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# taz.de -- Urteil im Bamf-Prozess: Es gab keinen „Asylbetrug“
> Mit Freisprüchen in allen ausländerrechtlichen Anklagepunkten endet der
> Landgerichts-Prozess um den Bremer „Bamf-Skandal“.
Bild: Richterin Maike Wilkens im improvisierten Gerichtssaal im Konzerthaus „…
BREMEN taz | In Hildesheim auf der Straße wird Rechtsanwalt Irfan Ç.
manchmal beschimpft, seit es im Frühjahr 2018 so richtig losgegangen war
mit dem vermeintlichen Bamf-Skandal. Angesichts dessen wirken die
Sicherheitsvorkehrungen fast ein wenig lax: Die paar Journalist*innen, die
zum Abschluss in das Bremer Konzerthaus Glocke gekommen sind, werden am
Donnerstag einfach durchgewunken. Kein Detektor, kein Ausweis, hoch in den
Kammermusiksaal.
Dort hat das Landgericht am Donnerstag das Urteil im Prozess um
vermeintliche Missstände an der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge (Bamf) verkündet. Zusammengefasst lautet es: Es
hat sie nicht gegeben.
In allen aufs Asylrecht bezogenen Anklagepunkten gegen ihn – nur sieben von
78 hatte das Gericht als halbwegs begründet überhaupt zur Verhandlung
zugelassen – ist Irfan Ç. freigesprochen worden. In keinem dieser Fälle war
es der Staatsanwaltschaft gelungen, auch nur annähernd einen Beweis für
ihre Unterstellungen zu erbringen.
Und nach der Beweisaufnahme scheint klar: Eine reguläre Ermittlungsarbeit
hätte den Verdacht auch ausräumen können. Mittlerweile wird gegen die
Ermittler selbst ermittelt. Nur als er der Bremer Bamf-Leiterin Ulrike B.
irgendwann im Jahr 2015 angeboten hatte, die Kosten für ihre zwei
Hotelübernachtungen à 65 Euro in Hildesheim zu übernehmen, hat es Irfan Ç.
mit der Kontaktpflege im Engagement für seine Mandat*innen etwas
übertrieben. Das Verfahren gegen die 61-Jährige war am 20. April gegen eine
empfindliche Geldbuße eingestellt worden.
Von einer „Grauzone“ hatte auch Irfan Ç.s Anwalt im Bezug auf die teils
privaten, teils beruflichen Kontakte der beiden gesprochen. Die Kammer habe
in der Gesamtschau [1][eine Unrechtsvereinbarung erkannt], erläuterte die
Vorsitzende Richterin Maike Wilkens. Warum man den 42-jährigen Juristen zu
einer Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen à 100 Euro verurteilt: Für eine
wohlwollende Behandlung seiner Anträge gebe es ja Indizien. Vorteilsannahme
und -gewährung heißen die Delikte.
Tatsächlich hatte sich der Hildesheimer selbst belastet, indem er Ulrike B.
als seine Mentorin in Asylrechtsfragen bezeichnete. „Ich habe viel von ihr
gelernt“, hatte er noch in seinem Schlusswort als Angeklagter betont.
Wilkens sah darin den Ausdruck „einer unguten Vermischung von privater und
beruflicher Beziehung“. Die Verurteilung bleibe aber im untersten Bereich
des Strafrahmens.
Irfan Ç.s Anwalt Henning Sonnenberg wertete das als großen Erfolg. „Eine
pieselige Vorteilsnahme ist alles, was übrig geblieben ist – das ist doch
nichts!“, erläuterte er der Presse nach dem Prozess. Nachvollziehbar: Die
Staatsanwaltschaft hatte schließlich ursprünglich geplant, seinen Mandanten
mit Freiheitsstrafe und lebenslangem Berufsverbot zu belegen.
Nein, Revision einzulegen plane er nicht, so Sonnenberg folgerichtig. Mit
dem letzten Satz seines Plädoyers hatte er bereits beantragt,
festzustellen, dass „das Land Bremen grundsätzlich zum Schadenersatz
gegenüber meinem Mandanten verpflichtet wird“.
Ob die Staatsanwaltschaft Revision einlegen will, ist zwar ungewiss. „Aber
ich wüsste nicht, wo sie einen Angriffspunkt finden will“, so Sonnenberg.
Das Gericht habe „alles extrem sorgfältig gegen Rechtsfehler abgedichtet“.
Neben der peniblen Prozessführung spricht aber auch dagegen, dass sich die
Staatsanwaltschaft mit der Dauer des Verfahrens mehr und mehr selbst in den
Fokus gerückt hat. Von einem „Staatsanwaltschaftsskandal“ und einem
„vorverurteilenden Ermittlungsexzess“ hatte Süddeutsche-Kommentator
Heribert Prantl [2][Anfang Mai gesprochen]. Die taz hatte zuvor über die
Ermittlungen gegen die Anklagebehörde berichtet.
Auch deren Leiter Janhenning Kuhn wird als Beschuldigter geführt. Er hatte
sich aktiv in das mediale Kesseltreiben gegen die ehemalige Amtsleiterin
Ulrike B. und Irfan Ç. [3][eingebracht]. Unter anderem hatte sein Sprecher
mit seiner Erlaubnis vor den Fernsehkameras von Radio Bremen eine
ehrenrührige Lovestory als vermeintliches Motiv für die vorgeworfenen, aber
nie begangenen ausländerrechtlichen Delikte ausgebreitet. Illegal, wie das
Verwaltungsgericht später festgestellt hat.
Die Beweisaufnahme hatte die Arbeit der Anklagebehörde in ein
besorgniserregendes Licht gehüllt: Hinweise darauf, dass den befragten
Mandant*innen oft nicht klar gewesen war, ob sie mit Kanzleiangestellten
oder ihrem Anwalt gesprochen hatten, wurden von den Ermittlern konsequent
ignoriert. Es wurde einfach alles Irfan Ç. zugeordnet – und gegen ihn
verwendet.
Während seine Mandant*innen fast ausschließlich jesidische Kurd*innen
waren, manche sogar einsprachig, fungierten als Dolmetscher*innen
Arabisch-Fachkräfte, die des Kurmanci nicht mächtig sind. Kurdisch und
Arabisch sind linguistisch betrachtet so weit voneinander entfernt wie
Estnisch und Deutsch.
Nicht einmal der Versuch, die Art und Umstände der Kontaktaufnahme zur
Kanzlei von Irfan Ç. zu klären, sei bei den Befragungen unternommen worden,
rügte Richterin Wilkens. „Die notwendigen Fragen haben wir hier im Gericht
gestellt.“ Das Ergebnis: „Keiner der als Zeugen gehörten damaligen
Asylbewerber hat die Vorwürfe der Anklage bestätigt“, so Wilkens.
Eine hatte sogar ausdrücklich eine im Polizeiprotokoll ihr zugeschriebene
Bezichtigung, nachdem sie ihr in ihre Muttersprache übersetzt worden war,
als ganz falsch bezeichnet. Nicht zuletzt die Diversität der gehörten
Aussagen schließe aber ein abgestimmtes und gesteuertes Verhalten nahezu
aus, so die Vorsitzende: „Das Aussageverhalten war so unterschiedlich wie
die Zeugen selbst.“
## Eine sinnvolle Spur
Es bestehe daher kein Anlass, am Wahrheitsgehalt ihrer gerichtlichen
Aussagen zu zweifeln. Die Gründe für die Abweichungen von den
Vernehmungsprotokollen müssten „an anderer Stelle gesucht werden“. Sie
hatte kulturelle und gesellschaftliche Differenzen als Erklärmodelle ins
Spiel gebracht.
Das scheint eine sinnvolle Spur: Irfan Ç. lebt seit 36 Jahren in
Deutschland, hier ist er zur Schule gegangen, hier hat er studiert. „Ich
habe hier erst Türkisch gelernt, obwohl ich in der Türkei geboren bin“,
sagt er im Schlusswort.
Er stammt aus der Region Mardin an der Grenze zu Syrien, ist Kurde und
Angehöriger der in der gesamten islamischen Welt diskriminierten
jesidischen Minderheit. Die machte auch den [4][Großteil seiner
Mandantschaft aus] in jener Zeit von 2014 bis 2016. Denn sie flüchteten vor
einem Völkermord. Der IS war auf dem Vormarsch in den jesidischen
Siedlungsgebieten im Irak.
## Amtlicher Rufmord
„Die Mädchen wurden verschleppt, versklavt und regelmäßig vergewaltigt“,
erinnerte Irfan Ç. an die Gräuel. „Die jungen Männer wurden erschossen oder
enthauptet.“ Bei Alten und Kranken sei den Schergen „die Munition zu
wertvoll gewesen“, die habe man lebendig verscharrt. „Das war, was viele
meiner Mandant*innen erlebt hatten“, sagt er.
Es ist möglich, dass solche Traumata die Empfänglichkeit für
Einschüchterung durch Polizei und Staatsanwälte fördern, ebenso wie eine
allzu zielgerichtete Art der Befragung: Teilweise hatten die Ladungen zur
Vernehmung bei den Betroffenen geradezu Panik ausgelöst, immer
Verunsicherung.
In den Schreiben habe nur gestanden, dass sie auf der Wache zu erscheinen
hätten, „wegen einer wichtigen Angelegenheit“, erinnert Verteidiger
Sonnenberg. Einige von Irfan Ç.s Mandanten seien „mit gepacktem Koffer bei
diesem Termin erschienen“. Eine Belehrung sei ausgefallen. Immer hätten die
Beamten dazu beigetragen, den Ruf von Irfan Ç. zu beschädigen und das
Vertrauen seiner Mandant*innen zu zerstören.
28 May 2021
## LINKS
[1] https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/06/5-323-06.php
[2] https://www.lto.de/recht/presseschau/p/2021-05-10-lockerungen-beamtenbeklei…
[3] /Nach-dem-Bamf-Skandal/!5769117
[4] /Nutzniesser-das-Bamf-Skandals/!5508690
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
## TAGS
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