# taz.de -- Linken-Abgeordnete über ihre Festsetzung: „Es gab eine politisch… | |
> Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linken in Hamburg, erhebt Vorwürfe | |
> gegen die Bundesregierung. Sie war am Düsseldorfer Flughafen festgesetzt | |
> worden. | |
Bild: Wurde am Flug nach Erbil gehindert: Cansu Özdemir | |
taz: Frau Özdemir, warum wollten Sie am Samstag nach Südkurdistan im | |
Nordirak reisen? | |
Cansu Özdemir: Momentan kommt es dort zu einer Eskalation. Das hat | |
einerseits innerkurdische Gründe, andererseits versucht die türkische | |
Regierung, dort [1][einen Krieg zu führen]. Erst vor wenigen Tagen hat sie | |
ein unter Schutz der Vereinten Nationen stehendes Flüchtlingscamp | |
bombardiert. Dabei sind drei Zivilist*innen ums Leben gekommen. Ich | |
wollte mir mit anderen Teilnehmenden einer Friedensdelegation ein Bild vor | |
Ort machen und versuchen, durch Gespräche mit dortigen Organisationen, | |
Parteien und der Zivilgesellschaft einen Beitrag zum Frieden zu leisten. | |
Um was handelt es sich bei der Friedensdelegation? | |
Aus ganz Europa haben sich Menschen vernetzt, die aus unterschiedlichen | |
Bereichen stammen. Bei unserer Delegation war eine Lehrerin dabei, ein | |
Fotojournalist und Menschen, die aktiv sind im Umweltbereich oder in | |
Menschenrechtsfragen. Wir wollten mit unseren unterschiedlichen | |
Schwerpunkten schauen, wie man angesichts der Eskalation langfristig | |
Unterstützung leisten kann. Aus Hamburg waren wir zu zehnt, [2][am | |
Düsseldorfer Flughafen waren wir dann insgesamt 27 Teilnehmer*innen der | |
Delegation]. | |
Was geschah am Düsseldorfer Flughafen? | |
Als ich gegen 7 Uhr am Flughafen ankam, hatte ich schon einen großen | |
stämmigen Herrn gesehen, der uns regelrecht verfolgte, beobachtete und | |
fotografierte. | |
Das klingt gruselig. | |
Er hat uns deutlich gemacht, dass er uns im Visier hat. Das war total | |
komisch. Aber wir sind durch die Kontrolle gegangen und die Treppen hoch | |
zum Gate, als sich eine Bundespolizistin vor uns aufstellte. Dann kamen | |
zwei weitere Beamt*innen hinzu, plötzlich waren es viele, die uns | |
umzingelten. Sie sagten, wir müssten mitkommen, unsere Reisepässe abgeben, | |
und sie würden einige Überprüfungen machen. | |
Wie haben Sie darauf reagiert? | |
Ich habe ihnen Fragen gestellt: Was ist die Rechtsgrundlage dieser | |
Überprüfung? Mit welcher Begründung halten Sie uns hier fest? Da haben sie | |
nur gesagt, es gebe „politische Hinweise“ und das sei eine „Anweisung von | |
oben“. Ich dachte, ich bin im falschen Film. | |
Darf die Polizei überhaupt eine gewählte Parlamentarierin festsetzen? | |
Ich habe ihnen sofort klar gemacht, dass ich Abgeordnete bin und sie mich | |
rechtswidrig an meiner politischen Arbeit hindern. Darüber haben sie sich | |
lustig gemacht. | |
Später behauptete eine Sprecherin der Bundespolizei, Sie hätten sich | |
zunächst nicht als Abgeordnete zu erkennen gegeben. | |
Das ist falsch und entspricht nicht der Wahrheit. | |
Dann wurden Sie verhört? | |
Es wurde angekündigt, dass jede*r im Büro verhört werden würde. Da gebe es | |
keine Diskussion. Sowohl unsere Hamburger Fraktionschefin Sabine | |
Boeddinghaus als auch mein Anwalt haben telefonisch den Amtsleiter darauf | |
aufmerksam gemacht, dass Abgeordnete an ihrer Arbeit nicht behindert werden | |
dürfen. Sie forderten ihn auf, die Maßnahme abzubrechen und mich nicht ohne | |
Rechtsbeistand zu verhören. Nach etwa dreieinhalb Stunden haben sie mich | |
dennoch in den Verhörraum gebracht. Nach kurzer Diskussion durfte ich aber | |
gehen und mir wurde mitgeteilt, ich würde keine Ausreisesperre erhalten. | |
Im Unterschied zu den anderen Delegationsteilnehmer*innen? | |
Die meisten haben im Zuge des Verhörs eine Ausreisesperre erhalten. | |
Womit wurde das begründet? | |
In der Mitteilung stand, dass die Delegation vorhabe, als „menschliche | |
Schutzschilde der PKK“ zu fungieren, und dass die Reise den | |
deutsch-türkischen Beziehungen schaden würde. Später sagte eine Sprecherin | |
der Bundespolizei, es gehe um das „Ansehen der Bundesrepublik im Ausland“. | |
Was halten Sie von den Gründen? | |
Es ist völlig realitätsfern zu glauben, dass wir bei den gegenwärtigen | |
türkischen Luftangriffen als „Schutzschild“ fungieren würden. Wie soll ich | |
mich denn bitte bei einer Luftbombardierung als Schutzschild hinstellen? | |
Und was ist mit dem Vorwurf, dem Ansehen der Bundesrepublik zu schaden? | |
[3][Wir kritisieren natürlich, dass tausende Oppositionelle in der Türkei | |
zu Unrecht in den Gefängnissen sitzen]. Seit Jahren geht die Türkei in | |
Richtung Diktatur. Selbst hier in Hamburg haben wir türkische Spione | |
aufgedeckt, die Kritiker*innen überwachten und sogar Mordpläne | |
schmiedeten. Wenn wir das benennen und uns als Delegation für den Frieden | |
einsetzen, dann schaden wir dem Ansehen der Bundesrepublik nicht. Was dem | |
Ansehen schadet, ist der Kniefall vor einem Diktator wie Erdoğan, den die | |
Bundesregierung in diesem Fall offensichtlich betreibt. | |
Das heißt, die Festsetzung wurde politisch angeordnet? | |
Das wurde uns ja so mitgeteilt. Und es hat schließlich nicht nur eine | |
juristische, sondern auch eine politische Dimension. Deshalb kann ich mir | |
nur den Innen- und den Außenminister als Anordnende vorstellen. Zeitgleich | |
haben schließlich auch irakische Sicherheitskräfte | |
Delegationsteilnehmer*innen festgesetzt – das war also | |
abgesprochen, es gab eine politische Anordnung. | |
Wollen Sie sich dagegen juristisch wehren? | |
Das bespreche ich nun mit meinem Rechtsanwalt. Es geht ja um verschiedene | |
Aspekte, unter anderen um die Frage des Freiheitsentzugs oder der Nötigung | |
zum Verhör. Es wird sicherlich ein juristisches Nachspiel haben. | |
Was muss politisch nun Ihrer Ansicht nach folgen? | |
Meine Kollegin Gökay Akbulut macht das nun im Bundestag zum Thema. Die | |
Bundesregierung muss sich dazu äußern, auch darüber, was dieser Vorfall | |
über die aktuelle Außenpolitik aussagt: Welche ethischen Werte vertritt die | |
Bundesregierung? Innenpolitisch kommt hinzu: Die Empörung darüber ist nicht | |
nur in meinem politischen Umfeld groß, sondern auch in anderen Parteien. | |
Auch dort gibt es Befürchtungen und die Frage: Wie wird künftig der Umgang | |
mit Mandatsträger*innen aussehen? Ist das ein Präzedenzfall? | |
15 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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