# taz.de -- Gesetzentwurf des Berliner Enteignungsbegehrens: Nicht zum Nulltarif | |
> Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat einen Gesetzentwurf | |
> vorgelegt – doch was taugt der tatsächlich? | |
Bild: Transparent am 1. Mai 2021 in Berlin | |
Die Aktivist:innen nehmen die Sorgen der Bürger:innen ernst. Niemand | |
will, dass das Land Berlin 36 Milliarden Euro ausgibt, um Wohnungskonzerne | |
zu enteignen – wenn Berlin hinterher das Geld für vieles andere fehlen | |
würde, insbesondere für eine soziale Politik. | |
Deshalb hat das Team des Volksbegehrens Deutsche Wohnen & Co enteignen | |
jetzt ein „Vergesellschaftungsgesetz“ vorgelegt, das niemand weh tun würde | |
– außer den Wohnungskonzernen. Die Entschädigung wäre auf rund 10 | |
Milliarden Euro begrenzt und müsste auch nicht in bar bezahlt werden, | |
sondern in „Entschädigungsbonds“ mit einer Laufzeit von bis zu 40 Jahren. | |
Die Tilgung würde aus den bis dahin eingenommenen Mieten erwirtschaftet. | |
Eine Superidee. So kann man kritische Fragen beim Unterschriftensammeln im | |
Keim ersticken. Auswirkung der Enteignung auf öffentliche Haushalte? | |
NULL!!! | |
Aber geht der Trick wirklich auf? Schwer zu sagen. Denn seit über 70 Jahren | |
steht zwar die Möglichkeit zur Sozialisierung im Grundgesetz, aber es gab | |
keinen einzigen Anwendungsfall. Deshalb musste auch das | |
Bundesverfassungsgericht noch nie klären, welche Entschädigung dann zu | |
zahlen wäre. | |
Klar ist nur: Der volle Marktwert müsste nicht erstattet werden. | |
Schließlich heißt es im Grundgesetz: „Die Entschädigung ist unter gerechter | |
Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu | |
bestimmen.“ Im Berliner Fall müsste das Land nach einem erfolgreichen | |
Volksentscheid also keine 36 Milliarden Euro für die Enteignung einplanen. | |
Doch welchen Abschlag würde Karlsruhe noch akzeptieren? Falls das Land | |
Berlin nur 10 Milliarden Euro Entschädigung zahlt, läge der Sozialrabatt | |
immerhin bei 72 Prozent. Und möglicherweise ist die avisierte Entschädigung | |
sogar noch weniger wert, da sie ja nicht bar, sondern in zinslosen | |
Wertpapieren ausbezahlt wird. Wer weiß schon, wie sich der Kurs für solche | |
Bonds entwickeln würde. | |
Was beim Unterschriftensammeln hilft, könnte vor dem | |
Bundesverfassungsgericht also eher schaden. Die Vorstellung, dass das Land | |
Berlin die Enteignung durchziehen könnte, ohne einen Cent in die Hand zu | |
nehmen, wäre zwar für die Berliner:innen beruhigend, darin dürfte aber | |
wohl nicht jede:r die vom Grundgesetz geforderte „gerechte Abwägung der | |
Interessen“ sehen. | |
Und dann würden die Richter:innen sicher auch auf den sozialen Nutzen | |
der Enteignungen schauen. Zwar wären Mieten von 4 Euro pro Quadratmeter für | |
die Bewohner:innen der 240.000 betroffenen Wohnungen toll. Aber die | |
Konzernwohnungen machen nur ein Achtel aller Berliner Wohnstätten aus. Und | |
niemand weiß, wie viele dieser Mieter:innen wirklich sozial bedürftig | |
sind. Zugleich würden die Mieten im Rest der Stadt steigen wie gehabt. Noch | |
wirkt die Initiative eher wie eine antikapitalistische Provokation als wie | |
ein überzeugendes sozialpolitisches Konzept. | |
Allerdings ist der Gesetzentwurf auch gar nicht Gegenstand des | |
Volksbegehrens. Dort geht es nur um eine unverbindliche Aufforderung an den | |
Senat, er solle Maßnahmen zur Vergesellschaftung „einleiten“. Das heißt | |
aber auch: Erst nach einem erfolgreichen Volksentscheid wird es um die | |
konkreten, vermutlich deutlich höheren Entschädigungssummen gehen. Teuer | |
wird es immer erst am Ende. | |
15 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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