# taz.de -- Die These: Ich will keine „Period-Revolution“ | |
> Ich will nur einen Tampon! Unsere Autorin ist genervt von Hashtags wie | |
> #PeriodPositive. Vor allem, wenn es dabei nur noch ums Verkaufen geht. | |
Bild: Hat hier vielleicht irgendwer einen Tampon für mich? | |
Menstruation nervt. Also, ihre ständige Präsenz. Egal wo ich mich aufhalte: | |
Überall blutige Unterhosen, glitzernde Tampons und bonbonfarbene | |
Vulva-Kekse. Darunter stehen Hashtags wie [1][#MenstruationMatters] oder | |
[2][#PeriodPositive] – und der immer gleiche Appell: Lasst uns mit diesem | |
Instagram-Post, Podcast, Theaterabend oder Zeitungsartikel die | |
Monatsblutung endlich aus der Tabuzone holen und zur normalsten Sache der | |
Welt machen. | |
Ich sehe das ja genauso. Auch ich finde, dass die misogyne Stigmatisierung | |
eines völlig normalen körperlichen Vorgangs langsam mal ein Ende haben | |
muss, damit jede:r auch während der Periode uneingeschränkt am | |
gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Es ist ungeheuerlich, dass es | |
heutzutage immer noch Gegenden gibt, in denen Frauen* und Mädchen* während | |
ihrer Tage als unrein gelten oder sich wegen fehlender Menstruationsartikel | |
nicht in die Schule trauen. Und selbst in unserer angeblich so aufgeklärten | |
Gesellschaft gibt es immer noch viel zu viele Menschen, die sich für ihre | |
Periode schämen. Bestes Beispiel: der Horror vor dem Blutfleck auf der Hose | |
in der Öffentlichkeit. | |
Deshalb finde ich alles, was zur Normalisierung des Themas beiträgt, gut. | |
Doch so, wie momentan über die Menstruation debattiert wird, passiert das | |
Gegenteil. Das ist mir spätestens klar geworden, als die Gründer des | |
[3][Start-ups Pinky Gloves einen riesigen Shitstorm] inklusive | |
Morddrohungen abgekriegt haben, nachdem sie in einer Fernsehshow einen | |
Investor für ihr neues Menstruationsprodukt gewinnen konnten. | |
Zugegeben, der pinkfarbene Plastikhandschuh, mit dem ein Tampon | |
herausgezogen und dann eingewickelt werden kann, wirkt tatsächlich nicht | |
besonders nützlich (außer es gibt gerade keinen Mülleimer und kein | |
Waschbecken in der Nähe) und ist außerdem umweltschädlich (wobei es selbst | |
in Bioläden Plastikverpackungen gibt). | |
## Überzogene Empörung | |
Trotzdem ist es schockierend, dass den beiden Gründern nach ihrem Auftritt | |
Sexismus, Period-Shaming und Umweltverschmutzung vorgeworfen wurden. Dieser | |
Shitstorm hat einmal mehr offenbart, mit welcher Aggressivität | |
Vertreter*innen der sogenannten Period-Revolution ihre Mission | |
vorantreiben, ohne darüber nachzudenken, ob ihre Empörung in manchen Fällen | |
nicht vielleicht auch ein wenig überzogen sein könnte – zumal die | |
Pinky-Gloves-Erfinder eben keine woken Berlin-Mitte-Kinder sind. | |
Die Sache mit der Periode ist nicht nur ein sehr emotionales Thema, sie ist | |
längst auch zu einem hart umkämpften Spielfeld geworden – da geht es um | |
moralische Deutungshoheit und um Geld. Deshalb mischen nicht nur | |
Aktivist*innen kräftig mit, sondern vermehrt auch sogenannte Social | |
Entrepreneur*innen, die mit ihren Kampagnen mitentscheiden wollen, | |
welcher Umgang mit der Periode der richtige ist. | |
Das Besondere am Geschäftsmodell dieser Unternehmen ist, dass sie nicht in | |
erster Linie an Gewinnmaximierung interessiert scheinen, sondern mit ihren | |
Produkten immer auch ein bisschen die Welt retten wollen. Sei es, indem sie | |
wiederverwendbare Periodenunterwäsche oder Silikoncups anbieten, für | |
bessere Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern sorgen oder | |
Aufklärungsprogramme für Jugendliche entwickeln. Ihr soziales und | |
ökologisches Engagement macht sie so zu Unternehmen, von denen man | |
eigentlich schon immer geträumt hat. | |
Endlich haben wir es auch bei Periodenprodukten nicht mehr nur mit den | |
großen Playern zu tun, die sich nicht darum scheren, mit ihren | |
Wegwerfartikeln jede Menge Müll zu produzieren, und die uns jahrzehntelang | |
vermittelten, dass unsere Monatsblutung unästhetisch sei (oder wie soll man | |
die blaue Flüssigkeit in der Werbung sonst verstehen?). Allerdings finde | |
ich diese neue Vermischung von Aktivismus und Unternehmertum auch | |
problematisch. | |
## Die Vermarktung eines Lebensstils | |
Ich kann mir noch so viele blumige Selbstbeschreibungen dieser schönen, | |
neuen Unternehmen ansehen, trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es | |
auch ihnen in erster Linie ums Verkaufen geht. Vielleicht nicht | |
schwerpunktmäßig um den Verkauf ihrer Produkte, aber um die Vermarktung | |
eines bestimmten Lebensstils, den sie für so einmalig und durchdacht | |
halten, dass sie ihn Guru-mäßig in die ganze Welt hinaustrompeten müssen. | |
So halten die beiden Gründer von Einhorn, einem Berliner Start-up für | |
vegane und nachhaltige Designkondome und Periodenprodukte, regelmäßig | |
Vorträge darüber, wie ihre hierarchielosen Strukturen funktionieren: Es | |
gibt keine Chefs mehr, die Mitarbeiter*innen dürfen über ihre Löhne, | |
Arbeitszeiten und Urlaubstage selbst bestimmen – außer sie sind Putzkräfte | |
oder Produzent*innen, so erfährt man es in einem [4][Interview von „Jung & | |
Naiv“] Anfang 2020. | |
Hinzu kommen Kooperationen wie mit dem Onlinemagazin Edition F, die | |
gemeinsam mit Einhorn anlässlich des Weltmenstruationstags 2020 zur | |
„weltersten Periodenparty“ auf Zoom einluden, bei der zum Beispiel auch | |
die Spiegel-Bestseller-Autorin und Feministin Mithu M. Sanyal zu Gast war. | |
Und wäre Corona nicht dazwischengekommen, hätte Einhorn mit der | |
Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer und anderen | |
Influencer*innen zu einer Bürger*innenversammlung ins Berliner | |
Olympiastadion eingeladen, um mit einer Art [5][Petitionen-Exzess ihr | |
Lieblingsmotto „Unfck the World“] umzusetzen. | |
Es ist ganz schön größenwahnsinnig zu glauben, dass man mit ein bisschen | |
Partypolitik die Welt verbessern kann. Nur weil das ein Mal mit der Senkung | |
der Tamponsteuer geklappt hat, heißt das noch lange nicht, dass es beim | |
nächsten Mal wieder funktioniert – zumal sich das Start-up da ja auch bloß | |
auf das Vorhaben zweier Aktivistinnen draufgesetzt hatte, die so etwas | |
schon länger forderten. Und jetzt mal ehrlich: Erscheinen die meisten | |
Marketingaktionen dieser kommerziellen Weltretter*innen nicht | |
erschreckend unterkomplex und simpel? Seit sie die Period-Revolution | |
unterwandert haben, kann ich die Bewegung nicht mehr ernst nehmen. | |
Ich will nicht in einer Gegenwart leben, die wie in David Foster Wallace’ | |
Roman „Unendlicher Spaß“ jedes Jahr aufs Neue an ein anderes Unternehmen | |
verkauft wird, sodass es dann nicht mehr heißt: „Wir leben im Jahr 2021“, | |
sondern „wir leben im Jahr des ‚Periodenslips Alltagsheldin‘“ oder so. … | |
ich will auch nicht, dass mir Silicon-Valley-Verschnitte wie die | |
Einhorn-Jungs oder der hausbackene Onlineshop „Erdbeerwoche“ minutiös | |
erklären, wie das mit der Handhabung von Menstruationsprodukten eigentlich | |
wirklich geht („Das hier ist kein Topflappen und auch kein Geschirrtuch, | |
sondern eine Stoffbinde“) – what?! | |
## Die Scham nehmen, schlechtes Gewissen geben | |
Aber fast am schlimmsten finde ich, dass mir diese vermeintlich | |
progressiven Unternehmen zwar die Scham vor meiner Monatsblutung nehmen | |
wollen, sie dafür aber eins zu eins mit einem schlechten Gewissen ersetzen: | |
Guck mal, wenn du diesen Perioden-Slip kaufst, spenden wir einen an eine | |
Frau, die sich keinen leisten kann (das willst du doch auch, oder?), und | |
wenn du diese Menstruationstasse kaufst, tust du etwas Gutes für die Umwelt | |
(da bist du doch dabei?) – oder willst du nicht gleich den | |
Free-Bleeding-Online-Kurs besuchen? Dann brauchst du gar keine Produkte | |
mehr. Sechs Module für unschlagbare 49 Euro! | |
Mich machen diese ständigen moralischen Appelle von Start-ups, | |
selbsternannten Coaches, Menstruations-Aktivist*innen und ihrer | |
Gefolgschaft in den sozialen Kanälen, Magazinen und TV-Beiträgen langsam | |
richtig wütend. | |
Und wenn bei einem Menstruationsprodukt dann auch noch ein Schokoriegel | |
oder Sinnspruch beiliegt, ist es mit meinem Verständnis endgültig vorbei. | |
Echt mal, Leute, lasst mich in Ruhe mit eurem Quatsch. Ich will einfach nur | |
einen Tampon! | |
19 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/hashtag/menustrationmatters?src=hashtag_click | |
[2] https://www.instagram.com/explore/tags/periodpositive/ | |
[3] /Kritik-an-Pinky-Gloves/!5761099 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=BEBGI774TiQ | |
[5] /Klimaaktion-vor-dem-Scheitern/!5651923 | |
## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
## TAGS | |
Menstruation | |
Marketing | |
Start-ups | |
Revolution | |
Hygiene | |
IG | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
häusliche Gewalt | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt taz folgt dem Wasser | |
Menstruation | |
Kolumne Sie zahlt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Unterwäsche gegen häusliche Gewalt: Hilfe darf nichts kosten | |
Eine Firma nutzt das Thema häusliche Gewalt, um Produkte zu verkaufen. Was | |
ist das für ein Feminismus, der Hilfe an finanzielle Bedingungen knüpft? | |
Autorin über Patriarchales Design: „Geeicht auf 40-jährigen Mann“ | |
Von der Toilettenbenutzung bis zu den Algorithmen: Rebekka Endler über eine | |
Welt, die sich nach Durchschnittsmännern richtet. | |
Internationaler Tag der Menstruation: Das Blut der Unterdrückung | |
Weltweit ist die Monatsblutung ein Tabu. Zum Aktionstag sprechen fünf | |
Frauen, die sich wehren. | |
Kritik an „Pinky Gloves“: Die Jungs vom Entschärfungsteam | |
Zwei Männer erfinden pinke Latexhandschuhe, mit denen Frauen benutzte | |
Tampons entnehmen und entsorgen können. Bitte was? | |
Periode und Ökonomie: Bluten für die Wirtschaft | |
Was die Menstruation mit Wirtschaft zu tun hat? Viel. Vor allem mit | |
Geldverdienen, bei der Besteuerung und am Arbeitsplatz. |