# taz.de -- Impfen in Bremer Brennpunkt-Vierteln: Ärzte am Limit | |
> Hausärzt*innen in Bremens armen Quartieren sollen mehr Vakkzine | |
> bekommen. Doch die, die impfen, sind bereits am Limit. | |
Bild: Seit April dürfen niedergelassene Ärzt*innen gegen Corona impfen | |
Bremen taz | Vor dem Freitagsgebet in der Huchtinger Moschee wird es ums | |
Impfen gehen. Der Huchtinger Hausarzt Günther Egidi klärt die Gläubigen | |
über die [1][Covid-Impfungen] auf und warum sie sinnvoll sind. | |
Angeregt hatte dies die Huchtinger Quartiersmanagerin Inga Neumann, die | |
Egidi angerufen hatte, um zu fragen, wie er helfen kann. „Viele Leute hier | |
sind skeptisch“, sagt Neumann, „es ist wichtig, einen persönlichen Zugang | |
zu finden, um Vertrauen zu schaffen.“ Sie habe selbst die Erfahrung | |
gemacht, dass viele sehr offen reagiert hätten, wenn sie mit ihnen über die | |
Impfung sprach. „Von einer Frau weiß ich, dass sie sich jetzt auch hat | |
impfen lassen, obwohl wir vorher eine heftige Diskussion hatten.“ | |
Neumann vermutet, dass die Skepsis mit mangelhaften Informationen zu tun | |
hat. Möglich sei aber auch, dass die Impfungen als etwas vom Staat | |
Verordnetes wahrgenommen würden. „Hier leben viele Menschen, die nie | |
gefragt werden, aber jetzt werden sie mal wieder aufgefordert, etwas zu | |
tun.“ | |
Oft genug hat sich der Blick in der Pandemie auf die Brennpunkt-Stadtteile | |
gerichtet, [2][in denen die Infektionsraten besonders hoch sind]. Die | |
Diskussion gab es im vergangenen Jahr während der zweiten Welle schon | |
einmal, gerade geht es wieder los. Im Herbst ging es in erster Linie darum, | |
dass sich viele Menschen in beengten Wohnverhältnissen ansteckten und um | |
Beschäftigte, die sich nicht ins Homeoffice zurückziehen können. | |
Aktuell kommt die Sorge hinzu, dass gerade dort, wo sich viele Menschen | |
infizieren, die Impfbereitschaft zu niedrig ist. Huchting hat laut | |
Gesundheitsbehörde nach Gröpelingen die zweithöchste Inzidenz bremenweit. | |
Am Donnerstag meldeten sich sowohl die Grünen- als auch die SPD-Fraktion | |
mit Pressemitteilungen zu Wort, in denen sie Vorschläge machen, wie das | |
Problem zu lösen sei. Die Grünen wollen „die Betriebsärzt*innen im | |
Niedriglohnsektor einbinden“ und wie die SPD „die kultursensible | |
Aufklärungsarbeit“ ausweiten sowie „mobile Impfteams“ losschicken. | |
## Niemand weiß, welche Praxen impfen | |
Zuvor hatten sowohl „buten und binnen“ als auch der Weser-Kurier über die | |
hohen Inzidenzen in den Bremer Brennpunktvierteln berichtet. Beide hatten | |
Hajo Zeeb, Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Präventionsforschung | |
und Epidemiologie zitiert. Dieser hatte angeregt, „die ärmeren Wohngegenden | |
mit hohen Corona-Infektionszahlen bei der Vergabe von Impfdosen zu | |
bevorzugen“. | |
Das Problem ist nur, dass niemand weiß, wer in den Stadtteilen überhaupt | |
impft, nicht einmal die kassenärztliche Vereinigung, bestätigt deren | |
Sprecher Christoph Fox. Das liegt daran, dass die Praxen, die sich seit | |
April neben den Impfzentren mit Impfstoff beliefern lassen können, ihre | |
Daten anonymisiert an die kassenärztliche Bundesvereinigung melden, die | |
wiederum die Zahlen ans Robert-Koch-Institut weitergibt, das daraus das | |
tagesaktuelle Impfquotenmonitoring erstellt. | |
Patient*innen müssen sich daher selbst bei ihren Hausärzt*innen nach | |
einem Termin erkundigen. Oder darauf warten, dass sie vom Impfzentrum | |
angeschrieben werden, wenn sie an der Reihe sind. Manche telefonieren sich | |
auch quer durch die Stadt, bis sie jemanden gefunden haben. Einige | |
Hausarztpraxen impfen auch schon Angehörige der Priorisierungsgruppe 3. | |
Dazu zählen „Personen, bei denen aufgrund ihrer Arbeits- oder | |
Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Risiko einer Infektion mit dem | |
Coronavirus besteht“. | |
Das bedeutet, dass die Hausärzt*innen in den armen Vierteln aktuell mehr | |
potenzielle Impflinge haben, die keine Einladung durch das Impfzentrum | |
bekommen, weil diese Arbeits- oder Lebensbedingungen nicht erfasst werden | |
können, anders als Berufs- oder Altersgruppen. Zudem gibt es in diesen | |
Stadtteilen mehr Menschen mit Vorerkrankungen, die ebenfalls bevorzugt | |
geimpft werden sollen. | |
Denn Armut hat schon vor Corona das Krankheitsrisiko erhöht. Das zeigt der | |
Blick auf das Sterbealter: So wird nach einer Auswertung des statistischen | |
Landesamts ein Mann in Oberneuland durchschnittlich 81,3 Jahre alt, in | |
Lüssum hingegen nur 76,2 Jahre. Insofern könnten die Praxen in den | |
Brennpunkt-Vierteln – wenn man wüsste, wer sie sind – tatsächlich mehr | |
Impfstoff gebrauchen. | |
## Praxen in Brennpunkt-Vierteln sind ausgelastet | |
Nur: Diejenigen, die jetzt schon in den abgehängten Stadtteilen impfen, | |
sind gut ausgelastet. Günther Egidi hat am Mittwoch 68 Personen in seiner | |
Praxis in Mittelshuchting immunisiert, seine in Gröpelingen niedergelassene | |
Frau [3][Heike Diederichs] hatte 84 Personen zum Impftermin einbestellt. | |
Mehr schaffe sie nicht, schreibt sie der taz. | |
Die Überlastung einzelner Praxen liegt nicht daran, dass die „Arztpraxen | |
ungleich über unsere Stadt verteilt“ sind, wie die SPD-Fraktion vermutet, | |
jedenfalls nicht die Hausarztpraxen. Tatsächlich kommen in Gröpelingen und | |
Huchting sogar unterdurchschnittlich viele erwachsene Einwohner*innen | |
auf eine Hausärztin. 992 sind es in Gröpelingen, 982 in Huchting. In der | |
östlichen Vorstadt sind es 1.179 und in Schwachhausen 1.404. Das zeigt das | |
Online-Verzeichnis der kassenärztlichen Vereinigung auf Stadtteilebene. | |
Aber: Die Facharztdichte ist in den reichen Vierteln sehr viel höher als in | |
den armen, sodass die Hausärzt*innen dort Patient*innen behandeln, | |
die in anderen Stadtteilen direkt die Facharztpraxis aufsuchen. | |
So wie niemand weiß, welche Praxen impfen, gibt es auch keinen Überblick | |
darüber, wer geimpft wird, ob also die vom Robert-Koch-Institut festgelegte | |
Impfreihenfolge in den Praxen eingehalten wird. Bis April, als nur die | |
Impfzentren die Vakzine vergaben, bekam das Robert-Koch-Institut die | |
Information, aufgrund welcher Indikation jemand geimpft wurde. | |
Daran ließ sich zum Beispiel erkennen, [4][dass in Bremen | |
überdurchschnittlich viele Menschen] aufgrund ihres Berufs geimpft wurden | |
und nicht, weil ihr Risiko besonders groß war, schwer an Corona zu | |
erkranken. Seitdem die niedergelassenen Ärzt*innen mitimpfen, gibt es nur | |
noch die Meldung, ob jemand unter oder über 60 Jahre alt ist. | |
Der Sprecher der kassenärztlichen Vereinigung in Bremen, Christoph Fox, | |
sagte der taz, dies sei im Sinne der Ärzt*innen, die sonst zu viel Aufwand | |
mit der ohnehin schon umfangreichen Dokumentation hätten. „Es ist jetzt | |
wichtig, schnell möglichst viele zu impfen“, sagt er. | |
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels stand | |
fälschlich, dass „Personen mit prekären Arbeits- oder Lebensbedingungen“ | |
zur Priorisierungsruppe 3 zählen. Diese Formulierung ist einer veralteten | |
Übersicht der kassenärztlichen Bundesvereinigung zu den | |
Priorisierungsgruppen entnommen. Richtig ist, dass „Personen, bei denen | |
aufgrund ihrer Arbeits- oder Lebensumstände ein deutlich erhöhtes Risiko | |
einer Infektion mit dem Coronavirus besteht“, zur Priorisierungsgruppe 3 | |
gehören. | |
1 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Entwicklung-in-Coronapandemie/!5763548 | |
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[3] /Hausaerztin-ueber-Corona-im-Brennpunkt/!5742836 | |
[4] /Pandemiebekaempfung-in-Bremen/!5757245 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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