# taz.de -- Theatermann aus Japan: Der stille Zorn des Herrn Takayama | |
> Der japanische Regisseur Akira Takayama eröffnet das Theaterfestival | |
> „Spielart“ in München mit Bildern von Kühen, die Fukushima überlebten. | |
Bild: Akria Takayama. | |
„Meine Arbeiten entstehen aus meiner persönlichen Erfahrung“, sagt der | |
japanische Theaterregisseur Akira Takayama. „Ich möchte nicht besonders | |
politisch oder sozial sein.“ Da seine Erfahrungen jedoch auch von anderen | |
Menschen geteilt werden, erzählen Takayamas künstlerische Arbeiten von | |
Erschütterungen und Verwerfungen der gegenwärtigen Welt, von | |
menschengemachten Katastrophen und der sozialen Verwahrlosung im | |
gnadenlosen globalen Kapitalismus. | |
Und wie der 46-Jährige seine Erfahrungen zu Kunst transformiert, ist | |
durchaus politisch – schafft er doch vielschichtige Plateaus, die den | |
Besuchern zahlreiche Anschlussmöglichkeiten anbieten. Wir treffen uns in | |
einem Café im prosperierenden Frankfurter Ostend, wo im Schatten der neuen | |
EZB das einstige Arbeiterviertel und Industriegebiet rasant aufgehübscht | |
wird. | |
Auf der Brache gegenüber dem Café stand 2014 die Installation „Whole | |
Circle“ des brasilianischen Künstlers Nuno Ramos: Ein Kreis aus zehn | |
Straßenlaternen, der einen Hybrid zwischen Kultstätte und Ufo-Landeplatz | |
schuf. | |
Er eröffnete Takayamas Großprojekt „evakuieren“ im Rhein-Main-Gebiet, bei | |
dem 30 Stationen des öffentlichen Nahverkehrs zu künstlerisch bespielten | |
Fluchtpunkten wurden, die ihre Besucher entorteten, verrückten, hinter | |
bekannten Fassaden Unbekanntes entbargen und die Fremde der eigenen Stadt | |
erfahrbar machten. | |
## Rhizomatisches Projekt | |
Nun hat Takayama bei der Frankfurter Buchmesse ein Arbeitsbuch vorgestellt, | |
das dieses komplexe, rhizomatische Projekt versammelt: „Die Evakuierung des | |
Theaters“, herausgegeben unter anderem von dem Theaterwissenschaftler | |
Hans-Thies Lehmann. | |
„Evakuierung ist ein Schlüsselbegriff für meine Arbeit“, sagt Takayama. | |
Schließlich hat er die Erfahrung der Entortung mehrfach selbst gemacht. Zum | |
Theater kam er, bemerkenswert genug, in Deutschland. In den neunziger | |
Jahren studierte er in Freiburg Philosophie und sah in Stuttgart eine | |
Aufführung von Peter Brook. „Da dachte ich erstmals, dass für mich im | |
Theater die Zukunft liegen könnte.“ | |
Fünf Jahre lang blieb er, inszenierte mit Studenten und las Bertolt Brecht. | |
Er wollte dessen Theorie auf sein Theater übertragen. Seine Installationen | |
und Touren tun dies heute, indem sie den Rahmen des Theaters radikal öffnen | |
und Zuschauer zu Performern machen, die das Werk erst erschaffen – | |
allerdings auf Grundlage einer präzisen Dramaturgie. | |
## Unheimliche Bedeutung | |
Die intensive Zeit in Deutschland hatte Takayama jedoch auch entfremdet: | |
Als er nach Tokio zurückkehrte, konzentrierte er sich ganz auf sie, um den | |
verlorenen Anschluss wieder zu finden. 2002 gründete er das | |
Künstlernetzwerk „Port B“. Seine ersten Arbeiten kamen in Tokio nicht gut | |
an, doch der große Theaterflüsterer Hans-Thies Lehmann ermutigte ihn, | |
weiterzumachen, und die damalige Direktorin des „Festival/Tokyo“, Chiaki | |
Soma, förderte ihn. | |
Hier entstand 2010 das Vorgängerprojekt von „evakuieren“, „The Complete | |
Mannual of Evacuation“: An 29 Stationen der zentralen U-Bahn-Linie Yamanote | |
richtete Takayama Flucht- und Ausstiegspunkte aus dem eng getakteten | |
Tokioter Alltag ein. Tausende ließen sich so evakuieren. Auf unheimliche | |
Weise bekam das Projekt kurze Zeit später eine neue Bedeutung, als nach dem | |
Erdbeben, dem anschließenden Tsunami und dem Reaktorunfall am 11. März 2011 | |
tatsächlich 400.000 Menschen evakuiert werden mussten. | |
Akira Takayama scheint eine besondere Sensorik für seine Gegenwart zu | |
haben. Versucht man, Haltung wie Arbeit auf einen Begriff zu bringen, so | |
ist dieser: Konsequenz. Mehrfach räumt er ein, Angst gehabt zu haben – | |
etwa, als er im verseuchten Gebiet nahe Fukushima Daiichi Kühe filmte. | |
Diese Angst hält ihn nicht davon ab, etwas zu tun. | |
## „Farm of Hope“ | |
Die Kühe wird er nun nach München bringen, wo er zur Eröffnung des | |
„Spielart“-Festivals seine Installation „Happy Island – Das messianische | |
Gastmahl der Gerechten am Letzten Tag“ zeigt. Erstmals wurde sie im August | |
in der Galerie „Hérmes Le Forum“ im Tokioter Einkaufsviertel Ginza gezeigt. | |
„Heute ist der GAU von Fukushima ein großes Tabu. Es wäre nicht möglich | |
gewesen, diese Arbeit an einem öffentlichen Ort zu präsentieren, die | |
Hèrmes-Galerie aber ist eine französische Firma.“ Genau an dieses Tabu | |
möchte Takayama rühren. | |
Er hat die Kühe der „Farm of Hope“ gefilmt, auf der Masami Yoshizawa | |
weiterhin seine 330 Kühe versorgt und sich weigert, sie zu verlassen. | |
Regelmäßig fährt er mit einem der Tiere nach Tokio, um gegen das | |
Energieversorgungsunternehmen Tepco und die japanische Politik zu | |
protestieren. Schließlich werden in ganz Japan Reaktoren wieder in Betrieb | |
genommen, ungeachtet der Tatsache, dass weitere schwere Erdbeben zu | |
erwarten sind. „Die Leute vergessen“, sagt Takayama in stillem Zorn. | |
## Grundiert von Trauer | |
Der Titel der Installation bezieht sich einerseits auf die Bedeutung des | |
Namens „Fukushima“ – glückliche Insel –, andererseits auf eine Miniatu… | |
dem 13. Jahrhundert, die ebenjenes finale Mahl darstellt. Die Figuren | |
allerdings tragen Tierköpfe. Takayama schafft einen Parcours aus | |
Bildschirmen. Auch die Kühe, die in einem Heuhaufen wühlen, deren mahlende | |
Kiefer und stampfende Hufe wir hören, sind Hybride: „Es sind Tiere, die | |
zugleich Dinge sind, radioaktiver Abfall. Es ist eine traurige, | |
bedauernswerte Existenz.“ | |
Die friedliche Szene ist so grundiert von einer Trauer, so unsichtbar wie | |
die Radioaktivität. In der Münchner Muffathalle wird Akira Takayama nun | |
andere Zuschauer auf den Weg durch seine kleine Farm schicken, und er ist | |
neugierig darauf, was sie, die die unmittelbare Erfahrung des Atomunfalls | |
nicht teilen, mit seiner Arbeit verbinden werden. „Ich weiß es nicht. Es | |
ist ein Versuch“, sagt er gelassen. | |
21 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Esther Boldt | |
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