| # taz.de -- Debütfilm „Shiva Baby“ auf Mubi: Die blanken Nerven zupfen | |
| > „Shiva Baby“ von Emma Seligman schickt seine Protagonistin an den Rand | |
| > des Zusammenbruchs. Der Maseltov-Cocktail hat es in sich. | |
| Bild: Steigender Schrecken im Gesicht: Danielle (Rachel Sennott) in „Shiva Ba… | |
| Wenn man eine junge Frau aus gutem jüdischem Hause in New York ist; wenn | |
| man Männer und Frauen liebt; wenn man keine Lust auf ein Studium hat und – | |
| über die spendable familiäre Unterstützung hinaus – Penunzen braucht; wenn | |
| einen die Eltern zu Familientreffen zwingen, nur um einen dort durch | |
| Plappern zum Wahnsinn zu treiben; was soll man dann machen!? | |
| Emma Seligmans Langfilm-Debüt „Shiva Baby“ schüttet all diese Nöte, Zwä… | |
| Eigenschaften und Entscheidungen zusammen, um sie, in einer Art | |
| Maseltov-Cocktail, auf der Leinwand explodieren zu lassen: Danielles | |
| (Rachel Sennott) Nebenverdienste stammen aus dem [1][„Sugar Dating“, einer | |
| euphemistischen Bezeichnung für Prostitution zwischen jüngeren Frauen und | |
| älteren Männern] (und umgekehrt), bei der die Beziehungen als | |
| „persönlicher“ wahrgenommen werden als üblich. | |
| Auch Danielles „Sugar Daddy“ Max (Danny Deferrari) fühlt sich wie ein | |
| Mäzen: „Ich unterstütze gern junge Unternehmerinnen“, raunt er ihr | |
| ironiefrei ins Ohr, als er ihr nach dem Sex in seinem Soho-Apartment die | |
| Scheine zusteckt. | |
| Doch Danielle scheint sich ihrer Grenzen ebenfalls nicht sicher zu sein. | |
| Denn auf einer traditionellen Schiv'a, einem jüdischen Ritual, bei dem die | |
| Hinterbliebenen im Haus des oder der Verstorbenen zusammenkommen, um zu | |
| trösten, zu trauern und zu essen, taucht kurz darauf nicht nur ihre | |
| Exfreundin Maya (Molly Gordon) auf, die als fleißige Jurastudentin all die | |
| Dinge richtig macht, die Danielle vermurkst hat. | |
| ## Spalierlauf durch die Trauergemeinde | |
| Sondern auch Max – samt (nichtjüdischer „Shiksa“)-Ehefrau und Baby. Für | |
| Danielle entwickelt sich das eh bereits klaustrophobische Treffen zu einem | |
| Horror-Kammerspiel. | |
| Für Regisseurin Seligman sind Horror und Humor zwei Seiten einer Medaille: | |
| In Großaufnahme fängt sie den steigenden Schrecken in Danielles blassem | |
| Gesicht ein; verfolgt ihre Heldin beim Spalierlaufen durch die fragende | |
| Trauergemeinde und schneidet Bilder von (Lachs, Bagels, Cookies) fressenden | |
| Verwandten dazwischen. Auch der von Ariel Marx komponierte Score ist ein | |
| echter Streicherschauder – als ob es die blanken Nerven der Protagonistin | |
| selbst sind, die gezupft werden. | |
| Die stufenweise Kulmination der Ereignisse dagegen verfolgt eine | |
| klassische, vor Situationskomik und irren Zufällen wimmelnde „Das Bild | |
| hängt schief“-Dramaturgie: Erst „passiert“ Maya, dann Max, dann dessen F… | |
| und Kind, dann ein verdächtiges Armband (das Max ihr schenkte), dann | |
| verschludert Danielle irgendwo im Verwandtengetümmel ihr Handy, dessen | |
| verdächtige SMS-Inhalte ihr zum Verhängnis werden könnten. Und schließlich | |
| liegt einiges in Scherben, echten und symbolischen. | |
| Beiläufig, aber detailgetreu integriert Seligman Themen wie Judentum, | |
| Familie und Bisexualität (obwohl Danielles Eltern in sämtlichen Bereichen | |
| offener reagieren als viele andere ihrer Generation) und lässt ihre Heldin | |
| konsequent am Rande des Zusammenbruchs balancieren. | |
| ## Ambivalenz irritiert | |
| Am Ende bleibt man dennoch etwas irritiert zurück: Wie kohärent ist die | |
| Figur Danielle, wenn sie mal frech und selbstbewusst, mal schüchtern und | |
| stumm auftritt; wenn sie einerseits cool Max ausnimmt und Freier-Meetings | |
| plant, sich andererseits anscheinend mehr versprochen hatte? | |
| Und wenn all diese Wendungen den Charakter als ambivalent beschreiben | |
| sollen – wie viel Spaß macht es dann noch, dieser anscheinend verwöhnten, | |
| egoistischen und faulen jungen Frau zu folgen? | |
| „Shiva Baby“ ist aus einem Kurzfilm entstanden – dass man seiner Hauptfig… | |
| eine gewisse charakterliche Unterentwicklung anmerkt und auch die | |
| zunehmende Redundanz der Story schmälern das Vergnügen an Eskalation jedoch | |
| glücklicherweise nur wenig. | |
| Das Werk passt zur Riege der Regisseur:innen, die lustvoll leicht | |
| selbstsüchtige Unglücksräbinnen inszenieren: Danielle ist eine Schwester im | |
| Geiste von [2][Lena Dunhams „Girls“], von [3][Noah Baumbachs „Frances Ha�… | |
| von der Protagonistin in Elizabeth Woods zu Unrecht kaum beachteten Dramas | |
| „White Girl“. Und einen Vorteil hat Danielles verfahrene Situation allemal: | |
| Aus Schaden wird man endlich klug. Hoffentlich. | |
| 10 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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