| # taz.de -- Öffentlich-Rechtliche in Ostdeutschland: Kein Bock auf „Westfern… | |
| > In ostdeutschen Bundesländern ist die Akzeptanz für die | |
| > Öffentlich-Rechtlichen geringer. Der ARD-Bürgerdialog will den Blick | |
| > darauf lenken. | |
| Bild: Sender mit Ostalgie-Ruf: MDR | |
| Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei „der teuerste der Welt“, seine | |
| Akzeptanz schwinde, während sich die Klagen häuften. Außerdem habe ein | |
| Großteil der Bevölkerung wenig Verständnis für die Rundfunkbeiträge. Im | |
| Dezember 2016 applaudierte die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt lautstark | |
| Markus Kurze aus der CDU-Fraktion für diese Sätze. | |
| Nicht nur deshalb erinnerte man sich vier Jahre später wieder an diese | |
| Rede, [1][als die CDU-Landtagsfraktion als einzige in Deutschland] dem | |
| Rundfunkstaatsvertrag und damit der leichten Gebührenanhebung ihre | |
| Zustimmung versagte. Kurze saß nämlich damals bei seinem Vortrag noch ein | |
| ansehnlicher Kater im Kopf, den er sich am Vorabend auf der | |
| Unions-Weihnachtsfeier angetrunken hatte. | |
| Wieder nüchtern, bekräftigte Kurze seine Grundaussagen. Die aktuelle | |
| Finanzierungskrise der Rundfunkanstalten hat also eine lange Vorgeschichte. | |
| 20 Jahre zuvor hatte beispielsweise die ohnehin sehr privatfunkfreundliche | |
| sächsische CDU dem Rundfunkstaatsvertrag erst zugestimmt, nachdem ihre | |
| Forderungen nach transparenterem Finanzgebaren und mehr Kontrolle erfüllt | |
| wurden. | |
| In einer Phase nun, in der [2][beim Bundesverfassungsgericht eine Klage der | |
| Rundfunkanstalten] auf Erhöhung des Rundfunkbeitrages anhängig ist, gehen | |
| diese auch medial in die Offensive. Am 31. Mai startete eine | |
| Internetplattform für einen bis November andauernden „Zukunftsdialog“ mit | |
| Bürgern. Es fällt auf, dass seit jeher politische Kritik wie auch die | |
| Skepsis der Bürger gegenüber dem gebührenfinanzierten Rundfunk in | |
| Ostdeutschland ausgeprägter ist. | |
| ## Reporter bekommen Ablehnung zu spüren | |
| Ein ernst zu nehmender Teil gerade der älteren klassischen Fernsehzuschauer | |
| in der ehemaligen DDR wertet das frühere Zauberwort „Westfernsehen“ | |
| inzwischen ins Gegenteil um. Sie beklagen, nach wie vor nicht zu hören und | |
| nicht zu sehen zu bekommen, was sie für die Lebenswirklichkeit halten und | |
| was der eigenen Meinung entspricht. Wer als Reporter mit Mikrofon oder gar | |
| Kamera auf der Straße unterwegs ist, bekommt diese Ablehnung oft zu spüren. | |
| Der beim MDR wegen seiner rechten Positionen [3][nicht mehr geduldete | |
| Kabarettist Uwe Steimle] beispielsweise tut auf seinem Youtube-Kanal | |
| „Steimles Aktuelle Kamera“ so, als herrsche heute der gleiche zensierte | |
| Mono-Ton wie in der DDR. Der Pluralitätsanspruch des öffentlich-rechtlichen | |
| Rundfunks, nach dem Zweiten Weltkrieg als Antwort auf die Medien der | |
| Nazidiktatur entstanden, wird paradoxerweise gerade in Ostdeutschland | |
| weniger verstanden. | |
| Den ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck | |
| ärgert das heftig. Er ordnet solche Empfindungen in eine Feststellung ein, | |
| die Ende 2020 die von ihm geleitete Kommission zu 30 Jahren Deutsche | |
| Einheit traf. Demnach ist das Vertrauen der Ostdeutschen in die Demokratie | |
| und ihre Institutionen generell geringer ausgeprägt. | |
| Relativieren könnte man solche Umfragen mit der Tatsache, dass Ostdeutsche | |
| vergleichsweise mehr Privatsender konsumieren und speziell bei | |
| Informationssendungen oft nicht differenzieren. | |
| Unbestritten ist aber ein gefühltes Unbehagen, Stellenwert, Themenauswahl | |
| und Duktus der Berichterstattung über den Osten betreffend. | |
| Lebenswirklichkeiten würden mit „fremden“ Augen betrachtet, schreibt | |
| Matthias Platzeck in der Sächsischen Zeitung. Platzeck stört vor allem, | |
| dass angenehme Erinnerungen, Zusammenhalt und Lebensleistungen in der DDR | |
| entwertet würden. | |
| ## Vermeintliche Krisenregion | |
| MDR-Intendantin Carola Wille, geboren im damaligen Karl-Marx-Stadt, das | |
| heute wieder Chemnitz heißt, stimmt in die Kritik an lange gepflegten | |
| Ost-Narrativen von Abgehängtsein, Armut und Rechtsradikalismus ein. Die | |
| mediale Berichterstattung sei lange „auf eine vermeintliche Krisenregion | |
| verengt worden“. „Wann findet Sachsen-Anhalt mal in der ARD statt? Wenn | |
| irgendein Mob etwas anzündet“, empört sich dort der CDU-Landtagsabgeordnete | |
| Frank Scheurell. Mit dem Vorwurf, die Öffentlich-Rechtlichen würden „sich | |
| nicht für uns interessieren“, pauschalisiert er allerdings. | |
| Denn den drei ostdeutsch orientierten Rundfunkanstalten kann man keineswegs | |
| Fremdperspektive vorwerfen. MDR und rbb stehen eher in dem Ruf, ein zu | |
| ostalgisches Programm anzubieten. Dokumentationen über die Verwerfungen der | |
| Transformationsphase nach 1990 rechtfertigen diesen Ruf aber nicht. Der | |
| MDR ist außerdem mit Diskussionsformaten wie „Fakt ist“ oder dem | |
| Meinungsbarometer „MDR fragt“ mit 44.000 angemeldeten Teilnehmern um | |
| Bodenhaftung bemüht. | |
| Von der Krise auch beruflich stark betroffen waren Künstler, den vor allem | |
| das Radio als Auftrittsmöglichkeit blieb. Der NDR, als Vierländeranstalt | |
| mit Sitz in Hamburg auch nach Mecklenburg-Vorpommern ausstrahlend, | |
| vermeldet in Krisenzeiten neue Rekorde bei Marktanteilen und | |
| Zuschauerzahlen. „Die Vermutung einer allgemeinen Skepsis und | |
| Reserviertheit der Ostdeutschen oder einem generellen Misstrauen belegen | |
| unsere Zahlen nicht“, dementiert Sprecherin Lara Louwien ein | |
| West-Ost-Gefälle beim NDR. | |
| Und doch hält sich trotz anerkennenswerter West-Ost-Annäherungen | |
| strukturelle Kritik. Zwar schwindet die westdeutsche Dominanz in den | |
| Führungsetagen der ostdeutschen Anstalten allmählich. Sachsen-Anhalts | |
| Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte für den MDR und den rbb schon eine | |
| „Ostquote“ gefordert. | |
| ## Sachsen-Anhalt schießt Eigentor | |
| Aber MDR-Intendantin Wille beklagt, dass mit dem Kinderkanal in Erfurt nur | |
| eine einzige von 50 ARD-Gemeinschaftseinrichtungen hier angesiedelt sei. | |
| Insofern hat Sachsen-Anhalt mit seiner Blockade des Rundfunkstaatsvertrages | |
| ein Eigentor geschossen. Denn die projektierte gemeinsame Kulturplattform | |
| von ARD, ZDF und Deutschlandradio sollte nach Halle kommen und liegt nun | |
| auf Eis. Von Insidern wird eine Stimmung kolportiert, man wolle die | |
| Saboteure nicht auch noch mit dem Standort Halle belohnen. | |
| Mike Mohring, bis 2019 CDU-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, | |
| ermuntert den MDR zu einer stärkeren Positionierung innerhalb der ARD. | |
| Zugleich stellt er das bestehende Staatsvertragsmodell infrage, wenn die | |
| Staatskanzleien die Verträge aushandeln und die Parlamente lediglich | |
| zustimmen dürfen. „Und man darf mit Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen | |
| nicht sofort in die rechte Ecke gestellt werden“, verlangt er. Denn die CDU | |
| unterscheide sich fundamental von der AfD, weil sie den | |
| gebührenfinanzierten Rundfunk nicht grundsätzlich ablehnt. | |
| 1 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Streit-um-Rundfunkgebuehren/!5730999 | |
| [2] /Verfassungsbeschwerde-von-ARD-und-ZDF/!5730575 | |
| [3] /MDR-schmeisst-Uwe-Steimle-raus/!5647787 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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