# taz.de -- Disney-Komödie „Cruella“: Einer Origin-Story würdig | |
> „Cruella“ ist punkig und familientauglich zugleich. Die Komödie mit Emma | |
> Stone erzählt den Werdegang der „101 Dalmatiner“-Bösewichtin. | |
Bild: Der Zukunft zugewandt: Cruella (Emma Stone) | |
1961, da waren gute Frauen noch folgsame Ehegattinnen oder emsige | |
Wirtschafterinnen wie im Trickfilm-Klassiker „101 Dalmatiner“. Drum rum gab | |
es allerlei Damen, die vom Off-Erzähler schlicht und despektierlich zu | |
ihrem Aussehen kommentiert wurden. | |
Die einzig selbstständig handelnde weibliche Figur war die Böse, Cruella de | |
Vil, die durch ihre Besessenheit definiert wurde, sich in einen Mantel aus | |
gepunktetem Dalmatinerwelpenfell zu hüllen, und dafür gnadenlos Verbrechen | |
beging und rücksichtslos mit ihrer robusten Super-Limousine durch die | |
Gegend heizte. | |
Dass diese Figur noch genug Ungeklärtes für eine eigene Story barg, zeigte | |
schon 1996 eine Realverfilmung mit einer glaubwürdigen Glenn Close in der | |
Hauptrolle. Doch was wäre der Disney-Zirkus, wenn er nicht jeder | |
schillernden (oder matt schimmernden) Rolle mit ihrer eigenen | |
Herkunftsgeschichte einen Extra-Auftritt andichten würde? Schön dumm. | |
Und Cruella ist einer Origin-Story allemal würdig. Gierig, energisch, böse | |
und vor allem: von markantem Aussehen gibt sie recht viel her. Nämlich eine | |
Modegeschichte. Die mit schwarz-weißen Haaren geborene Estella (so heißt | |
sie eigentlich) interessiert sich seit frühster Kindheit für Klamotten. Sie | |
wächst bei einer lieben Alleinerziehenden auf, die sich vergeblich | |
aufopfert, das aufmüpfige Mädchen in gesellschaftliche Normen einzupassen. | |
Bei einem tragischen Unfall stirbt sie, und die traumatisierte kleine | |
Estella landet mutterseelenallein im London der ausgehenden 60er Jahre. Sie | |
fühlt sich mitschuldig am Tod der Mutter, ist verlassen, doch die beiden | |
Gaunerjungen Horace und Jasper nehmen sie auf. | |
## Doppelleben facettenreich gespielt | |
Sie leben von Taschendiebstahl und Trickbetrügereien, werden erwachsen. | |
[1][Emma Stone] spielt diese Estella glänzend. Sie wird in einem Job bei | |
„Liberty’s“ gedemütigt, hat aber dennoch Energie genug, an ihrem Lebensp… | |
festzuhalten: Sie muss Modedesignerin werden. | |
Durch einen Zwischenfall (betrunken schläft sie im Schaufenster des | |
Kaufhauses ein, das sie nachts im Punk-Stil dekoriert hat) entdeckt die | |
mächtige Modezarin Baronin von Hellmann (Emma Thompson) Estella und macht | |
sie – zack– zu einer ihrer Designerinnen. | |
Die Baronin ist von Estellas Entwürfen überzeugt, aber egoman, also | |
neidisch auf ihr Talent, das sie ausnutzt. Bald werden die beiden zu | |
Konkurrentinnen, wobei Estella ein raffiniertes Doppelleben als Cruella | |
führt und die Baronin durch immer beeindruckendere Auftritte provoziert. | |
## Rache als Hauptmotiv | |
Ein rasantes bildgewaltiges Spiel beginnt, bei dem Rache zum Hauptmotiv | |
wird und sich Kreis um Kreis schließt. Im Metier „Rache“ hatte sich | |
[2][Regisseur Craig Gillespie zuvor schon mit dem | |
Eiskunstläuferinnen-Biopic „I, Tonya“] bewiesen. Das alles in gut | |
aufeinander abgestimmten Brauntönen gehalten, voll von visuellen Effekten, | |
die zwar nicht unbedingt neu sind, aber durchaus öfter zitiert werden | |
dürften. | |
Estellas Make-up erinnert häufig an den Joker, ihr Look ahmt [3][Vivienne | |
Westwood] nach, während die Baronin zu Yamamoto neigt. Dazu gibt ein meist | |
rockiger Soundtrack aus Hits – von vor, während und nach der Punkära – den | |
Ton an, inklusive einer „Live“-Coverversion von Iggy Pops „I Wanna Be Your | |
Dog“, bei der Jasper (Joel Fry) die Gitarre spielt. Die Rechte an den | |
vielen Songs müssen ein Vermögen gekostet haben. | |
Sparsam ging es zu bei der Verteilung von Referenzen an den alten | |
Animationsfilm: Die Hunde, die den Kern der Urgeschichte bilden, spielen | |
nur eine Nebenrolle, die doggenhaften Dalmatiner gehören zu den Bösen. | |
Wahre Hundequalitäten bieten die Ganoven-Kumpel Jasper und Horace, die | |
sich mit Estella ein resolutes Frauchen eingehandelt haben, dem sie über | |
die Jahre treu dienen. | |
Daneben gibt es subtile Reminiszenzen meist visueller Art wie zum Beispiel | |
das Dachgeschoss des Backstein-Lofts mit dem ovalen Fenster, in dem | |
Estella/Cruella lebt; oder das Erscheinen der Langhaarigen mit dem | |
Afghanen, die wie in der Vorlage kommentiert wird: „Ist dir schon | |
aufgefallen, dass manche Hundehalter ihrem Hund sehr ähnlich sehen?“, und | |
natürlich den extravaganten Straßenkreuzer, mit dem Cruella durch die | |
Gassen Londons heizt. | |
## Miese Geschäftspraktiken | |
Wie im echten Leben sichern auch hier miese Geschäftspraktiken die Macht: | |
Ideenklau, Total-Buy-Out und das Verpacken von Tücken in Schwurbelsprache | |
und Kleingedrucktes von Arbeitsverträgen. Ihren hatte Estella offenbar auch | |
nicht durchgelesen. | |
Weswegen sie sich nicht wehren kann, als ihr während ihrer Mittagspause auf | |
der Straße Hellmans Schergen den Entwurfsblock entreißen, auf dem sie | |
gerade ein Kleid skribbelt. “Du warst auf meiner Straße. Straßen, Designs, | |
Menschen, ihre Seelen… alles gehört mir – sieh mal in deinem Arbeitsvertrag | |
nach!“, so die Auskunft der Baronin. | |
Und da bei Disney der Marketingaspekt die erste Geige spielt, dürfen wir | |
uns nicht wundern, wenn nicht nur der Punk-Look bald seine schlaffe dritte | |
Blüte als Merchandise entfaltet, sondern auch die Cruella-Barbie oder | |
Baronin-von-Hellmann-Monsterhigh-Puppe im virtuellen Spielzeugregal | |
bling-bling machen. | |
2 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Imke Staats | |
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