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# taz.de -- Warten in der Ausländerbehörde: Unsere Zeit, die nichts zählt
> Alle zwei bis drei Jahre muss ich meinen Aufenthaltstitel erneuern. Es
> ist jedes mal eine langwierige Angelegenheit mit ungewissem Ausgang.
Bild: Ausfüllen ist das Eine, auf die Bearbeitung warten das Andere: Formulare…
Oft sage ich, dass es nicht „die Geflüchteten“ gibt; dass wir nicht als
homogene Gruppe betrachtet werden können. Das stimmt – und doch gibt es ein
paar Erfahrungen, die die meisten Geflüchteten teilen. Dazu zählen der
Besuch in der Ausländerbehörde und die Überraschungen, die wir dort
erleben.
Wie viele [1][Menschen mit Fluchtgeschichte] muss ich regelmäßig meinen
Aufenthaltstitel erneuern. Ich kann sagen: Immerhin habe ich dieses Glück.
Alle zwei bis drei Jahre bekomme ich die Bestätigung, dass mein Leben hier
in [2][Hamburg] erlaubt ist. Das ist mehr, als andere sagen können (ja,
auch viele Syrer:innen). Warum es alle zwei bis drei Jahre sein muss, ist
eine Geschichte von Zufällen und Seehofers Politik, ein bisschen zu lang
für diese Kolumne. Sagen wir, die Ausländerbehörde möchte mich gerne
wiedersehen – und mehr Arbeit haben.
Bei jedem Besuch finde ich ein leicht verändertes System vor.
Wahrscheinlich wollen uns die Behörden gerne überraschen! Zum Beispiel das
Terminbuchungssystem: Es ist fast ein bisschen aufregend, zu erfahren, ob
und wie ich dieses Mal an einen Termin kommen kann.
Die ersten Male musste ich mit meinem Bruder wahnsinnig früh aufstehen, um
eine Nummer zu ziehen. Und dann warten, warten, warten. Je früher wir
morgens da waren, desto schneller kamen wir dran. Nach einiger Zeit hier
fiel es mir schwer, zu glauben, dass das wirklich das „normale“ System in
Deutschland ist.
Während der Wartezeit hatte ich auch viel Zeit zum Nachdenken. Glaubt man
in der [3][Ausländerbehörde], dass die Zeit von Menschen wie mir, Menschen
mit Fluchtgeschichte, nicht so wichtig ist? Dass es nicht so schlimm ist,
vier oder fünf Stunden auf einen Termin zu warten? Oder denkt man an unsere
Gesundheit und möchte uns eine Auszeit gönnen? Denn etwas anderes als
sitzen, [4][warten], mit dem Handy spielen oder auf den Boden gucken kann
man dort nicht. Hat in der Ausländerbehörde überhaupt jemand an die
Ausländer gedacht?
In der Businesswelt heißt so etwas doch “Kundenorientierung“. Ein bisschen
“Ausländerorientierung“ wäre super.
In der Coronapandemie bemerkten auch die Hamburger Behörden, dass es nicht
so weitergehen kann (wegen der Infektionsgefahr, soweit ich weiß, nicht aus
Respekt vor der Zeit der Menschen). Endlich kam ein digitales
Terminbuchungssystem! Und es hat allen geholfen: den Mitarbeiter:innen, den
Geflüchteten, und allen anderen Bürger:innen.
Als ich im vergangenen Monat bemerkte, dass mein Aufenthaltstitel nicht
mehr lange gültig ist, erwartete mich die nächste Überraschung. Ich konnte
ein Onlineformular ausfüllen und hochladen. Super, dachte ich, die
Digitalisierung hat doch ihren Weg in die Ausländerbehörde gefunden! Ich
habe das Formular also ausgefüllt, hochgeladen – und dann die Meldung
bekommen, dass ich einen Termin beantragen sollte. Aber in dem digitalen
Kalender waren alle, wirklich alle Termine ausgebucht. Ich habe jeden Tag
und jeden Monat durchgeklickt, aber nein. Doch dann kam eine automatisierte
E-Mail:
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für die Nutzung des Online-Dienstes. Ihre Dokumente werden nun
geprüft. Bitte kommen Sie zu dem vereinbarten Termin in die Behörde. Wenn
wir noch weitere Dokumente benötigen, melden wir uns. Wenn eine
Terminvereinbarung online nicht möglich war, melden wir uns bei Ihnen mit
einem Terminangebot. Mit freundlichen Grüßen
Ihre Ausländerbehörde
Seit knapp vier Wochen warte ich jetzt auf dieses „Terminangebot“. Mein
Aufenthaltstitel ist inzwischen abgelaufen und ich weiß nicht weiter. Das
Formular nochmal ausfüllen? Noch mehr E-Mails schicken? Für einen kurzen
Moment wünsche ich mir, ich könnte einfach ganz früh aufstehen und eine
Nummer ziehen gehen.
25 Apr 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Hussam Al Zaher
## TAGS
Kolumne Hamburger, aber halal
Hamburg
Ausländerbehörde
Geflüchtete
Aufenthaltsrecht
Kolumne Hamburger, aber halal
Migration
Schwerpunkt Flucht
Migration
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