| # taz.de -- 21-jährige Regisseurin über Debütfilm: „Wie ein Schrei, der ra… | |
| > Die Regisseurin Suzanne Lindon schrieb mit 15 das Drehbuch zu ihrem | |
| > Spielfilmdebüt „Frühling in Paris“. Über große Leidenschaft und Arbei… | |
| > ohne Ausbildung. | |
| Bild: Tanzen im Sitzen: Raphaël (Arnaud Valois) und Suzanne (Suzanne Lindon) i… | |
| Mit 15 Jahren schrieb Suzanne Lindon heimlich ein Drehbuch über ein junges | |
| Mädchen namens Suzanne auf der Suche nach sich selbst. Verraten hat sie das | |
| lange niemandem, vor allem nicht ihren Eltern, den französischen | |
| Schauspielstars [1][Sandrine Kiberlain] und [2][Vincent Lindon]. Vier Jahre | |
| später verfilmte sie „Frühling in Paris“ und spielte auch selbst die | |
| Hauptrolle. Dann kam der Lockdown. Nun startet ihre Komödie endlich im | |
| Kino. | |
| taz: Frau Lindon, was hat Sie mit 15 Jahren angetrieben, ein Drehbuch zu | |
| schreiben? | |
| Suzanne Lindon: Eigentlich träumte ich davon, Schauspielerin zu werden, | |
| aber da gab es ein kleines Problem: Das machen in meiner Familie schon | |
| alle. Meine Eltern kennt in Frankreich jeder aus dem Kino. Und ich wollte | |
| eine Legitimation, vor der Kamera zu stehen und nicht das Gefühl haben, | |
| einen Part zu bekommen, weil ich Tochter berühmter Leute bin. Also schrieb | |
| ich mir selbst eine Rolle und dachte, wenn es mir je gelingt, das zu | |
| verfilmen, würde ich mich selbst besetzen, nicht wegen meines Namens, | |
| sondern weil ich die Richtige dafür bin. So fing es an. | |
| In „Frühling in Paris“ verliebt sich die 16-jährige Suzanne in einen | |
| 35-jährigen Schauspieler. Ist das Ihre Geschichte? | |
| Ich war damals ein Teenager, es war eine sehr verwirrende Zeit für mich, | |
| weil ich nicht wusste, wer ich bin und was ich will. Ich wollte mich | |
| ausprobieren. In dieser Phase erlebst du vieles zum ersten Mal, aber manche | |
| Dinge, die du dir wünschst oder ersehnst, passieren nicht. Und du weißt | |
| nicht, warum. Ich stellte alles infrage. Und ich wollte aus meinem | |
| alltäglichen Leben fliehen, das mir langweilig und festgefahren vorkam. | |
| Diese Geschichte zu erfinden, war meine Art, mich in ein anderes Leben zu | |
| fantasieren. In einem Monat hatte ich alles aufgeschrieben. Es fühlte sich | |
| total gut an, ich hatte keinen Druck, weil niemand davon wusste, es war | |
| mein Geheimnis, wie ein Tagebuch. | |
| Was Suzanne im Film erlebt, hat also wirklich nichts mit eigenen | |
| Erfahrungen zu tun? | |
| Na ja, es steckt schon einiges von mir in dieser Figur. In dem Alter | |
| erträumst und erhoffst du dir mehr, als es tatsächlich zu erleben. Mich | |
| haben diese Fantasien mehr interessiert als mein echtes Leben. Also habe | |
| ich diese Begegnung mit einem älteren Mann erfunden, der wie sie feststeckt | |
| und raus will aus seiner Routine. Raphaël ist Mitte 30, ihn langweilt sein | |
| Beruf, seine Altersgenossen. Und dann begegnen sie sich, ganz unschuldig, | |
| zwei Seelenverwandte mit ähnlichen Gefühlen, nur in unterschiedlichen | |
| Momenten ihres Lebens. Ich hätte mir gewünscht, selbst jemanden wie ihn zu | |
| treffen, der so empfindet wie ich. | |
| Andere Kinder von Stars nutzen ihre Prominenz sehr bewusst, um ins Geschäft | |
| zu kommen. Warum hatten Sie da Skrupel? | |
| Weil ich nicht als Tochter berühmter Eltern, sondern als eigenständige | |
| Person wahrgenommen werden will. Jetzt merken die Leute, dass ich durchaus | |
| meinen eigenen Kopf habe. Das war mir wichtig. | |
| Bis zum Dreh des Films hat es dann noch mal vier Jahre gedauert. | |
| Ich ging ja noch ganz normal zur Schule, ich war ein 15-jähriges Mädchen! | |
| Aber auch mit 19 ist es eine Herausforderung, den ersten Film zu drehen – | |
| und dann gleich noch die Hauptrolle spielen … hatten Sie keine Angst, sich | |
| zu übernehmen? | |
| Es war wie ein Schrei, der rausmusste. Und das ging nur, wenn ich alles | |
| selbst mache. Das war gar keine bewusste Überlegung, ich wusste das | |
| instinktiv. Natürlich war ich zwischendurch müde und erschöpft, aber ich | |
| habe mir nie Sorgen gemacht, dass ich es nicht schaffen könnte. Ängste | |
| motivieren mich, Dinge auszuprobieren. Ohne sie hätte ich den Eindruck, | |
| etwas zu verpassen, weil ich wahrscheinlich nicht genug wage. | |
| Der Übermut der Jugend? | |
| Mein Alter hat mir da sicher geholfen, weil ich schlicht keine Vorstellung | |
| davon hatte, wie schwierig es werden würde. Ich musste meinen Nachnamen | |
| vergessen und die Erwartungen, die das Publikum damit womöglich verbindet. | |
| Ich wollte über etwas sprechen, das mir wichtig ist. Alles an dem Film hat | |
| damit zu tun, wer ich bin, und nichts damit, woher ich komme. | |
| Wie war das ohne Erfahrung und Filmausbildung möglich? Hat da Ihre Herkunft | |
| nicht doch geholfen? | |
| Ein bisschen sicher, weil mir diese Welt zumindest nicht völlig fremd war. | |
| Aber vor allem lag es daran, dass ich diesen Film um alles in der Welt | |
| machen wollte, als hinge mein Leben davon ab. Und diese Leidenschaft haben | |
| die Leute gespürt, ich habe ihnen deutlich gemacht, dass ihnen gar nichts | |
| anderes übrig bleibt, als mich zu unterstützen. | |
| Die amouröse Begegnung in Ihrem Film ist ein sensibles Thema, gerade | |
| erschüttern Enthüllungen zu sexuellem Missbrauch und Pädophilie Frankreichs | |
| Kulturszene. Hatten Sie keine Bedenken, dass es negative Reaktionen geben | |
| könnte, auch wenn der Film von einer jungen Frau geschrieben und inszeniert | |
| ist? | |
| Es geht doch gerade nicht darum, wie ein älterer Mann hinter einer deutlich | |
| jüngeren Frau her ist. Suzanne ist eine starke Persönlichkeit, kein Opfer, | |
| sie sagt und tut, was sie für richtig hält. Mir war es sehr wichtig, die | |
| Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen. Das heißt nicht, dass ich | |
| diese Debatte nicht wichtig finde, wir brauchen einen tiefgreifenden | |
| Wandel. Aber mein Film handelt nicht davon, sondern von zwei Menschen, die | |
| beide das Gefühl haben, etwas in ihrem Leben ändern zu wollen. Vielleicht | |
| verstehen das nicht alle, die den Film sehen, aber ich habe mein Bestes | |
| getan. | |
| In einer der schönsten Szenen des Films sitzen Suzanne und Raphaë l in | |
| einem Straßencafé nebeneinander und er spielt ihr auf seinen Kopfhörern | |
| Musik vor. Ganz langsam fangen beide an, sich synchron zu bewegen, ein | |
| intimer Moment, der an die [3][Choreografien von Pina Bausch] erinnert … | |
| Oh, das freut mich! Ich liebe Pina Bausch! Wie sie in ihren Stücken Gefühle | |
| in Tanz und Bewegung verwandelt, inspiriert mich sehr. Ich wollte simple | |
| Bewegungen, keine elaborierte Choreografie. Die beiden haben eine | |
| platonische Beziehung, man sieht und spürt, dass sie verbunden sind, ohne | |
| sich zu berühren. Es ist ihre ganz eigene Art, ihre Zuneigung auszudrücken. | |
| Ihr Film wurde im vergangenen Jahr zum Festival in Cannes eingeladen, das | |
| aber wegen der Pandemie ausfiel. Er lief dann im September auf dem | |
| [4][Filmfest in San Sebastián], wo wir zum ersten Mal miteinander sprachen, | |
| damals noch mit Masken. Danach musste der Kinostart mehrmals verschoben | |
| werden. Nun kommt „Frühling in Paris“ diese Woche parallel in Frankreich | |
| und Deutschland ins Kino. Wie schlimm war das Warten? | |
| Den Film noch eine Weile für mich zu haben, war auch ganz schön. Wenn er | |
| jetzt rauskommt, werde ich ihn teilen müssen und alle werden eine Meinung | |
| dazu haben. Der Lockdown war für viele Menschen eine immense Belastung. Ich | |
| komme aus einer privilegierten Familie und mir ist sehr bewusst, dass | |
| andere Menschen sehr viel größere Probleme haben als einen verschobenen | |
| Filmstart. Ich habe wirklich keinen Grund zu jammern. Aber natürlich wäre | |
| auch ich gerade gerne freier, unbeschwerter und würde gerne vieles | |
| ausprobieren. Oder einfach nur Freunde treffen, Party machen, mich | |
| verknallen. Es ist unmöglich, das Leben auszukosten, wenn die Lage so ernst | |
| ist. | |
| 17 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Abeltshauser | |
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