# taz.de -- Sauerstoffmangel in der Coronapandemie: Lateinamerika in Atemnot | |
> In Peru und Kolumbien ist Sauerstoff knapp. Die Industrie hat das Monopol | |
> über die Herstellung. Gesundheitssysteme sind sich selbst überlassen. | |
Bild: Wenn der Staat ausfällt: Sauerstoff für die an Corona erkrankte Mutter … | |
BOGTÁ taz | Seit Monaten stehen Menschen im Morgengrauen in ganz Peru | |
Schlange. Sie wollen Sauerstoffflaschen für ihre erkrankten Verwandten | |
auffüllen lassen. Der Schwarzmarkt boomt. Familien haben sich verschuldet, | |
damit ihre Angehörigen nicht ersticken. Viele sind gestorben, weil sie | |
keinen Sauerstoff bekamen. | |
In Mexiko, Brasilien und Peru ist die Sauerstofflage schon lange kritisch. | |
Zwar hat Peru keinen Präsidenten wie Brasilien, der die Pandemie zum | |
„Grippchen“ verharmlost, dafür aber ein schon vor der Pandemie marodes | |
öffentliches Gesundheitssystem und ein riesiges Problem mit Korruption. | |
Vor der zweiten Welle vergab Peru einen Großauftrag zum Bau von 47 | |
Sauerstoffanlagen an die staatliche Universidad Nacional de Ingeniería | |
(UNI). Bis Februar waren gerade einmal fünf installiert. Kein Wunder – | |
[1][Recherchen des Portals Sudaca belegen], dass die UNI bei der | |
Auftragsannahme sträflich gepfuscht und fachlich nicht qualifiziertes | |
Personal dafür angestellt hatte, nämlich aus dem Dunstkreis von | |
Ex-Präsident Martín Vizcarra. Im März zog der aktuelle Präsident Francisco | |
Sagasti die Reißleine und [2][kündigte den Vertrag mit der UNI]. | |
Weil der Staat ausfällt, sind viele Organisationen der Zivilgesellschaft | |
aktiv geworden. Gemeinden, Kirchen, Betriebe, ganze Dörfer haben Geld | |
gesammelt, um in ihrer Ortschaft oder ihrem Gesundheitsposten eine | |
Sauerstoffanlage einrichten zu können. Die erste [3][spendete die | |
katholische Kirche] für die Amazonashauptstadt Iquitos Sie sammelt weiter. | |
Doch das reicht nicht. 13 Regionen des Landes sind in massiver Gefahr, | |
[4][warnt die Gesundheitsaufsichtsbehörde Superintendencia Nacional de | |
Salud.] | |
## Flaschen oft nicht desinfiziert | |
Peru war lange eines der wenigen Länder, das nur medizinischen Sauerstoff | |
mit einer Reinheit von 99 Prozent erlaubte – was im Land zu einem Monopol | |
der Unternehmen Linde/Praxair und AirProducts geführt hatte [5][und die | |
kleineren Firmen eingehen ließ]. Unter öffentlichem Druck senkte die | |
Regierung diese Anforderung in der Pandemie schließlich [6][auf 93 | |
Prozent], wie vielerorts üblich. | |
Auch in Kolumbien ist die Sauerstoffkrise dramatisch. Die Preise sind trotz | |
der angespannten Situation gleich geblieben. Die Kammer für industrielle | |
und medizinische Gase rief die Kolumbianer*innen auf, nicht auf | |
informelle Händler*innen zurückzugreifen. Oft seien deren Flaschen nicht | |
ausreichend desinfiziert und könnten Covid-19 verbreiten. Außerdem sei | |
Sauerstoff ein verschreibungspflichtiges Medikament, das die Krankenkassen | |
bezahlen und mit dem man sich nur nach ärztlichem Rat behandeln dürfe. | |
Das alles passiert in einer Zeit, in der trotz – oder gerade wegen – des | |
Höhepunkts der dritten Coronawelle seit Ende April Tausende | |
Kolumbianer*innen im ganzen Land auf die Straße gegangen sind und laut | |
Angaben der Nichtregierungsorganisation Temblores [7][mindestens drei von | |
der Polizei erschossen wurden]. Grund für die Proteste ist hauptsächlich | |
die Steuerreform. | |
Das Land steckt in der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte. | |
Bezahlen sollen vor allem die Armen und die Mittelschicht: | |
Kolumbianer*innen, die mehr als 690 Dollar im Monat verdienen, sollen | |
fortan Steuern zahlen. Bis jetzt galt das erst bei einem doppelt so hohen | |
Gehalt. Auch soll die Mehrwertsteuer auf viele Lebensmittel erhöht werden. | |
## Regierung setzt auf Selbstschutz der Menschen | |
Viele beklagen zudem das Missmanagement der Pandemie. Die umgerechnet rund | |
40 Dollar Unterstützung für die Armen reichten nicht, damit diese zu Hause | |
bleiben können, statt arbeiten zu gehen. Die Regierung habe „die | |
Verantwortung auf den Selbstschutz der Bürger*innen abgeschoben und die | |
öffentliche Gesundheitspolitik vernachlässigt“, sagt Carolina Corcho, | |
Vizepräsidentin der kolumbianischen Ärztekammer, in einem Radiointerview. | |
Sie und ihre Kolleg*innen hatten für viele Regionen des Landes | |
vergeblich mindestens zwei Wochen komplette Quarantäne gefordert, um die | |
Ansteckung einzudämmen. Trotz Warnung vor Menschenansammlungen zeigt Corcho | |
Verständnis für die Proteste: „Die Leute gehen auch auf die Straße, weil | |
die Gesundheit der Kolumbianer geopfert wird“, sagt sie. Und: „Diese | |
Steuerreform greift auch das Gesundheitssystem an.“ | |
Mitte April hat das Handelsministerium per Dekret den Zoll auf importierten | |
Sauerstoff aus den USA und Ecuador bis Ende Mai auf null Prozent gesenkt. | |
Doch [8][Ecuador hat den Export verboten], weil der Sauerstoff auch im | |
eigenen Land knapp wird. | |
Einer von fünf Covidkranken braucht medizinischen Sauerstoff. Wenn zu viele | |
Menschen gleichzeitig erkranken, kollabiert das System. So einfach ist die | |
Rechnung, vor allem in ärmeren Ländern. | |
## Das Monopol über die Sauerstoffherstellung | |
Der Bau von Anlagen für flüssigen Sauerstoff ist extrem teuer, [9][erklärt | |
Evan Spark-DePass der BBC]. Normalerweise tätigen diese Investitionen | |
private Firmen. Die müssten sich der Nachfrage sicher sein. 90 Prozent der | |
Produktion so einer Anlage sind deshalb in der Regel Sauerstoff für Stahl- | |
und Chemieindustrie. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass eine private Firma | |
eine Anlage rein für medizinischen Sauerstoff baue. Drei Firmen beherrschen | |
69 Prozent des weltweiten Industriegasmarkts: Air Liquide, Linde und Air | |
Products. | |
Die Direktorin der Panamerikanischen Gesundheitsorganisation (OPS), Carissa | |
F. Etienne, warnte vor Kurzem, dass in der dritten Aprilwoche [10][jeder | |
vierte der Covidtoten weltweit in Lateinamerika] gestorben sei. Die | |
[11][New York Times] spricht sogar von mehr als jedem dritten. | |
Das liege vor allem daran, dass immer mehr junge Menschen erkrankten, die | |
noch keine Impfungen bekommen haben. Außerdem sind immer aggressivere | |
Varianten unterwegs. Die Infektionen steigen besonders in Peru, Bolivien, | |
Argentinien und Uruguay, das [12][lange als lateinamerikanisches | |
Ausnahmeland galt]. Etienne rief Staaten mit überschüssigen Impfstoffen | |
auf, diese an lateinamerikanische Länder zu spenden. | |
2 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://sudaca.pe/noticia/informes/elizabeth-chahuares-la-inexplicable-jefa… | |
[2] https://lalupa.pe/actualidad/sagasti-arrepentido-de-contratar-a-la-uni-para… | |
[3] https://elcomercio.pe/peru/loreto/vicariato-de-iquitos-adquirio-nueva-plant… | |
[4] https://saludconlupa.com/noticias/trece-regiones-tienen-un-riesgo-alto-de-q… | |
[5] https://www.riffreporter.de/de/wissen/corona-pandemie-international-peru-hi… | |
[6] https://www.gob.pe/institucion/minsa/noticias/325742-promulgan-ley-que-gara… | |
[7] https://twitter.com/TembloresOng/status/1388205282384306178?s=20 | |
[8] http://(https://www.metroecuador.com.ec/ec/noticias/2021/04/29/coe-nacional… | |
[9] https://www.bbc.com/mundo/noticias-56853149 | |
[10] https://www.paho.org/es/noticias/28-4-2021-cada-4-muertes-por-covid-19-reg… | |
[11] https://www.nytimes.com/2021/04/29/world/americas/covid-latin-america.html… | |
[12] https://www.bbc.com/mundo/noticias-america-latina-56412203 | |
## AUTOREN | |
Katharina Wojczenko | |
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