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# taz.de -- Ausstellung zum Thema Radioaktivität: Im Geist der Asse
> Das Kunstduo Saori Kaneko und Richard Welz beschäftigt sich mit den
> Risiken der Atomenergie. Ihre Arbeiten zeigt derzeit der Kunstverein
> Wolfenbüttel.
Bild: Die Arbeit „Paradies“ zeigt die Halde Beerwalde – bepflanzter Abrau…
Atomenergie, Radioaktivität und der Umgang mit dem strahlenden Müll sind
Themen, die sich eigentlich nicht auf einen regionalen Betroffenheitsradius
eingrenzen lassen: Allzu weltumspannend und auch zeitlich unfassbar ist die
Auswirkung eines Unfalls nach technischem oder menschlichem Versagen, wie
Ende April gerade der 35. Jahrestag der Explosion des Reaktor-Blocks 4 im
ukrainischen Tschernobyl in Erinnerung rief.
Und doch gibt es Orte, da werden Auseinandersetzungen intensiver geführt
als anderswo. Das niedersächsische Wolfenbüttel gehört dazu: Lediglich zehn
Kilometer südöstlich liegt das stillgelegte Steinsalzbergwerk unter dem
Höhenzug Asse. Seit 1967 als Versuchs-, ab 1971 dann zur
„Routineeinlagerung“ schwach- und mittelradioaktiver Abfälle genutzt,
gelangte es als Asse II zu trauriger Berühmtheit – nicht nur, dass dort
jahrelang ohne seriöse Dokumentation rund 126.000 Fässer problematischen
Inhalts einfach nur verklappt wurden.
Auch die geologische Formation erwies sich, anders als von der Politik
beschworen, nicht als stabil und säuft nun ab unter rund 12.000 Litern
täglichen Wassereintritts. Aktivist:innen sowie Fachleute sprechen vom
deutschen „Endlager-GAU“ mit nur einer einzigen verantwortbaren Option: der
[1][Rückholung des Materials]. Die ist politisch anvisiert fürs Jahr 2033
und folgende, allerdings gibt es auch Befürchtungen, dass lediglich die
Strahlenschutzverordnung zu Ungunsten der Anwohner:innen geändert
werden könnte – und ansonsten alles bliebe, wie es ist.
Ein Kunstduo, das sich seit Längerem mit dem Thema Radioaktivität
beschäftigt und derzeit am rechten Ort, nämlich dem [2][Kunstverein
Wolfenbüttel], einige Arbeitsergebnisse zeigt, ist „Made by us“ aus
Leipzig. Dahinter stecken die Japanerin Saori Kaneko, geboren 1976 in
Tokio, und Richard Welz, Jahrgang 1989, aus der Lutherstadt Wittenberg.
Das Paar hat sich während des Studiums an der Bauhaus Universität in Weimar
kennengelernt. Kaneko hatte bereits in Japan Malerei studiert, Welz kommt
von der Fotografie. Das Gründungsdatum ihrer „Marke“ Made by us fiel nicht
zufällig ins Jahr 2011, als dem der Katastrophe von Fukushima Daiichi. Auch
das Logo erinnert an das internationale Warnzeichen für Radioaktivität. Wie
Kaneko betont, gehören zum japanischen Nationaltrauma auch die Zerstörungen
von Hiroshima und Nagasaki durch US-amerikanische Atombomben im August
1945, die bis heute Langzeitopfer fordern.
Aber welche künstlerischen Ausdrucksformen findet man für radioaktive
Gefahren, Kontaminierungen und entsprechende Folgen, in der Regel ja
Phänomene, die man nicht direkt erkennen kann? Die beiden wählten keinen
anklagenden – oder wie sie selbst sagen „didaktischen“ – Zugang, sondern
einen poetischen: Ihre Fotografien, Siebdrucke oder Kleininstallationen
kommen mit fast unschuldiger Anmutung daher.
In Wolfenbüttel sieht man nun Landschaftsaufnahmen und Vegetationsstudien,
ein „Paradies“ tituliertes Arrangement aus einer projizierten, dichten
Flora, davor zwei Liegestühle zum entspannten Betrachten. In einem anderen,
verdunkelten Raum leuchten magisch fluoreszierende Drucke einzelner
Blütenbilder, wenn die künstliche Beleuchtung zyklisch erlischt.
Es taucht aber auch, gleich am Eingang postiert, in einer großformatig
handwerklichen Schwarz-Weiß-Fotografie ein verräterisches technisches
Bauwerk auf: Es ist das Fördergerüst aus Drosen bei Ronneburg in Thüringen.
Hier wurde von 1974 bis zur deutschen Wiedervereinigung radioaktives
Uranerz für die sowjetische Atomindustrie abgebaut, an weiteren
sächsisch-thüringischen Standorten der vormaligen Wismut AG begann das
bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dieser Bergbau bedingte gravierende Eingriffe in die Landschaft, wenngleich
andere als sie der oberirdische Flächenfraß der Braunkohletagebaue etwa in
der Lausitz hinterlassen hat. Er erforderte untertage intensive
Erdbewegungen und produzierte dadurch übertage Abraumhalden: radioaktiv
strahlende Hügel, dazwischen auch Wasserflächen, die durch verschiedene
Maßnahmen saniert werden müssen. Areale sind etwa mit Geotextil abgedeckt,
um sie auszutrocknen und radioaktiven Staub zu binden, oder es werden
saubere Erde aufgeschüttet und spezielle Pflanzen angesiedelt, die
Schadstoffe binden.
So ist der erste Raum dem „Uranzyklus“ gewidmet und zeigt etwa als
experimentelle Stereofotografien zehn dieser Abraumhalden. Sie sind eine
vom Menschen gemachte Topografie und eine „Hyperreale Flora“, so der Titel.
Oder die fünfteilige, eine ganze Wand bekleidende schwarz-weiße Tapete: die
Reproduktion einer hybriden Kombination aus Zeichnungen und Fotografien von
Vegetationsstadien sowohl aus dem thüringischen als auch einem japanischen
Rekultivierungsvorhaben bei Fukushima, das Kaneko und Welz 2014
inspizierten.
Dazu stellt sich über Eck eine immense Cyanotypie: ein altes fotografisches
Edeldruckverfahren mit intensiv blauen Farbtönen, das eine mitunter
mehrstündige Belichtungszeit benötigt. In fast Dürer’scher, freistellender
Manier zeigt sie ein Stück Wiesenvegetation aus dem thüringischen Wald bei
Oberhof: Dort ist der oberirdische Uranaustritt stark erhöht, nun als Gas
Radon.
Das künstliche Pigment Cyan wiederum, bezeichnet auch als „Berliner Blau“,
galt als Gegenmittel bei einer Vergiftung durch radioaktives Cäsium oder
Thallium, lässt der Audioguide wissen, den das Duo zur Ausstellung
programmiert hat. Seine vielen Hintergrundinformationen – auch zur
mythologischen Gestalt des Gottes Uranus, der seine zahlreichen, inzestuös
gezeugten Kinder lieber in den Tiefen der Erde verbarg – lassen sich bequem
im Rundgang abrufen. Sie sind aber auch notwendig, um die assoziativen
Botschaften zu erkennen.
Die Ausstellung will Fragen zu politischen und ökologischen Themen
aufwerfen, die noch viele Generationen beschäftigen werden. Konsequent
lautet ihr Titel dann auch „Mikan“, Japanisch für „unvollendet“.
31 May 2021
## LINKS
[1] /Atommuell-in-marodem-Bergwerk/!5730529
[2] http://www.kunstverein-wf.de/
## AUTOREN
Bettina Maria Brosowsky
## TAGS
zeitgenössische Kunst
Wolfenbüttel
Asse
Schwerpunkt Atomkraft
Atomenergie
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Nachruf
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Schwerpunkt Berlinale
Fukushima
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