| # taz.de -- Radioaktiver Staub im Museum: Kunst aus der verstrahlten Zone | |
| > Der Japaner Yoshiaki Kaihatsu fotografiert verstrahlte Dörfer und deckt | |
| > die Vertuschungsmechanismen in Japans Politik und Medien auf. | |
| Bild: Besondere Meditationshütte: "Das Haus der Politiker" 400 Meter vom Sperr… | |
| HAMBURG taz | Er bewegt sich ungern im Todesstreifen und ist auch nicht | |
| besonders katastrophenaffin. Aber manchmal setzt er sich bewusst der Gefahr | |
| aus, um in die Gesellschaft hineinzuwirken. Und das heißt für den | |
| japanischen Künstler Yoshiaki Kaihatsu auch, ihre Gefährdungen zu teilen. | |
| Im Nach-Fukushima-Japan bedeutet es, sich in die verstrahlten Zonen zu | |
| begeben, um die Atmosphäre dieser unspektakulär wirkenden Orte zu spüren, | |
| an denen allein das Wissen Angst erzeugt. | |
| Kaihatsu, derzeit in Hamburgs japanischer Mikiko Sato Gallery präsent, hat | |
| solche Reisen mehrfach gemacht und ganz eigene „Land Art“-Marken gesetzt. | |
| „Das Haus der Politiker“ steht zum Beispiel in großen Lettern über einem | |
| kleinen, adretten Holzkämmerlein. Es steht auf einer idyllischen Wiese wie | |
| die Vogelwart-Häuschen auf Nordfrieslands Inseln. | |
| Doch der Schein trügt: Die Hütte steht im Sicherheitsbereich des am 15. 3. | |
| 2011 havarierten AKW Fukushima, 400 Meter von der Sperrzone entfernt – und | |
| ist als Meditationsort für Japans Politiker gedacht. Die sollen sich, | |
| bitteschön, dort hinbegeben, aus dem einzigen Fenster gen Fukushima schauen | |
| und über die Folgen der Atomkraft nachdenken. | |
| Das Haus ähnelt einer Hütte für Zen-buddhistische Meditationsklausuren und | |
| fügt sich also gut in den kulturellen Kontext. 750 Politiker-Einladungen | |
| hat der Künstler schon verschickt, und es dürfen gern mehr werden: Auch in | |
| der Hamburger Galerie kann, wer mag, einen der daliegenden Briefbögen | |
| beschriften. | |
| Freundlich, aber bestimmt hat der Künstler hier Ästhetik, Interaktion und | |
| Politik verwoben, und ganz folgerichtig bezeichnet er sich als | |
| „Allesfresser“: Quer durch Genres und Materialien hat sich der 47-Jährige | |
| seit Beginn seiner Künstlerkarriere in den 1990er-Jahren gezappt. Mit | |
| Fotos, Aktionen und riesigen Styropor-Architekturen hat er gearbeitet, | |
| unter anderem als Artist in Residence in Berlin, New York und auf der | |
| venezianischen Architektur-Biennale von 2004. | |
| Oft pflegt Kaihatsu dabei den scharfen Blick auf politische Versäumnisse | |
| und mediale Vertuschung. Nach dem GAU im japanischen Schnellen Brüter | |
| „Monju“ 1995, den Politiker und Medien „ungefährlich“ nannten, hat Kai… | |
| vor Ort Staub aufgesammelt. Als er dessen „harmlose“ Partikel in eine | |
| Tokioter Galerie streute, bekamen die Besucher Angst. Intuition schlug | |
| Indoktrination. | |
| Staub, Abfall, Zivilisationsspuren überhaupt: Sie sind Vokabeln, | |
| Wortbrocken, die Kaihatsu dem Betrachter hinwirft, um ihn zu | |
| sensibilisieren. Denn Materie transportiert die Geschichte ihres – auch | |
| fernen – Ursprungsorts subtiler und zugleich schockierender als Fernsehen | |
| oder Video. | |
| In die Hamburger Galerie hat der Künstler zum Beispiel einen Koffer voll | |
| Müll aus dem Tsunami-Gebiet gekippt, das er nach der Katastrophe vom 11. 3. | |
| 2011 aufsuchte. Körbe, Stiefel, ein Donut, zwei Besen, alles voller Schlamm | |
| – man weiß genug, die zugehörigen Bilder entstehen im Kopf. Auch der | |
| Originalstaub, den Kaihatsu nach 9/11 aus New York nach Japan brachte, | |
| wirkte prompt: In einer Art Quantensprung wurde die räumliche Distanz | |
| augenblicklich durch emotionale Nähe ersetzt. | |
| Wie aber steht es um das Immaterielle? Um die Strahlung, die nach Fukushima | |
| selbst solche Dörfer unbewohnbar machte, die der vorausgegangene Tsunami | |
| intakt gelassen hatte? Kaihatsu verweigert sich erneut dem Voyeurismus und | |
| fotografiert Eingänge, die durch Tsunami-Trümmer unpassierbar wurden. | |
| Unspektakuläre, kaum beschädigte Hausfronten sind es, zu fotografischen | |
| Triptychen komponiert. | |
| Daneben, nur äußerlich ähnlich, Fotos von Eingängen eines wegen Fukushima | |
| evakuierten Ortes. Es sind Glasfronten mit sauber zugezogenen Vorhängen, | |
| als sei ein Theaterstück zu Ende. In einigen hängen handgeschriebene | |
| Schilder „Danke der Polizei, der Feuerwehr, den Sicherheitskräften.“ Die | |
| Japaner sind höfliche Leute. | |
| „Beim Durchfahren des Dorfes habe ich eine tiefe Trauer gespürt“, schreibt | |
| der Künstler. „Denn diese Katastrophe war – anders als der Tsunami – | |
| menschengemacht“, betont er und hofft, dass die Vertuschungsmechanismen der | |
| von Politik und Atom-Lobby kontrollierten Medien endlich auffliegen. Dass | |
| sich die Menschen emanzipieren und andere Energiequellen erforschen, statt | |
| dem Mantra von der sicheren Atomkraft zu glauben. | |
| Solche Reflexionen reichen tief in die japanische Gesellschaft hinein. „Wir | |
| haben keine ausgeprägte Protestkultur“, bestätigt Hamburgs japanische | |
| Galerie-Chefin Mikiko Sato. „Es fällt schwer, offen die eigene Meinung zu | |
| sagen.“ Kaihatsu tut es, geht aber noch weiter und sorgt sich um die | |
| Zerstörung immateriellen Kulturguts. | |
| Der Tsunami hat einen 500 Kilometer langen Küstenstreifen unbewohnbar | |
| gemacht, und die Traumatisierten werden wohl nicht zurückkehren. „Sie leben | |
| aufs ganze Land verstreut, und mit ihnen verschwinden Dialekte und Akzente | |
| ihrer Heimatregion“, sagt Kaihatsu. | |
| Und flugs ist er vom Politik-Aktivisten zum Dokumentar geworden mit seiner | |
| „Bibliothek der Sprache“. Dafür ist er Ende 2011 monatelang in die | |
| provisorischen Unterkünfte der Tsunami-Überlebenden gereist und hat ihre | |
| Dialekte aufgezeichnet. Das Resultat steht als Datenbank auf seiner | |
| Homepage. | |
| „Ich konzipiere meine Arbeiten als Werkzeuge, die von jedem Zuschauer | |
| unmittelbar als Kunstwerke erkannt werden“, sagt Kaihatsu zu dieser | |
| Mischung aus Soziologie und Kunst. Und er fährt gut mit dieser kognitiven, | |
| Abstand immer erlaubenden Balance zwischen den Realitäten. | |
| In der Hamburger Ausstellung ist ein Video zu sehen, in dem der Künstler | |
| die Bewohner von Kitayakata in der Präfektur Fukushima überzeugt, ihre | |
| bunten shintoistischen Neujahrstänze wieder aufzunehmen, für die sie | |
| eigentlich zu traurig waren. Er hat es geschafft, die Akteure beleben sich | |
| sichtlich während der Performance. Ein Künstler, der den Finger in die | |
| Wunde legt und anschließend die Verletzten pflegt: ein gelungenes Konzept, | |
| fürwahr. | |
| ## Bis 19. 4., Mikiko Sato Gallery, Hamburg, Klosterwall 13 | |
| 25 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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