Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Big Data und Überwachung in China: In der Höhle der Daten
> Mit Big Data möchte Chinas Regierung den Alltag der Bevölkerung
> verbessern – und sie zugleich überwachen. Die Provinz Guizhou geht schon
> mal voran.
Bild: Luftbild vom Datencenter von Huawei in Guiyang in der Provinz Guizhou in …
Wer einen Einblick in Chinas datengetriebene Zukunft erhaschen möchte, wird
bereits nach wenigen Augenblicken vom Generalsekretär der Kommunistischen
Partei begrüßt: „Es ist Xi Jinpings ausdrücklicher Wunsch für unsere
Provinz, einen innovativen Pfad einzuschlagen“, sagt der junge Mann in
dunklem Slim-Fit-Anzug und mit modischem Boxerhaarschnitt.
Er führt durch die „Big Data Exhibition“ im südchinesischen Guiyang, wo d…
Regierung auf 7.000 Quadratmetern die Errungenschaften ihrer digitalen
Transformation vorstellt. Die Räumlichkeiten ähneln mit wellenförmigen
LED-Leuchten, blinkenden Displays und transparenten Tischkonsolen einem
futuristischen Star-Trek-Filmset.
Die südwestliche Provinz Guizhou, über 2.000 Kilometer von der Hauptstadt
Peking entfernt, hat sich in den letzten fünf Jahren zum regelrechten
Daten-Mekka entwickelt. Ob China Mobile, Alibaba oder auch Apple: Sämtliche
Techriesen haben in der hügeligen Region riesige Datenzentren errichtet,
eingegraben in Berghöhlen. Der Grund für die Standortwahl ist simpel: Das
milde Klima sorgt für kühle Sommer, was wiederum die Rechenserver vor
Überhitzung schützt. Zudem gilt die Gegend als erdbebensicher und verfügt
über günstige Strompreise.
Journalisten können sich von den Serverhöhlen keinen Eindruck machen. „Zu
sensibel“, heißt es auf entsprechende Anfragen bei den Techfirmen. Ein paar
wenige Fotos kursieren allerdings im Netz: Darauf sind sanft geschwungene
Hügel von etwa einhundert Metern Höhe zu sehen, in die mehrere betonierte
Tunneleingänge gebaut wurden. Das Innere des Bergs, so scheint es, ist fast
vollständig ausgehöhlt. Im wohl bekanntesten Datenzentrum der Provinz,
„Huawei Qixinghu“, werden auf einer Fläche von über 50 Fußballfeldern ru…
600.000 Server gelagert.
## Arme Provinz nun Daten-Zentrum
Wer durch die Hauptstadt der einst ärmsten Provinz des Landes fährt, kann
die Früchte des chinesischen Wirtschaftswachstums erkennen: Ganze
Stadtviertel aus gläsernen Bürotürmen, riesigen Einkaufszentren und
begrünten Straßen sind in Guiyang aus dem Boden gestampft worden. Ein neu
errichtetes U-Bahn-Netz transportiert die knapp fünf Millionen Einwohner
bei ihren täglichen Pendelwegen. Der dynamische Eindruck wird auch durch
einen Blick auf die Statistiken untermauert: Selbst im Coronajahr 2020
konnte Guizhou ein Wachstum von 4,5 Prozent erzielen – Hauptmotor ist die
Datenindustrie.
Dabei bildete Guizhou jahrzehntelang das wirtschaftliche Schlusslicht unter
Chinas Provinzen. Durch die subtropischen Karstgebirge war die Gegend einst
abgeschnitten von den urbanen Metropolen. Als einzig vorzeigbare Industrien
priesen die Lokalpolitiker ihre Zigaretten- und Schnapsexporte an.
Tatsächlich wird in Guizhou mit „Maotai“, einem 53-prozentigen Branntwein,
im gleichnamigen Bergdorf das inoffizielle Nationalgetränk Chinas
produziert. Die Flaschen, deren Preis oftmals im vierstelligen Euro-Bereich
liegt, gehörten früher zum Standardinventar für ausgiebige Festgelage der
Parteikader. Als Generalsekretär Xi Jinping seinen Kampf gegen die
Korruption vorantrieb, wirkte sich dies merklich auf das Geschäft aus.
Doch in diesen letzten Jahren erhält Guizhou einen ganz neuen
Wirtschaftsmotor: Von 2020 bis 2025 investiert die Zentralregierung in
Peking landesweit rund 1,4 Billionen Dollar in digitale
„Schlüsseltechnologien“, von einer 5G-Infrastruktur über autonome Fahrzeu…
bis hin zu künstlicher Intelligenz. Allein in Guizhou befinden sich
mittlerweile 23 Datenzentren mit fast vier Millionen Servern in Betrieb
oder im Bau. Chinas „Big Data Valley“ wird von Peking als
Experimentierlabor betrachtet, um neue Anwendungen auszuprobieren.
In der „[1][Big Data Exhibition“ in Guiyang] lassen sich einige davon
begutachten: Eine Software kann aufgrund flächendeckender Überwachung von
Flussständen detaillierte Dürrewarnungen mindestens drei Tage im Voraus
abgeben. Zudem empfiehlt das Programm im Falle von Überflutungen die
sichersten Routen für Rettungskräfte und schlägt vor, welche Bewohner
evakuiert werden sollten. Aufgrund der neuen Infrastruktur werden die
meisten Behördengänge bald obsolet – und können per Smartphone-App
abgewickelt werden. Auch helfen die Datenmengen dabei, Lieferketten zu
optimieren und die Produktionsabläufe zu automatisieren.
Dennoch bleiben mehr Fragen als Antworten: Wie geht der Staat mit
Unternehmen um, die ihre Daten den staatlichen Zentren nicht zur Verfügung
stellen? Und wie kann dessen massiver Stromverbrauch reduziert werden, der
zunehmend mit den ambitionierten Klimazielen der Regierung in Konflikt
gerät?
Vize-Direktor Gao Sheng stellt sich der internationalen Presse. Doch die
Nervosität steht ihm regelrecht ins Gesicht geschrieben, Antworten abseits
vorgefertigter Standardfloskeln möchte er nicht liefern. Wie man
beabsichtigt, die Umweltbilanz der energiehungrigen Datenzentren zu
verbessern, möchte man wissen. Doch seine Antwort geht, auch nach
mehrmaligem Nachhaken, nicht im Ansatz auf die Thematik ein. Es ist eine
ernüchternde Erkenntnis: Im postpandemischen China wird ausländischen
Journalisten nur mehr eine offizielle Fassade präsentiert – und alles
Erdenkliche dafür getan, um den Blick dahinter zu erschweren.
Dabei haben die Parteikader in Peking jüngst ein neues Datenschutzgesetz
ausgearbeitet, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll. In seinen
Grundzügen orientiert es sich am Vorbild der Europäischen Union. Shawn Hu,
Anwalt der Wirtschaftskanzlei [2][King & Wood Mallesons] mit Sitz in
Schanghai, hält Chinas Bemühungen um Datenschutz für „legitim und sehr
normal“, kontroverse Aspekte würden oftmals von den Medien ohne Grundlage
hochgespielt.
Der Staat versteht sich vor allem in seiner Vormundrolle, den Bürger vor
kommerziellen Interessen der Online-Unternehmen zu schützen. Derzeit führt
die Regierung gegen praktisch alle Tech-Plattformen kartellrechtliche
Ermittlungen durch, da diese ihre Konsumentendaten potenziell für illegale
Geschäftspraktiken nutzen. So soll es immer wieder vorgekommen sein, dass
bestimmte Apps, basierend auf ihren Kundenprofilen, unterschiedliche Preise
für die gleichen Produkte angeboten haben.
## Wer bremst den Staat?
Doch die Gretchen-Frage bleibt unbeantwortet: Zwar kann der Staat
datenhungrige Firmen bremsen, doch wer bremst den Staat, der sämtliche
Kontrollinstanzen von kritischen Medien bis hin zur Zivilgesellschaft
längst ausgeschaltet hat? Datenschutz besitzt schließlich eine ganz andere
Dringlichkeit in einem Land, das bis in den hintersten Winkel ausgeleuchtet
ist: Nach einer Recherche des Wall Street Journal werden die Behörden bis
Jahresende im ganzen Land insgesamt 560 Millionen Überwachungskameras
installiert haben. Ob an den Sandstränden der tropischen Insel Hainan oder
in den Parkanlagen Pekings: Überall haben die Behörden längst
dreidimensionale Sicherheitskameras installiert.
Wie umfassend die öffentliche Überwachung ist, demonstrierte zuletzt der
[3][Performance-Künstler Deng Yufeng]: Der 35-Jährige maß jeden Zentimeter
einer Pekinger Straße aus und identifizierte sämtliche 89
Sicherheitskameras und deren Blickwinkel. Dann rekrutierte Deng ein paar
Dutzend Freiwillige für eine geradezu taktische Operation: mit Kriechen,
Schleichen und Bücken galt es, den Blicken der Staatsmacht zu entkommen.
Für eine Entfernung von 1,1 Kilometer brauchte die Gruppe über zwei
Stunden.
Doch die meisten Chinesen stören sich nicht am omnipräsenten „Big Brother�…
Sie nehmen die Kameras als Verbesserung der öffentlichen Sicherheit wahr.
Auch zwölf Zugstunden südlich von Peking, in der örtlichen Feuerwehrwache
von Guiyang, einem quadratförmigen Funktionsbau, soll die Überwachung
ausschließlich zum Schutz der Bürger dienen. In einem „Krisenraum“ laufen
sämtliche Daten zusammen. Sie werden auf ein Kinoleinwand-großes Display
projiziert, auf dem Dutzende Diagramme und Tabellen zu sehen sind. Ein
junger Mitarbeiter mit Soldatenfrisur erklärt die Vorzüge einer digital
vernetzten Feuerwehr: Mit „smarten“ Kameras können Rauchentwicklungen
bereits vor dem menschlichen Auge entdeckt werden. Zudem beobachtet man die
Temperatur der städtischen Stromleitungen sowie die vorhandene
Feuerschutzausrüstung von öffentlichen Gebäuden in Echtzeit. Auf einer
eingefärbten Stadtkarte lässt sich also bereits präventiv erkennen, welche
Viertel einer erhöhten Brandgefahr ausgesetzt sind.
Doch schlussendlich befindet sich die „Big Data“-Provinz Guizhou nach wie
vor in ihren Kinderschuhen. „Wir wollen die Daten in ökonomischen Nutzen
ummünzen. Hier im Südwesten ist es allerdings schwierig, junge Talente
anzuziehen“, sagt Hu Jianhua, Vize-Leiter der örtlichen „Big
Data“-Verwaltung. Hu ist ein hemdsärmeliger Mann von bulliger Statur: „Zwar
bauen wir Ausbildungszentren, aber noch hängen wir den Städten an der
Ostküste hinterher.“ Rund 100.000 Fachkräfte würden derzeit in Guizhous
Digitalbranche fehlen.
Und wie kommt der chinesische Staat an die Daten seiner Online-Konzerne?
„Die meisten Unternehmen wollen zwar selbst öffentliche Daten, aber ihre
eigenen Kerndaten nicht preisgeben“, sagt Hu: „Wir können sie nur
ermutigen, aber natürlich nicht zwingen.“
13 May 2021
## LINKS
[1] http://www.eguiyang.com.cn/2021-01/15/content_37543266.htm
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/King_&_Wood_Mallesons
[3] https://www.sixthtone.com/news/1006432/how-to-evade-big-brother-an-artists-…
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
China
Big Data
GNS
Huawei
Podcast „Vorgelesen“
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Abtreibung
Huawei
China
China
Ikea
China
China
China
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sparen durch dynamische Strompreise: Billigstrom bei Wind und Sonne
Ökologisch und möglicherweise günstiger für Stromkunden: Dynamische Preise,
die im Tagesverlauf schwanken, gibt es von immer mehr Anbietern.
Datenhändler in der Big-Data-Ökonomie: Das Geschäft der Datenbroker
Im Schlepptau der Big-Data-Ökonomie ist ein unregulierter Markt von
Datenbrokern entstanden. Die Firmen wissen zum Teil sogar mehr als
Geheimdienste.
Weniger abhängig von Firmen aus China: Huawei droht Rausschmiss
Bundesregierung könnte deutschen Netzbetreibern die Kooperation mit dem
chinesischen Telekommunkationsausrüster untersagen.
Über eine Milliarde Chinesen betroffen: Ein gigantischer Daten-Leak
Ein unbekannter Hacker hat 23 Terabyte an Adressen und Krankendaten
erbeutet. Die sensiblen Informationen stehen in einschlägigen Foren zum
Verkauf.
Chinas neues Datenschutzgesetz: Staat darf weiter schnüffeln
Chinas neues Datenschutzgesetz bereitet heimischen Tech-Konzernen Probleme.
Es schützt die Bevölkerung vor Datenkraken-Firmen, nicht vor dem Staat.
Millionenbuße für Ikea: Teure Bespitzelung
Der schwedische Möbelkonzern spähte in Frankreich hunderte Mitarbeiter aus.
Dafür muss Ikea jetzt eine Million Euro Geldbuße zahlen.
Schulen in China: Digital überwacht
China treibt die Digitalisierung seiner Schulen auf die Spitze. Der Grat
zwischen Utopie und Dystopie ist schmal.
Geplatzter Börsengang der Ant Group: Chinas Angst vor dem Finanzrebellen
Jack Ma, reichster Mann Chinas, hat die traditionellen Banken
herausgefordert. Nun stoppt Peking den Börsengang seiner Ant Group.
Firma Zhenhua wertet Social Media aus: China is watching you
Die Firma Zhenhua Data erstellt heimlich Profile wichtiger ausländischer
Persönlichkeiten. In Indien und Australien wird das zum Politikum.
Corona-App in China: Furcht vor bleibender Überwachung
China kontrolliert in der Corona-Pandemie seine Bürger per Smartphone. Nun
wächst die Angst, dass die Bespitzelung Dauerzustand werden könnte.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.