# taz.de -- Abschiebung von Ajdovan Demirov: Nach einem halben Leben raus | |
> Ajdovan Demirov lebt seit 32 Jahre in Deutschland, hat Töchter samt | |
> Enkelkind hier wohnen. Trotzdem soll der 63-Jährige nun nach Mazedonien | |
> ausreisen. | |
Bild: Ist in Deutschland zu Hause: Ajdovan Demirov | |
Hamburg taz | Ein zwei Kilogramm schwerer Hammer hat Ajdovan Demirov aus | |
der Bahn geworfen. Der Hammer fiel ihm auf den Kopf, als er für eine | |
Zeitarbeitsfirma in Hamburg ein Stahlregal aufbaute. Aus vier Metern Höhe. | |
Demirov trug keinen Helm. „Sie haben Glück gehabt, dass Sie überhaupt noch | |
leben“, habe ihm der behandelnde Arzt gesagt, erinnert er sich. | |
Jetzt, nach weiteren zwanzig Jahren in Deutschland, soll Ajdovan Demirov | |
nach Mazedonien abgeschoben werden, ein Land, in dem er kaum mehr jemanden | |
kennt. Seine wahrscheinlich letzte Chance ist eine [1][Petition, die die | |
Caritas für ihn bei der Hamburgischen Bürgerschaft eingereicht] hat und | |
über die zu entscheiden sein wird, wenn der parlamentarische Betrieb Ende | |
dieser Woche wieder beginnt. Der Rechtsweg scheint weitgehend ausgeschöpft | |
zu sein. | |
Ajdovan Demirov ist 1989 mit seiner damaligen Frau und zwei kleinen Kindern | |
nach Deutschland gekommen, weil die Familie in Mazedonien keine | |
wirtschaftliche Perspektive sah. Bis zu seinem Unfall arbeitete der Vater | |
ein Jahrzehnt lang auf Sozialversicherungsbasis. Nach dem Unfall wurde er | |
arbeitsunfähig, wie aus Unterlagen der [2][Caritas] hervorgeht. Trotzdem | |
habe er noch zwei Jahre als Reinigungskraft weitergearbeitet, danach nur | |
noch wenige Monate im Jahr. | |
„Für meine Schwester und mich löst die Vorstellung der Abschiebung unseres | |
Vaters pure Angst und Verzweiflung aus“, schreibt die Hamburgerin Sabina | |
Demirova in einem Begleitbrief an den Petitionsausschuss. Sie und ihre | |
Schwester Bella sind nach Angaben der Caritas in Deutschland aufgewachsen | |
und haben ein unbefristetes [3][Aufenthaltsrecht]. Die in Hannover lebende | |
Bella hat ein dreijähriges Kind. | |
„Unser Vater bringt sich so gut wie nur möglich in unserem Familienleben | |
ein“, schreibt Sabina. „Zum Beispiel unterstützt er mich liebevoll mit der | |
Betreuung meines Hundes, während ich arbeiten bin oder kocht gerne für mich | |
und meine Freunde, wenn sich Besuch ankündigt.“ | |
Ihr Vater besuche auch oft ihre Schwester in Hannover und unterstütze sie | |
mit der Kinderbetreuung. Im Garten pflanze er mit seiner Enkelin Gemüse, | |
erzähle ihr Geschichten und lese ihr vor. „Seine Rolle als Opa nimmt er | |
sich sehr zu Herzen“, schreibt Sabina. Ihr Vater habe einen großen | |
Freundeskreis in Deutschland und bringe sich ein, etwa durch die Betreuung | |
von Kindern und Jugendlichen auf St. Pauli. | |
Ganz anders sieht es aus in Mazedonien. 2016 wurde Demirov schon einmal | |
dorthin abgeschoben. „Ich kenne keine Leute mehr da“, sagt er. Eine | |
Behandlung wegen seines häufigen Schwindels und seiner Kopfschmerzen habe | |
er abbrechen müssen. „Meine Schwester hat ihren Fernseher und ihre | |
Waschmaschine verkauft, um das Krankenhaus zu bezahlen“, erzählt Demirov. | |
Trotzdem habe das Geld nicht gereicht. Ein halbes Jahr später kam er zurück | |
nach Deutschland. | |
Das Wissen, dass ihr Vater in Mazedonien nichts und niemanden habe, bürde | |
den Schwestern eine riesige Last auf, schreibt Sabina. „Es geht nicht nur | |
um die Hilfe im Sinne von Krankheit oder körperlicher Unterstützung, | |
sondern viel mehr um den emotionalen Zustand meines Vaters.“ Ohne | |
vertrauensvolle Beziehungen in seiner neuen Heimat drohe er seine mühsam | |
aufgebaute psychische Stabilität zu verlieren. „Seit Jahren ist es unserem | |
Vater nicht möglich, ohne Angst und Sorge vor Abschiebung hier zu leben“, | |
schreibt Sabina. | |
Demirovs gesetzlicher Betreuer Edip Bethzero bestätigt, dass Demirov Angst, | |
ja Panik habe vor der [4][Ausländerbehörde]. „Der hat sogar Angst gehabt, | |
mit mir hoch zu kommen“, erinnert sich Bethzero. Demirov sei regelrecht | |
„fertig mit dem Leben, weil er tagein, tagaus mit dem Gedanken lebt, er | |
muss zurück“. | |
Bethzero hat die Betreuung vor knapp zwei Jahren übernommen. Demirov tue | |
sich schwer mit dem deutschen Papierkram. Der Betreuer hat den Eindruck, | |
dass Demirov in den vergangenen Jahren schlecht beraten gewesen sein | |
könnte. „Ich bin um einige Jahre zu spät“, vermutet er. | |
## Seit 2011 nur noch geduldet | |
Zu den Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, gehört, warum | |
Demirov nach seinem Arbeitsunfall keine Erwerbsminderungsrente erhielt. | |
Eine andere Frage ist, ob er nach der Trennung von seiner zweiten, | |
deutschen Frau seine Aufenthaltserlaubnis hätte verlieren müssen. Nach wie | |
vor sind beide verheiratet. Getrennt haben sie sich 2005. Seit 2011 ist | |
Demirov nur noch geduldet, das heißt, er kann jederzeit abgeschoben werden. | |
„Bis heute hat Herr Demirov nicht genau verstanden, warum ihm im Jahr 2011, | |
nachdem er sich zu dem Zeitpunkt bereits seit 22 Jahren in Deutschland | |
aufgehalten und hier auch gearbeitet hatte, der Aufenthalt entzogen wurde“, | |
schreibt die Caritas. | |
Demirov ist zuletzt 2009 eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden, 2011 | |
eine 60-prozentige Schwerbehinderung wegen psychischer Probleme, | |
Schwerhörigkeit und Wirbelsäulendegeneration. Dass es ihm so schlecht geht, | |
führt er auf den Arbeitsunfall zurück. Deshalb klagt er jetzt gegen die | |
Berufsgenossenschaft – mit zwanzig Jahren Verzug. | |
4 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Lampedusa-Fluechtlinge-im-Abseits/!5304876 | |
[2] https://www.caritas-hamburg.de/ | |
[3] /Hungerstreik-in-Belgien/!5781092 | |
[4] https://www.hamburg.de/behoerdenfinder/hamburg/info/auslaenderbehoerde/ | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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