützt vor einer Strafe nicht. So kann Willkür um sich | |
| greifen. Kleine Staatsangestellte können Macht ausspielen. Was heute | |
| durchgeht, kann morgen ins Gefängnis führen. | |
| Unterschwelligen Stress nennt das Hamed. Der 33-Jährige hat Chemie studiert | |
| und arbeitet im In- und Export. Er erzählt, dass seine Frau ihm im April | |
| aufgeregt berichtete, dass die Religionspolizei ihr eine SMS geschickt | |
| habe. Darin stand, sie hätte ihr Kopftuch beim Autofahren nicht richtig | |
| getragen. „Dabei ist meine Frau gläubig“, sagt Hamed und lacht. Doch dann | |
| wird er ernster: „Die Nachricht war speziell an sie geschrieben, doch dann | |
| haben wir herausbekommen, dass sie einfach an alle möglichen Frauen | |
| geschickt wurde.“ Für Gläubige sei das kein Problem, aber es verunsichere | |
| die Frauen, die sich nicht strikt an das Gesetz hielten. | |
| ## Viele gut Gebildete flüchten vor den Problemen | |
| Hamed zeigt stolz ein Video von seiner sechsjährigen Tochter beim Tanzen. | |
| „Ich fürchte um ihre Zukunft. Viele Jugendliche im Iran haben Depressionen | |
| und wollen emigrieren.“ Fast 83 Millionen Menschen leben im Iran, nach | |
| Angaben des Außenministeriums in Teheran umfasst die iranische Diaspora | |
| aktuell zudem 4 Millionen Menschen. Angetrieben durch staatliche | |
| Repressionen und die angeschlagene Wirtschaft, haben viele gut ausgebildete | |
| Iraner*innen das Land verlassen. Die meisten von ihnen leben in den USA | |
| und Kanada. | |
| Auch die Inflation der Landeswährung Rial ist ein Stressfaktor. Als 2015 | |
| der Atomdeal mit dem Westen abgeschlossen wurde, hofften die | |
| Iraner*innen auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Damals entsprach 1 | |
| US-Dollar etwa 32.000 Rial. Heute sind es 238.000 Rial. Die neuen | |
| Sanktionen unter US-Präsident Donald Trump haben die staatlich | |
| kontrollierte Wirtschaft geschwächt, die Coronapandemie hat die Situation | |
| verschärft. | |
| Bankguthaben haben massiv an Wert verloren, Altersversorgungen sind | |
| zusammengeschrumpft. Der Milchpreis ist um 90 Prozent gestiegen, | |
| importierte Waren wie Mobiltelefone und Elektrogeräte sind für viele | |
| unbezahlbar. Wer Rial in stabile ausländische Währungen umtauschen konnte, | |
| hat damit Edelmetalle wie Gold gekauft oder in Immobilien investiert. Das | |
| hat die Mieten hochgetrieben. | |
| ## Die Unterstützerinnen der Kleriker | |
| Die Wirtschaftsprobleme sind der Grund, warum der konservative Ebrahim | |
| Raisi so viel Zuspruch erhalten hat. Im Wahlkampf versprach er, die | |
| Korruption zu bekämpfen, nur saubere Minister zu ernennen und den sozialen | |
| Wohnungsbau voranzutreiben. | |
| Auf einer Wahlveranstaltung kurz vor dem Urnengang haben sich | |
| Raisi-Anhänger*innen versammelt, in der Mehrzahl Frauen. Sie sitzen auf | |
| Klappstühlen, die rund um den abgesperrten Verkehrskreisel neben der | |
| sogenannten Palästina-Moschee aufgestellt sind. Ein Knabenchor singt, die | |
| Frauen im Tschador, einem schwarzen Umhang, der das Gesicht freilässt, | |
| schwingen iranische Papierfähnchen. Auf einem der hinteren Stühle sitzt die | |
| 20-jährige Kunststudentin Reyhane. „Raisi hilft dem Land und den jungen | |
| Menschen. Ich möchte Sicherheit und Gelassenheit und ich glaube daran, dass | |
| er das unserem Land bringen kann“, sagt sie. | |
| In der Nähe von Reyhane stehen vier junge Frauen, sie halten Porträts | |
| Raisis in den Händen. Die 19-Jährige Rahil ist enthusiastisch und zugleich | |
| aufgebracht. „Wir sind Feinde eurer Regierung, nicht von euch Leuten“, sagt | |
| sie. „Die amerikanische und die europäischen Regierungen sind unsere | |
| Feinde, weil sie für uns entscheiden wollen“, erklärt sie. „Das wollen wir | |
| nicht, wir möchten Unabhängigkeit!“, sagt sie. „Sie gehen in den Irak, na… | |
| Syrien und unsere Nachbarländer. Sie haben unseren General Soleimani | |
| getötet und wir möchten Rache dafür“, erklärt Rahil auf Englisch. Wir | |
| tauschen unsere Instagram-Profile aus, danach sagt sie: „Let’s go out and | |
| make party!“ | |
| Warum sind es vor allem Frauen in Tschador, die den Ultrakonservativen | |
| unterstützen? Soziologe Taghi antwortet: „Zum einen war die Gesellschaft | |
| nicht frei in ihrer Wahl“, der Wächterrat hat viele Kandidaten im Vorhinein | |
| aussortiert. Und zum anderen denken Frauen pragmatisch: „Vielleicht tut er | |
| nichts für uns. Aber zumindest werden wir nicht gestört.“ Es gibt zwar | |
| Regeln, aber Verfehlungen werden hingenommen – vielleicht besser als neue | |
| Regeln. | |
| So wie ein striktes Kopftuchverbot, das Schah Reza Pahlevi im Jahr 1936 | |
| verkündet hatte und das viele konservative Frauen zwang, zu Hause zu | |
| bleiben, anstatt an die Universitäten zu gehen. Im iranischen Feminismus | |
| gebe es die Radikalen, die ihre Ideen aus Europa oder der USA erhielten und | |
| sich auf das Kopftuch fokussierten, erklärt der Soziologe. Und es gebe | |
| einen iranischen Feminismus, der sich den traditionellen Geschlechterrollen | |
| widersetze; die Frauen gingen arbeiten, fragten nach Arbeitsteilung in der | |
| Ehe und nutzten die Texte aus dem Koran, um ihre Ansichten durchzusetzen. | |
| ## Farzaneh findet die gedeckte Kleidung gut | |
| Außerdem gibt es die Frauen, die nicht anecken und mit den Regeln gut | |
| klarkommen. So wie Farzaneh. Sie ist 30 Jahre jung, hat sechs Jahre ihrer | |
| Kindheit in Australien verbracht und internationales Recht studiert. | |
| Farzaneh trägt ihr geblümtes Kopftuch eng über dem Haar. Für das Treffen | |
| hat sie den Park am Museum für zeitgenössische Kunst ausgewählt. Doch weil | |
| es zu spät am Abend ist und der Park schließt, muss ein hippes Café als | |
| Alternative herhalten. An der Decke verlaufen Rohre und Kabel, wir sitzen | |
| in Vintagesesseln. „Es ist befreiend, sich bedeckt zu kleiden“, erzählt sie | |
| gleich zu Beginn. „Wir haben kaum Sexismus oder Belästigung. Ich sehe keine | |
| ungleiche Behandlung zwischen Frauen und Männern.“ | |
| Farzaneh arbeitet als Journalistin bei einem staatlichen Nachrichtensender. | |
| Interessiert lässt sie sich von mir erklären, welche Hürden ich bei meiner | |
| Arbeit habe und welchen Belästigungen ich ausgesetzt bin. Sich ständig | |
| beweisen zu müssen, zu hören, ich sei zu jung oder zu unerfahren, während | |
| gleichaltrige Kollegen als Talente gelten. Interviewpartner, die ungefragt | |
| versuchen, mich zu küssen. Weniger Lohn für die gleiche Arbeit. | |
| „Unser Gehalt ist absolut gleich und wir bekommen die Positionen, die wir | |
| haben möchten“, antwortet Farzaneh. „Die Männer behandeln uns mit Respekt. | |
| Mir hat noch nie ein Mann gesagt, dass er nicht möchte, dass ich arbeiten | |
| gehe.“ Der einzige Unterschied sei, dass die Frauen keine Nachtschicht | |
| zugeteilt bekämen – „aber darüber bin ich ganz froh“, sagt sie und lach… | |
| „Männer haben auch unter dem System zu leiden“, gibt Farzaneh zu bedenken. | |
| „Von ihnen wird erwartet, die Miete oder das Essen zu bezahlen. Selbst wenn | |
| die Frau ihr eigenes Einkommen hat, das darf sie für sich behalten und | |
| ausgeben.“ Männer müssen finanziell für die Familie sorgen. Das ist eine | |
| große Belastung, vor allem in der Wirtschaftskrise, in der viele ihre Jobs | |
| verloren haben. | |
| Das System mache viele krank. Die Zahlen darüber, wie viele Menschen im | |
| Iran mentale Gesundheitsprobleme haben, variieren. Das | |
| Gesundheitsministerium sprach 2019 von 23,6 Prozent, ein Mitglied der | |
| iranischen parlamentarischen Kommission für soziale Angelegenheiten gab im | |
| September 2019 an, dass „mehr als 40 Prozent der Bevölkerung an psychischen | |
| Problemen leiden“. | |
| ## Depressionen unter Frauen weit verbreitet | |
| Elnaz hat Architektur studiert und arbeitet in der Teheraner Stadtplanung. | |
| Sie meint, dass jede dritte Frau Depressionen habe. „Viele sind zu Hause | |
| und haben nicht viel Unterhaltung. Sie geben all ihre Energie für die | |
| Familie – und es bleibt nichts mehr für sie selbst übrig.“ Wir laufen dur… | |
| einen lang gezogenen Park, eine Rinne verläuft in der Mitte des Weges, | |
| darin kleine blaue Trichter aus Porzellan, die Wasser ausspucken. Zwischen | |
| den Baumkronen scheint die Sonne auf Beete mit Rosen. Am Ende des Parks | |
| steht eine Villa aus dem 19. Jahrhundert, darin ein Filmmuseum. | |
| Mit dem Ferdoos-Park hat sich die Stadtplanerin fünf Jahre lang | |
| beschäftigt. Sie hat erforscht, wie öffentliche Grünanlagen die Symptome | |
| von Depressionen bei Frauen lindern können. „Ich selbst stand vor sechs | |
| Jahren kurz vor einer Depression“ sagt sie. „Mein Partner hatte Schluss | |
| gemacht und ich war jeden Tag traurig.“ In der iranischen Gesellschaft sei | |
| es nicht weit verbreitet, eine Therapie zu machen. „Ich wollte aus eigener | |
| Kraft gesund werden.“ Sie ging in den Park und merkte, dass das Sonnenlicht | |
| und die Farben der Rosen sie beruhigen. Für ihre Doktorarbeit hat sie 500 | |
| Frauen befragt. | |
| Nachdem sie ihre Arbeit abgeschlossen hatte, überzeugte sie die Stadt, | |
| einige ihrer Ideen umzusetzen: ein wenig Wasser, um keine Ängste | |
| auszulösen, angenehme, unaufgeregte Strukturen bei Bodenplatten, bunte | |
| Farben der Blumen, Ansätze der Lichttherapie, sodass Sonnenstrahlen Vitamin | |
| D im Körper produzieren können. | |
| Elnaz’ Beispiel ist nur eines von vielen, die zeigen, dass selbstbewusste, | |
| gebildete und mutige Frauen auch im Iran Veränderungen erbringen können. | |
| Redaktioneller Hinweis: Aufgrund der Recherchebedingungen im Iran hat | |
| unsere Korrespondentin vor allem Menschen aus der Mittelschicht getroffen. | |
| Einige der genannten Gesprächspartner*innen wurden durch eine | |
| benötigte Agentur vermittelt. | |
| 25 Jun 2021 | |
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| Julia Neumann | |
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