# taz.de -- Bescheid unzustellbar: Abschiebung aus dem Nichts | |
> Eine Asylsuchende soll abgeschoben werden, dabei hat sie der | |
> entsprechende Bescheid gar nicht erreicht. Ihre Postadresse war nicht | |
> bekannt. | |
Bild: Wel die Anschrift von Schutzsuchenden oft nicht bekannt ist, kommen Behö… | |
GÖTTINGEN taz | Fayola Abubakar (Name geändert) fuhr erschrocken aus dem | |
Bett, als Polizisten und Behördenmitarbeiter eines frühen Morgens im August | |
des vergangenen Jahres an ihrer Wohnungstür im Städtchen Dassel im Kreis | |
Northeim klingelten. Sie seien gekommen, erklärten die Beamten der | |
bestürzten Frau, um die vom [1][Bundesamt für Migration und Flüchtlinge] | |
(Bamf) vorab schriftlich angekündigte Ausweisung zu vollziehen. | |
Sie sollte im Rahmen der Dublin-Verordnungen nach Spanien abgeschoben | |
werden; über dieses Land war die Nigerianerin in die Bundesrepublik | |
eingereist. | |
Einen solchen Bescheid, gegen den sie sich noch rechtlich hätte wehren | |
können, habe sie nie erhalten, versicherte Abubakar den unangekündigten | |
Besuchern. Sie hatte recht: Das entsprechende Schreiben hatte das Bamf an | |
die Adresse der niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Braunschweig | |
geschickt, wo die Geflüchtete zunächst auch untergebracht war. Den Umzug | |
nach Dassel hatte niemand dem Bundesamt mitgeteilt. | |
Abubakar hatte Glück. Die damalige Abschiebung sei abgebrochen worden, sagt | |
die Göttinger Rechtsanwältin und Vorsitzende des [2][niedersächsischen | |
Flüchtlingsrates], Claire Deery. Inzwischen [3][befinde sich die schwer | |
traumatisierte Frau im Kirchenasyl]. Ihr Asylverfahren läuft. Deery ist | |
optimistisch, dass Abubakar ein Bleiberecht in Deutschland bekommen kann. | |
## Flüchtlingsrat fordert „Adressermittlungspflicht“ | |
Die Geschichte ist offensichtlich kein Einzelfall. Nach Angaben des | |
Flüchtlingsrates erreichen immer mehr Schriftsätze und Bescheide des Bamf | |
die Geflüchteten nicht, da deren Adresse der Behörde nicht bekannt ist. In | |
der Konsequenz würden Asylverfahren eingestellt und Bescheide | |
rechtskräftig, die die betroffenen Flüchtlinge niemals erreicht hätten. | |
Der Flüchtlingsrat fordert deshalb eine „Adressermittlungspflicht“ des | |
Bundesamtes, sagt der Geschäftsführer des Rates, Kai Weber. Zudem müssten | |
die Landesaufnahmebehörde und die örtlichen Ausländerbehörden verpflichtet | |
werden, dem Bamf Adressänderungen von Flüchtlingen von Amts wegen | |
mitzuteilen. | |
Rechtlich seien die Asylsuchenden verpflichtet, jede Änderung ihrer | |
Adresse dem Bamf mitzuteilen, räumt Weber ein. Dies sei den Betroffenen | |
oftmals aber nicht bewusst. Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass | |
Geflüchtete oftmals erst nach mehreren Monaten auf die Kommunen verteilt | |
und vorher lange zwischen verschiedenen Aufnahmeeinrichtungen des Landes | |
„hin- und hergeschoben“ würden. | |
So würden Geflüchtete zunächst in der Erstaufnahme Bad Fallingbostel/Oerbke | |
untergebracht, anschließend zur Registrierung in die Messehallen nach | |
Hannover geschickt und nach vier Wochen erneut nach Fallingbostel | |
zurückverwiesen. Anschließend würden sie etwa der Stadt Hannover | |
zugewiesen, mit Unterbringung in einer anderen Messehalle. | |
Aus dieser Halle heraus erhielten sie dann eine kommunale Unterkunft oder | |
Wohnung. „Die ganze Verantwortung bei dieser selbst für Deutsche schwer | |
durchschaubaren Behörden-Konstellation allein den Antragstellern | |
aufzubürden, ist trotz der formalen Belehrungen durch das Bamf nicht in | |
Ordnung“, findet Weber. | |
Nach geltendem Recht stellt das Bamf seine Bescheide und Schriftsätze | |
grundsätzlich der Anschrift zu, die ihm zuletzt vom Antragstellenden oder | |
einer öffentlichen Stelle mitgeteilt wurde. Zu weiteren Nachforschungen ist | |
das Bamf nicht verpflichtet, wie das Bundesverwaltungsgericht 2020 | |
geurteilt hat. | |
## Keine Pflicht zu Nachforschungen | |
Auch sieht die Durchführungsanordnung des Bamf ausdrücklich vor, dass die | |
Behörde nicht verpflichtet ist, eigenständig Nachforschungen zur Anschrift | |
anzustellen oder eine Auskunft über das Ausländerzentralregister (AZR) | |
einzuholen. | |
Die dort gespeicherten Daten seien dem Bamf, so heißt es in der | |
Dienstanordnung, nicht zuzurechnen. Selbst wenn das Bamf aufgrund von | |
früheren unzustellbaren Schreiben weiß, dass die letzte bekannte Adresse | |
nicht mehr aktuell ist, sollen Schriftsätze und Bescheide ohne | |
Anschriftenermittlung weiterhin an die letztbekannte Adresse geschickt | |
werden. Die Anschrift zu ermitteln, sei nur in Widerrufsverfahren erlaubt. | |
Der Flüchtlingsrat bezeichnet die Aussage, dass Informationen aus dem | |
Ausländerzentralregister dem Bamf nicht zuzurechnen seien, [4][als | |
„schlichten Unfug“]: Wem denn sonst, wenn nicht dem Bundesamt, sollten die | |
Daten denn sonst zugänglich sein, fragt Weber. Mindestens eine telefonische | |
Nachfrage bei der Landesaufnahmebehörde oder bei der zuständigen | |
Ausländerbehörde könne dem Bundesamt zugemutet werden. Eine solche reiche | |
in der Regel auch aus. | |
22 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /FDP-Finanzminister-schwenkt-nach-rechts/!5917794 | |
[2] /Mieten-fuer-Gefluechtete-in-Niedersachsen/!5912073 | |
[3] /Kirchenasyl-in-Bayern/!5911968 | |
[4] https://www.nds-fluerat.org/ | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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