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# taz.de -- Bamf, Staatsanwälte und Medien: Bremer Freiheit
> Vom großen Bamf-Skandal um Ulrike B. blieb vor Gericht nichts übrig. Doch
> nicht alle Beteiligten sind bereit, daraus Lehren zu ziehen.
Bild: Von sämtlichen deutschen Medien diffamiert worden: Ulrike B. vor Gericht…
Was fehlt ist: der große Knall am Schluss. [1][Das lange so erregt
erwartete Bamf-Verfahren] ist seit Prozesseröffnung Mitte April vorm
Landgericht Bremen nach und nach in sich zusammengesackt und dann vorbei
gewesen, pfffft!, einfach so: Am 20. April schon war das Verfahren gegen
Ulrike B., die langjährige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts
für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wegen Geringfügigkeit gegen Auflagen
eingestellt worden.
Und am 27. Mai hatte dann die zweite große Strafkammer den Hildesheimer
Rechtsanwalt Irfan Ç. wegen eines Delikts nahe der Bagatellgrenze zu 60
Tagessätzen verurteilt, „wegen einer pieseligen Vorteilsnahme“, wie sein
Verteidiger Henning Sonnenberg nachher sagte. Es ging darum, dass er Ulrike
B. zwei Hotelübernachtungen à 65 Euro zahlen wollte, was sie ablehnte. Von
den ausländerrechtlichen Tatvorwürfen hat das Landgericht Irfan Ç.
freigesprochen. Von allen. Das Urteil ist rechtskräftig (Az.: 2 KLs 311).
Drei Jahre zuvor waren er und Ulrike B. von sämtlichen deutschen Medien als
Hauptakteur*innen eines massenhaften Asylbetrugs diffamiert worden.
Gestützt hatte sich die Berichterstattung auf Auszüge aus Ermittlungsakten,
vermittelt von der Staatsanwaltschaft Bremen. Im dortigen Ankunftszentrum
seien [2][„bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften
missachtet worden“, behauptete Bundesheimatminister Horst Seehofer] (CSU)
angesichts der Schlagzeilen.
Welche gesetzliche Regelungen? Das beließ er im Unklaren. Stattdessen
verfügte er die temporäre Stilllegung der Bamf-Außenstelle. Damals bekam er
viel Lob dafür, leider [3][auch aus der taz.] „Das, was in Bremen
passierte“, so unser Kommentar auf Seite eins, zerstöre „das Vertrauen
vieler Menschen in den Rechtsstaat“. Na ja, den sah das
Oberverwaltungsgericht Bremen wenig später eher durch den bis dato
[4][unvorstellbaren Grad amtlicher Vorverurteilung] durchs Innenministerium
gefährdet.
## 48-köpfige Ermittlungsgruppe
Aufs Ausländerrecht bezogen waren es im Prozess gegen Irfan Ç. nur noch
sieben Anklagepunkte gewesen, die sich als nichtig erwiesen. Er hätte
Mandant*innen angestiftet, sich als Iraker auszugeben, lautete ein
Vorwurf. Zwar halten die sich selbst für Iraker und laut Pass sind sie es
auch. Für die 48-köpfige „Ermittlungsgruppe Antrag“, der größten in der
Geschichte des Bundeslandes Bremen, war hingegen ein
[5][soziolinguistisches Schnellgutachten] des Bamf der schlagende Beweis
dafür, dass sie aus der postsowjetischen Staatengemeinschaft stammen
müssten.
Während die Ermittlungsgruppe es also sprachwissenschaftlich krachen ließ,
waren ihr andere linguistische Differenzen mumpe: So wurden nur
Arabisch-Dolmetscher*innen beschäftigt, als in Hildesheim Irfan Ç.s
Mandant*innen auf die Wache zitiert wurden, um gegen ihren Anwalt
auszusagen. Allerdings: Irfan Ç. ist jesidischer Kurde. Die meisten seiner
damaligen Klient*innen sind es auch. Kurdisch ist ihre Muttersprache –
und sie ist mit dem Arabischen nicht verwandt und nicht verschwägert. Die
Polizei hätte also ebenso gut Estnisch-Übersetzer*innen die Protokolle
anfertigen lassen können.
Ein anonymes Schreiben, das im Juni 2020 im Landgericht einging – und
Insider*innnenkenntnisse der „Ermittlungsgruppe Antrag“ aufweist,
schildert, wie „einseitig belastend“ ermittelt wurde. „Entlastendes
Material“ habe demnach „unberücksichtigt bleiben“ sollen. Eine Mail, die
Ulrike B.s Rechtstreue unterstrichen hätte, wäre vom Vorgesetzten
kurzerhand gelöscht worden. Und außer auf sie habe man sich „ausschließlich
auf die ‚türkischstämmigen Rechtsanwälte‘ konzentrieren“ sollen.
Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte Ulrike B., weil sie im Sommer 2016
einen Abschiebebescheid durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
torpediert hatte. Eine sechsköpfige jesidische Familie sollte nach
Bulgarien ausgeflogen werden. Der Regionspräsident von Hannover, Hauke
Jagau, und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (beide SPD)
beschwerten sich beim Bamf-Chef in Nürnberg, erfolgreich: Ulrike B.s
Bescheid wurde eingestampft. Die Familie wurde abgeschoben, im Sinne der
Dublin-III-Verordnung, aber [6][menschenrechtswidrig], wie mittlerweile in
letzter Instanz geklärt ist.
## Rechtskundiger, als das Amt erlaubt
Ulrike B. war rechtskundiger, als das Amt erlaubt. Sie hatte im Vorgriff
auf diese Entscheidungen gehandelt. Das war juristisch kühn, hatte ihr
schon vor den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen disziplinarische
Maßregeln eingetragen, und es ist ihr jetzt noch teuer zu stehen gekommen:
Am 20. April hatte sie in die Einstellung des Verfahrens eingewilligt – aus
prozessökonomischen Gründen. 10.000 Euro musste sie zahlen, um endlich ihre
beamtenrechtliche Angelegenheiten klären zu können: Seit drei Jahren darf
sie nicht arbeiten – weil sie so gut ist, in ihrem Job. Ulrike B. „soll
dafür zahlen, dass sie Opfer einer Intrige von Asylgegnern wurde“, sagt
Wissenschaftler Matthias Knuth. Er hat [7][ein Crowdfunding initiiert,]
„damit die Betroffene dieses Geld nicht selbst aufbringen muss“.
Ihr hatte die Anklage nicht ein einziges Delikt aus dem Rechtskreis
Ausländerrecht vorwerfen können: Dabei wollte Staatsanwalt Johannes F. das,
dringend. Nur hatte das Landgericht seine substanzlosen Beschuldigungen
nicht zur Verhandlung angenommen. Um eigenmächtig vermeintliche
Strafbarkeitslücken zu schließen, hatte Johannes F. in der ursprünglichen
Fassung der Anklage sogar angeregt, [8][andere Strafnormen analog
anzuwenden auf das, was ihm an Ulrike B.s Entscheidungen missfallen hatte].
Das klingt, wie ein für ein Jura-Lehrbuch konstruierter Fall von
Rechtsbeugung.
Johannes F. gehört, neben Behördenleiter Janhenning Kuhn, dessen Sprecher
und einer Abteilungsleiterin, zu den vier Staatsanwält*innen, die wegen
ihrer Rolle in den Ermittlungen zu den Bamf-Ermittlungen bei der Bremer
Generalstaatsanwaltschaft als namentliche Beschuldigte geführt werden.
Pikant: Dieses Zwischenergebnis gab diese erst am 22. April bekannt, also
zwei Tage nach dem teuren Einstellungsbeschluss: Johannes Eisenberg, Ulrike
B.s Verteidiger, sieht in der Verzögerung eine bösartige Volte. Schließlich
datiert seine Strafanzeige auf Frühjahr 2019.
Momentan ist Johannes F. abgeordnet an die Bundesanwaltschaft. Mindestens
in einem Fall hat er dazu beigetragen, [9][in einem vom Bremer
Verwaltungsgericht für illegal erklärten] „Hintergrund-Gespräch“ mit ein…
Zeit-Journalisten Ulrike B. und Irfan Ç. eine zutiefst sexistische
Lovestory anzudichten – als Motiv für Taten, die man ihnen hatte
unterstellen wollen. Staatsanwälte gelten Medien als „privilegierte
Quelle“, also eine, auf die man sich verlassen darf, – umso mehr, wenn der
weisungsbefugte Behördenleiter Kuhn, der alles hätte stoppen können,
mitplaudert.
Die Frage, wie im Frühjahr 2018 eine gegenstandslose Geschichte die
Schlagzeilen dominieren konnte, die vor allem Stimmung gegen Geflüchtete
schürte, wird nicht überall mit gleicher Intensität bearbeitet.
Qualitätsmedien, die auf sich halten, haben über den Fort- und Ausgang des
Verfahrens berichtet, [10][so, wie es ihre Pflicht ist.] Manche
selbstkritisch: „Die Medien, allen voran der NDR, waren willige Helfer und
machten die Geschichte groß“ – erinnerte der NDR an die eigene Rolle im
bösen Spiel.
## Wie ein Soufflé
Leid tun müssen einem dagegen Spiegel-Abonent*innen. Denn eine Zeit lang
hatten in dem Blatt [11][fast montäglich Horrorstorys über dieses
linksgrün-versiffte Bremer Schlupfloch gestanden]. „Wir haben unsere
Leserinnen und Leser über die Einstellung des Verfahrens informiert“,
behauptet zwar Spiegel-Sprecher Michael Grabowski, aber die Aussage hat die
Struktur einer jesuitischen Lüge: Sie gilt nur fürs Online-Publikum. Das
Papier hingegen ist dem Verlag zu schade, um zu verbreiten, dass sich all
diese Behauptungen vor Gericht als so belastbar erwiesen haben, wie ein
Soufflé, bei dem vorzeitig die Ofentür geöffnet wurde. Im Magazin kommt die
Affäre nicht mehr vor seit November 2018.
Auf Revision hat die Staatsanwaltschaft verzichtet. Das leise Ende des
Skandals kommt aber auch anderen zupass. Horst Seehofer etwa und seinem
parlamentarischen Staatssekretär Stephan Mayer (beide CSU): Der hätte als
Dienstherr die Beamtin Ulrike B. bei ihrer [12][amtlichen Tätigkeit und in
ihrer Stellung schützen müssen]. Stattdessen hatte er in der Talkshow „Anne
Will“ so richtig auf die Tube gedrückt, als versuche er mit 170 Sachen den
zweiten Gast, Alexander Gauland (AfD), rechts zu überholen. [13][Was
illegal war.] Sanktioniert wurde es nie. Vielleicht wäre hier
zivilrechtlich was zu holen.
Der Bremer [14][Staatsanwaltschaftsskandal] braucht Seehofer und Mayer
indes nicht zu kümmern. Der bleibt in Bremen. Und selbst dort … „Die
zuständige Senatorin Claudia Schilling (SPD) muss sich mit der Frage
befassen“, fordert zwar die Fraktionsvorsitzende der mitregierenden Linken,
Sofia Leonidakis. Es sei „ein Schaden für die Staatsanwaltschaft insgesamt
entstanden“. Aber bislang ist sie die einzige vernehmbare Stimme aus dem
politischen Raum geblieben. Diese Stille ist beunruhigend.
14 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/bamf-skandal-in-bremen-wie-eine-behoerde-fra…
[2] https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/ankunftszentrum-bremen-dar…
[3] /Kommentar-Seehofer-und-Bamf-Affaere/!5505493
[4] https://www.oberverwaltungsgericht.bremen.de/entscheidungen/entscheidungsue…
[5] https://gal-ev.de/sektionen/soziolinguistik/
[6] https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf;jsessionid=AD852ADA74D4…
[7] https://www.betterplace.me/solidaritaet-mit-ulrike-b?utm_campaign=user_shar…
[8] https://www.juraforum.de/lexikon/analogieverbot
[9] https://www.verwaltungsgericht.bremen.de/entscheidungen/detail.php?gsid=bre…
[10] http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Geric…
[11] /!5724072/
[12] https://dejure.org/gesetze/BBG/78.html
[13] https://www.verwaltungsgericht.bremen.de/entscheidungen/detail.php?gsid=br…
[14] https://www.lto.de/recht/presseschau/p/2021-05-10-lockerungen-beamtenbekle…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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