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# taz.de -- Terroranschlag in Kabul: Bombenangriff auf Schule
> Bei einem verheerenden Anschlag in Afghanistans Hauptstadt Kabul sterben
> Dutzende Schülerinnen. Der Angriff galt der schiitischen Minderheit.
Bild: Trauer vor der getroffenen Schule am Tag danach
Berlin taz | Mindestens 58 Menschen wurden getötet und über 150 weitere
verletzt, als am Samstag Nachmittag im Kabuler Südwesten vor einer Schule
eine Autobombe explodierte. Nach Augenzeugenberichten detonierten zwei
weitere Sprengsätze, als Menschen nach der ersten Detonation aus dem
Gebäude flohen. [1][Jawad Zawulistani], Direktor der „Menschenrechts- und
Demokratie-Organisation Afghanistans“ [2][(AHRDO)], sprach auf Twitter
sogar von 68 Toten.
An der angegriffenen Sajed-al-Schuhada-Schule lernen insgesamt 7000 Jungen
und Mädchen in getrennten Schichten. Die Bombe ging hoch, als gerade die
Mädchen die Nachmittagsschicht verließen. Laut Innenministerium sind viele
Opfer Schülerinnen zwischen elf und 15 Jahren. Das könnte darauf hindeuten,
dass die Attentäter die Bombe bewusst zündeten, um der von vielen
Islamisten abgelehnten weltlichen Mädchenbildung zu schaden. Unter den
Opfern des Anschlags sind zwei Freundinnen einer Kabuler Kollegin des
Autors.
Zawulistani nannte den Anschlag „Teil einer genozidalen Kampagne gegen eine
spezifische ethnische und religiöse Minderheit.“ Die Schule liegt im
mehrheitlich von Schiiten bewohnten Stadtteil Dascht-e Bartschi. Der waren
bereits mehrfach Ziel ähnlicher Anschläge mit mehreren Dutzenden Toten. Im
vergangenen Mai griffen Bewaffnete die Mütterstation eines Krankenhauses an
und brachten gezielt Neugeborene, Schwangere und medizinisches Personal um.
Im Oktober 2020 und Dezember 2017 sprengten sich Selbstmordattentäter in
einem Tutorenzentrum und einem soziokulturellen Zentrum in die Luft. Im
September 2018 traf es einen Ringerclub; anschließend zündeten die
Attentäter eine Autobombe unter den Fliehenden.
Zu einigen dieser Anschläge bekannte sich der afghanische Ableger des
Islamischen Staates, genannt [3][IS-Khorasan-Provinz (ISKP)], andere
blieben ohne Bekennererklärung. „Diese Generation der [schiitischen]
Hasaras wird ohne jede Schuld zum Opfer eines Massenmords,“ schrieb
unmittelbar nach dem Anschlag ein Bewohner von Dascht-e Bartschi an Partner
bei einem deutschen Verein mit Schulprojekten in Afghanistan.
## „Islamischer Staat“ drohte Schiiten
Zu dem Anschlag am Samstag bekannte sich bisher niemand. Allerdings hatte
ISKP drei Tage zuvor vor [4][Anschlägen auf die schiitische Gemeinschaft]
sowie die wirtschaftliche Infrastruktur des Landes gewarnt. Zuvor war
berichtet worden, die afghanische Regierung könnte gefangene
nichtafghanische Mitglieder der Gruppe an Herkunftsstaaten ausliefern. Über
die folgenden Tage bekannte sich ISKP zu Anschlägen auf Öltanklaster und
Stromleitungen, die in Kabul zeitweise zu einem Blackout führten. Der ISKP
betrachtet Schiiten als Abweichler vom Islam.
Afghanistans Präsident Aschraf Ghani lastete in einer auf seiner Webseite
verbreiteten Erklärung den Anschlag den Taliban an. Sie hätten damit
„erneut gezeigt, dass sie nicht bereit sind, die aktuelle Krise friedlich
und grundlegend zu lösen.“ Stattdessen sabotierten sie die Chance, den
Konflikt endgültig beizulegen – eine Anspielung auf die stockenden
innerafghanischen Friedensgespräche in Katars Hauptstadt Doha und die
Weigerung der Taliban, sich an einer geplanten Friedenskonferenz in
Istanbul zu beteiligen, so lange sich noch ausländische Soldaten in
Afghanistan befänden.
US-Präsident Joe Biden hatte einen Truppenabzug bis zum 11. September
angeordnet. In Washington wird aber auch ein früherer Abschlusstermin
debattiert, etwa der 4. Juli.
Die Taliban hingegen wiesen die Anschuldigung zurück, beschuldigten ISKP
und verurteilten den Anschlag. Gegenseitige Beschuldigungen und
möglicherweise Angriffe unter „falscher Flagge“ gehören in dem zunehmend
unübersichtlichen Krieg zur psychologischen Kriegführung.
## Taliban greifen vermehrt an
Gleichzeitig eskalieren aber die Taliban seit der
US-Truppenabzugsankündigung ihre bewaffneten Aktionen. Sie griffen in den
letzten Tagen mehrere Distriktzentren an, besetzten mindestens zwei sowie
eine wichtigen Staudamm. Ein von afghanischen Journalist:innen
aufgezogener Monitoring-Dienst teilte am Sonntagmittag mit, in den
vorangegangenen 24 Stunden habe es 20 Taliban-Angriffe in zehn Provinzen
mit 222 Toten gegeben. Am Mittwoch waren es 137 in 25 Provinzen.
Nach dem Anschlag vom Samstag griffen aufgebrachte Menschen Krankenwagen
und medizinisches Personal an, die Verletzte bergen wollten. Viele in der
schiitischen Gemeinschaft beschuldigen die Regierung, zu wenig zu ihrem
Schutz zu tun.
Der austro-afghanische Journalist und taz-Autor [5][Emran Feroz] berichtete
am Samstag auf Twitter von einem Vorfall im März in Dascht-e Bartschi. Bei
einem nur schlecht gesicherten Sportwettbewerb dort habe er einen Soldaten
angesprochen, der mit „rassistischen Beleidigungen“ antwortete und
erklärte, „sollen sie doch die Hasaras töten“. Auch Regierungsvertreter
äußern sich zum Teil öffentlich antischiitisch.
Die Schiiten reagieren in mehreren Provinzen mit Selbstbewaffnung. Daran
sind auch Warlords aus ihren Reihen beteiligt, die wiederum undifferenziert
gegen andere Gruppen vorgehen. Als die Regierung im Februar einen von ihnen
festnehmen wollte, kam es in der Provinz Maidan-Wardak zu Protesten, bei
denen die Polizei mehrere Zivilisten erschoss.
9 May 2021
## LINKS
[1] https://twitter.com/Jawadniki
[2] /Kriegsmuseum-in-Afghanistan-eroeffnet/!5572402
[3] /Islamischer-Staat-und-Taliban/!5479172
[4] /Gewalt-in-Afghanistan/!5535278
[5] /!s=&Autor=emran+feroz/
## AUTOREN
Thomas Ruttig
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Taliban
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