# taz.de -- Grüne in Sachsen-Anhalt: Weit und breit kein Baerbock-Effekt | |
> Für die Grünen ist das Ergebnis in Sachsen-Anhalt enttäuschend. Doch ist | |
> es kaum übertragbar auf den Bund, auch wenn Konservative frohlocken. | |
Bild: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zog das grüne Ergebnis nicht nach ob… | |
BERLIN taz | Die erwartbarsten Thesen zum Grünen-Ergebnis kamen von der | |
Konkurrenz. „Der Baerbock-Zug ist heute Abend entgleist“, twitterte [1][der | |
CDU-Politiker Friedrich Merz]. CSU-Chef und Baum-Tätscheler Markus Söder | |
sah es ähnlich: „Grüne Bäume wachsen nicht in den Himmel – der grüne | |
Höhenflug ist gestoppt.“ | |
Stimmt das? Es wäre eine Deutung, [2][die der Union sehr zupasskäme]. Wenn | |
sich die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt auf den Bund übertragen ließen, wäre | |
die Duellsituation zwischen CDU und Grünen faktisch beendet. Aber die | |
Wirklichkeit ist ein bisschen komplizierter. Das Votum von 1,8 Millionen | |
Wahlberechtigten in einer speziellen regionalen Situation lässt solch | |
weitgehende Schlüsse nicht zu. | |
[3][Die Grünen schafften in Magdeburg 5,9 Prozent], das ist im Vergleich | |
zur vorherigen Landtagswahl ein leichter Zuwachs (2016: 5,2 Prozent). Aber | |
die Erwartungen waren deutlich höher. Die Grünen hatten – gestützt durch | |
entsprechende Umfragen – auf ein zweistelliges Ergebnis gehofft. „Wir haben | |
nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben“, räumte | |
Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ein. | |
Für die Grünen ist das Ergebnis vor allem aus zwei Gründen ein Dämpfer. | |
Sachsen-Anhalt war die erste Wahl nach Baerbocks Nominierung als | |
Kanzlerkandidatin, ein erster Realitätscheck. Baerbock zog das Ergebnis | |
erkennbar nicht nach oben. Und die von ihr angestoßene Debatte über höhere | |
Spritpreise hat in einem Flächenland, in dem viele Menschen aufs Auto | |
angewiesen sind, geschadet – auch wenn sie von CDU und SPD unfair geführt | |
wird, die ja den höheren CO2-Preis selbst beschlossen haben. | |
## Die Söderʼsche Analyse ist konservatives Wunschdenken | |
Anders, als es sich die Grünen nach der Nominierung im April erträumt | |
hatten, gab es also keinen positiven Baerbock-Effekt, nirgends. | |
Problematisch für die Partei ist auch ein Bild, das sich immer wieder | |
beobachten lässt. Die Grünen schnitten in Sachsen-Anhalt am Ende deutlich | |
schlechter ab, als es sich zuvor in Prognosen andeutete. Auch im Bund lief | |
es in der Vergangenheit ähnlich. Nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 | |
schossen die Grünen in Umfragen nach oben. Bei der Bundestagswahl 2013 | |
landeten sie gerupft bei 8,4 Prozent. Das „In Umfragen hui, am Ende | |
pfui“-Narrativ verfestigt sich durch Sachsen-Anhalt. | |
Dennoch ist die Söderʼsche Analyse konservatives Wunschdenken – und nicht | |
realitätstauglich. Erstens ist es kein Naturgesetz, dass auf den Höhenflug | |
der Grünen der Absturz folgt. Bei wichtigen Wahlen der jüngeren | |
Vergangenheit, etwa in den bevölkerungsreichen Ländern Bayern oder Hessen | |
2018, erzielten sie beinahe das Ergebnis, das sich zuvor in Umfragen | |
abbildete. Und die Grünen liegen im Bund seit Langem stabil bei plus minus | |
20 Prozent – trotz Corona. Ihr Höhenflug ist also erstaunlich stabil. | |
Auch ist die Situation in Sachsen-Anhalt speziell und schwer übertragbar. | |
CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff profitierte erkennbar von seinem | |
Amtsbonus, auch einige Grünen-Sympathisanten werden ihm am Ende die Stimme | |
gegeben haben, weil sie die AfD nicht vorne sehen wollten. Ein solcher | |
Effekt fällt bei der Bundestagswahl weg, weil Kanzlerin Angela Merkel nicht | |
mehr antritt – und die AfD keine große Rolle spielt. | |
## Klimaschutz spielte keine Rolle | |
Nicht zuletzt sind im Bund andere Themen wichtig als in Sachsen-Anhalt. Als | |
wichtigste Probleme schätzten die WählerInnen dort laut der | |
Forschungsgruppe Wahlen Corona (31 Prozent), Bildung (18 Prozent), | |
Infrastruktur (15 Prozent), Arbeitslosigkeit (14 Prozent) und die | |
Wirtschaftslage (11 Prozent) ein. Bei diesen „Brot und Butter“-Themen wurde | |
den Grünen keine Kompetenz zugetraut, in der Befragung tauchten sie – | |
anders als die anderen Parteien – gar nicht erst auf. | |
Anders sah es beim Klimaschutz aus. Hier hielten 30 Prozent der Befragten | |
die Grünen für kompetent, sie lagen damit klar vor der Konkurrenz. Aber ein | |
Sieg bei einem Thema, das kaum jemanden kümmert, ist irrelevant. Der | |
CDU-Politiker Ruprecht Polenz twitterte am Montag: „Das kann für niemanden | |
eine Genugtuung sein, sondern es bezeichnet die Schwierigkeit der Aufgabe, | |
der sich auch die CDU stellen muss: Die Menschen müssen für den | |
1,5-Grad-Pfad gewonnen werden.“ | |
Damit liegt Polenz richtig. Es wäre fatal, wenn die anderen Parteien aus | |
der Wahl in Sachsen-Anhalt den Schluss zögen, dass ein ernsthafter Umgang | |
mit Klimaschutz verzichtbar sei, oder mehr noch, dass sich die Grünen mit | |
Ignoranz gegenüber der Erderhitzung schrumpfen ließen. Das hieße, den | |
Elefanten im Raum zu ignorieren, um kurzfristige Geländegewinne zu | |
verzeichnen. Im Bund ist vielen Menschen Klimaschutz wichtiger als in | |
Sachsen-Anhalt, auch das belegen Umfragen. | |
Erkennbar ist, dass die Grünen nach wie vor unter ihrem Image der | |
Ein-Themen-Partei leiden. Dies enspricht nicht der Realität, weil sie | |
programmatisch breit aufgestellt sind, aber Zuschreibungen halten sich | |
hartnäckig. Hinzu kam in Magdeburg, dass das grüne Personal hinter dem | |
beliebten CDU-Ministerpräsidenten unsichtbar blieb. Die Spitzenfrau | |
Cornelia Lüddemann ist für die allermeisten in Sachsen-Anhalt eine | |
Unbekannte. | |
## Die Frau, die keiner kannte | |
Etwas böse lässt sich der grüne Wahlkampf so zusammenfassen: Eine Frau, die | |
keiner kannte, kämpfte für ein Thema, das niemanden interessierte. | |
Win-Win-Situationen sehen anders aus. Die Grünen standen im Grunde gar | |
nicht auf dem Spielfeld. So gesehen sind 5,9 Prozent eigentlich noch ganz | |
gut. | |
Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, der aus Thüringen stammt, | |
erklärte des Ergebnis auch mit fehlender Akzeptanz bei älteren Menschen. | |
„Unser bestes Ergebnis von 19 Prozent haben wir bei Frauen bis 24 | |
erreicht“, twitterte er. Bei den über 60-Jährigen seien die Grünen – and… | |
als bei Wahlen in Westdeutschland – auf 4 Prozent eingebrochen. Kellners | |
Fazit: „Es fehlt das Aufwachsen seit den 80er Jahren mit den Grünen.“ | |
Aber müssen Grüne, die im Bund erfolgreich sein wollen, nicht auch in | |
Ostdeutschland überdurchschnittlich abschneiden? Ja, natürlich. Aber die | |
Performance der Grünen im Osten – falls man noch so pauschal von „dem | |
Osten“ sprechen will – ist unterschiedlich. Bei den Wahlen in Sachsen und | |
Brandenburg legten die Grünen 2019 jeweils stark zu, in Thüringen schafften | |
sie es nur knapp über die Fünfprozenthürde. Es kommt also stark auf die | |
regionale Situation an. | |
Aber natürlich gilt, dass die Grünen nach wie vor eine westdeutsch geprägte | |
Partei sind. Für sie sind die Wahlergebnisse im Westen entscheidender. Und | |
hier sieht es gut aus, Bayern und Hessen waren nur zwei Beispiele. Bei der | |
Europawahl 2019, bei der Wahlberechtigte in ganz Deutschland abstimmten, | |
schafften sie 20,5 Prozent. Damit lagen sie sogar ein, zwei Prozentpunkte | |
über den Prognosen. | |
Für die Grünen wird im Bund entscheidend sein, ob sie die Duellsituation | |
mit der Union aufrechterhalten können. Das Ergebnis in Magdeburg ist da ein | |
kleiner Stolperer, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dass Baerbocks Team | |
nicht in der Lage war, Ungereimtheiten im Lebenslauf vor ihrer Kandidatur | |
zu checken und auszuräumen, dürfte für die Grünen am Ende gefährlicher | |
sein. | |
7 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=friedrich+merz+taz | |
[2] /CDU/!t5008617 | |
[3] /Nach-der-Wahl-in-Sachsen-Anhalt/!5776670 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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