# taz.de -- Auch Taliban kämpfen gegen Corona: Unvorbereitet in die dritte Wel… | |
> Afghanistan kämpft in der Coronapandemie nicht nur mit einem überlasteten | |
> Gesundheitssystem. Auch der Mangel an Impfstoff ist eklatant. | |
Bild: Ein Mann wird künstlich beatmet in einem Krankenhaus in Kandahar, 24. Ma… | |
BERLIN/KABUL/HERAT taz | „Ich hatte Fieber und stand mit vielen Leuten in | |
der Menge. Als der Arzt mit jemand anderem beschäftigt war, bin ich | |
unbemerkt durchgerutscht.“ Ungetestet überquerte Ahmad Schah, ein | |
afghanischer Rückkehrer aus Iran, vor zwei Wochen die Grenze nahe seiner | |
Heimatstadt Herat im Westen des Landes, wie er einem lokalen Reporter | |
berichtete. Sein Fieber habe nichts mit Covid-19 zu tun, meinte er. Wer | |
weiß. | |
Schon Afghanistans erste Coronawelle im Frühjahr 2020 war von | |
Iran-Heimkehrern an den Hindukusch getragen worden. In dem früh und schwer | |
von der Pandemie betroffenen Nachbarland leben drei Millionen | |
Afghan:innen als Flüchtlinge oder oft diskriminierte Gastarbeiter. Viele | |
flohen – oft schon infiziert – von dort vor dem Ausbruch. | |
Letzte Woche brach dann in Afghanistan die dritte Coronawelle aus. Ende | |
März erkrankten dort täglich noch weniger als 30 Menschen. Dann schnellte | |
die registrierte Zahl exponentiell in die Höhe. Auch die Todeszahlen | |
steigen. Letzte Woche lag der Durchschnitt der neuen Fälle bei 794, etwa | |
ein Sechstel des aktuellen Wertes in Deutschland bei einer etwa halb so | |
großen Bevölkerung. Doch zugleich wird 130 Mal weniger getestet als hier. | |
Seit Pandemiebeginn gab es erst etwas über 450.000 Tests, so viele wie in | |
Deutschland derzeit in einer halben Woche. | |
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht in Afghanistan von einer hohen | |
Dunkelziffer an Infektionen wie Todesfällen aus. Laut | |
Gesundheitsministerium in Kabul geht über die Hälfte der Fälle auf die | |
ansteckendere, zuerst in Indien entdeckte Mutation des Virus zurück. | |
## Superspreader Massenhochzeiten | |
Als Erste kündigte letzte Woche die Kabuler Stadtverwaltung die Schließung | |
der Hochzeitspaläste an. Dort finden die üblichen Massenhochzeiten mit | |
Tausenden Gästen statt – Superspreader-Events par excellence. Doch müssen | |
sie erst ab diesem Mittwoch schließen. | |
Dabei fühlten manche längst die Gefahr. Ein Westkabuler Familienvater sagte | |
der taz, er sei froh, vorletzte Woche mit seiner Familie trotz Einladung | |
nicht bei einer Hochzeit gewesen zu sein. Unvorsichtigere Nachbarn hätten | |
sich dort angesteckt. | |
Waren Schutzmasken in der ersten Welle in Büros mit Publikumsverkehr und an | |
bevölkerten Plätzen obligatorisch, achtet in Kabul jetzt kaum noch jemand | |
darauf. Am Samstag schloss die Regierung Schulen und Universitäten in den | |
16 der 34 am stärksten betroffenen Provinzen. | |
Die Impfkampagne ist praktisch zum Stillstand gekommen ist. Eine erste | |
Lieferung von 570.000 Dosen des in Indien in Lizenz hergestellten | |
AstraZeneca-Vakzins im Rahmen der Covax-Initiative der WHO ist verbraucht. | |
Jetzt wartet das Land auf zugesagte weitere 700.000 Dosen aus China. | |
## Mangel ans Behandlungskapazitäten | |
Deutschland gehört nicht zu den Lieferanten, obwohl die [1][Bundeswehr] | |
gerade ihre Soldaten endgültig ausfliegt und unter großem Medienrummel | |
medizinische Ausrüstung zur Covid-19-Bekämpfung ins nahe Indien bringt. Das | |
proklamierte Ziel, in Afghanistan bis Jahresende ein Fünftel der | |
Bevölkerung zu immunisieren, dürfte illusorisch sein. | |
Zugleich mangelt es an Behandlungskapazitäten. Aus dem Medizinischen Rat | |
der Regierung erfuhr die taz, in den meisten Provinzen gäbe es nicht mehr | |
als drei bis fünf Intensivbetten für Coronapatient:innen. Sechs Provinzen, | |
darunter die bevölkerungsreichen Ghasni und Chost, verfügten über keine für | |
die Coronabehandlung geeigneten Kliniken. Und in 20 Provinzen könne niemand | |
die Beatmungsgeräte bedienen. | |
## Schon im Frühjahr 2020 | |
Dafür kooperieren die [2][Taliban] bei der Coronabekämpfung. Schon im | |
Frühjahr 2020 führten sie in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine | |
Aufklärungskampagne durch. Jetzt bot ihr Sprecher Sabihullah Mudschahed an, | |
dass dort auch geimpft werden könne, wenn das mit ihrer | |
Gesundheitskommission abgestimmt werde. Das bietet den Taliban eine neue | |
Chance, sich der Bevölkerung als Parallelregierung zu präsentieren. | |
Schon vor der Coronapandemie lebten laut UNO 80 Prozent der Afghan:innen | |
unter der Armutsgrenze. Jetzt prognostiziert die Weltbank einen | |
[3][Wirtschaftseinbruch von 5,5 bis 7,4 Prozent]. „Die meisten Männer | |
haben ihre Arbeit verloren“, berichtet ein Gesundheitsarbeiter aus Herat | |
der taz. „Deshalb gibt es mehr Gewalt in den Familien.“ In seinem Stadtteil | |
habe sich die Zahl der Fälle, von denen er hört, verdoppelt. | |
1 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Bundeswehr-verlaesst-Buergerkriegsland/!5772708 | |
[2] /Afghanistan-unter-der-Taliban-Herrschaft/!5767398 | |
[3] /Geberkonferenz-fuer-Afghanistan/!5727420 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
Rohullah Sorush | |
Reza Kazemi | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
taz-Serie Corona glokal | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Taliban | |
Afghanistaneinsatz | |
Schwerpunkt Flucht | |
Asyl | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Machtübernahme in Afghanistan: China auf Kuschelkurs mit Taliban | |
Für China sind die militanten Taliban-Islamisten ein Sicherheitsrisiko. | |
Umso mehr versucht die Führung in Peking, sie frühzeitig an sich zu binden. | |
Regierung verharmlost Afghanistan-Lage: Gefährlich geschönt | |
Das Auswärtige Amt verharmlost in seinem Bericht den Vormarsch der Taliban. | |
Die taz konnte das unter Verschluss gehaltene Dokument einsehen. | |
Bundeswehreinsatz in Afghanistan beendet: Alle Soldat:innen abgezogen | |
Nach 20 Jahren hat die Bundeswehr den Afghanistaneinsatz beendet. Die | |
letzten Soldat:innen sollen am Mittwochmorgen in Deutschland eintreffen. | |
Abschiebungen nach Afghanistan: Ticket in die Zwangsheimat | |
Die Lage in Afghanistan ist alles andere als sicher. Neben Terror und | |
Gewalt wartet auf die Rückkehrer Ausgrenzung, Diskriminierung und Armut. | |
Abschiebung nach Afghanistan: Vom Allgäu an den Hindukusch | |
2015 floh der Afghane Hasib Azami nach Deutschland. Vergangenen Februar | |
wurde er nach Kabul abgeschoben. Die taz hat ihn dort getroffen. | |
Terroranschlag in Kabul: Bombenangriff auf Schule | |
Bei einem verheerenden Anschlag in Afghanistans Hauptstadt Kabul sterben | |
Dutzende Schülerinnen. Der Angriff galt der schiitischen Minderheit. | |
Truppenabzug aus Afghanistan: „Hier wird das Chaos ausbrechen“ | |
Für manche ist der angekündigte Abzug der USA und Nato ein Déjà-vu. In | |
Kabul blicken die Menschen einer ungewissen Zukunft entgegen. | |
Verhandlungen mit den Taliban: Schachzüge beim Friedensplan | |
Afghanistans Präsident Aschraf Ghani versucht, die Taliban zu Kompromissen | |
zu bewegen. Doch er kann sich der Unterstützung der USA nicht sicher sein. |