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# taz.de -- Wahlkrimi in Peru: Auf der Kippe
> Kurz vor Ende der Auszählung liegt der „Kommunist“ Pedro Castillo ganz
> knapp vorn. Seine rechte Widersacherin Keiko Fujimori spricht von
> Wahlbetrug.
Bild: Lima am Mittwoch: für Pedro Castillos Anhänger steht längst fest, dass…
Lima taz | Peru erlebt seit Sonntagnacht einen Wahlkrimi ohnegleichen: Wird
der linke Lehrer [1][Pedro Castillo] oder die neoliberale [2][Keiko
Fujimori] das Andenland regieren? Seit am Sonntagabend die ersten
Hochrechnungen erschienen, ist mal der eine und mal die andere an erster
Stelle, jeweils mit hauchdünnem Abstand.
Viele Peruaner kleben an ihrem Handy und warten auf die halbstündliche
Aktualisierung der Auszählung auf der [3][Webseite der Wahlbehörde ONPE].
Bei 96,4 Prozent der ausgezählten Stimmzettel schien sich am frühen
Dienstagmorgen Pedro Castillo mit 50,29 Prozent der Stimmen als Sieger
herauszukristallisieren.
Für Castillos Anhänger steht längst fest, dass Castillo der nächste
Präsident wird. Vor dem Haus der Lehrergewerkschaft in der historischen
Altstadt von Lima warten Hunderte von Menschen auf die neuesten Zahlen.
Fliegende Händler verkaufen Devotionalien, peruanische Flaggen, Mützen. Und
überall ein gelber Bleistift, das Parteisymbol für den „Profe“ (Lehrer).
Dazwischen noch die eine oder andere Mütze mit der Aufschrift „Rusia“, ein
Überbleibsel vom [4][Auftritt der peruanischen Fußballnationalmannschaft
bei der WM in Russland] vor drei Jahren.
Vom Balkon singt die Sängerin Martina Portocarrero „Flor de Retama“, ein
bekanntes Volkslied in Erinnerung an die Opfer eines Massakers. Einige
Wochen vorher hatten rechte Fernsehkommentatoren das Lied als
Terroristenlied verunglimpft. Im Wahlkampf haben Perus Mainstreampresse und
das Fernsehen eine unrühmliche Rolle gespielt. Die Medien ergriffen Partei
für Keiko Fujimori und schürten die Angst, dass bei einem Sieg Pedro
Castillos Peru wahlweise dem Terrorismus, dem Kommunismus oder dem
Chavismus anheimfallen würde.
Dass der vor den Wahlen völlig unbekannte Lehrer aus dem Dorf Tacabamba in
Nordperu gegen diese mediale und wirtschaftliche Übermacht nun gewinnen
könnte, ist ein kleines Wunder. Oder es ist ein Ausdruck der tiefen
Sehnsucht vieler Peruaner auf einen Neuanfang in der Politik, ohne
Korruption und mit einem „wie ihnen“ am Ruder.
„Ich habe für Pedro Castillo gestimmt, weil er Schluss machen wird mit den
Wucherzinsen der Banken, und weil er neue Verträge mit den internationalen
Unternehmen aushandeln wird“, sagt Augusto Salcedo. Der 56-jährige
Staatsangestellte ist mit seiner Frau vom anderen Ende Limas angereist und
wartet seit zwei Stunden auf die Ergebnisse. Auch er hat, wie die meisten
Peruaner, Covidtote in seiner Familie zu beklagen. „Mein Bruder ist
gestorben, weil es keinen Sauerstoff gab“, berichtet Salcedo erzürnt.
Die schmerzliche Erfahrung so vieler Peruaner, angesichts der Pandemie nur
auf sich selbst gestellt zu sein, hat das sowieso schon große Misstrauen
gegenüber dem Staat und der politischen Klasse verstärkt. In keinem anderen
Land der Welt hat Covid-19 nach amtlichen Angaben so viele Opfer in
Relation zur Bevölkerung gefordert.
## Die Stimmung ist friedlich – noch
Erste Feuerwerke steigen am Himmel auf. Die Stimmung ist friedlich. Aber
sie könnte sehr schnell kippen, sollte die Wahlbehörde ONPE doch noch Keiko
Fujimori zur Wahlsiegerin ausrufen. „Wenn die ONPE betrügt, dann werden wir
protestieren. Und nicht nur hier in Lima, sondern im ganzen Land“, sagt
Augusto Salcedo und stellt klar, dass er nur eine Wahl zugunsten von
Castillo akzeptieren wird.
Keiko Fujimori, die momentane Verliererin, gibt derweil eine
Pressekonferenz und klagt Castillos Partei des Wahlbetrugs an. Es seien
zuviele Stimmen abgegeben worden und an den Wahltischen sei es zu
Unregelmäßigkeiten gekommen. Am Ende ruft sie die Bevölkerung dazu auf,
beobachtete Regelverstöße zu melden.
Für Keiko Fujimori steht viel auf dem Spiel. Sollte sie die Wahl verlieren,
bedeutet dies nicht nur das Ende ihrer politischen Karriere, sondern sehr
wahrscheinlich auch einen Gerichtsprozess wegen Geldwäsche und Bildung
einer kriminellen Vereinigung.
Es gäbe keinerlei Anzeichen für Wahlbetrug, sagt Adriana Urrutia von der
Nichtregierungsorganisation Transparencia im Interview mit der Zeitung El
Comercio. Die Organisation führt seit Jahren unabhängige Wahlbeobachtungen
durch und ist eine von allen Seiten anerkannte Referenz in Sachen Wahlen.
Im reichen Stadtteil Miraflores ist alles ruhig. Niemand protestiert oder
feiert. Hier haben 84 Prozent für Keiko Fujimori gestimmt. Die Wahl äußert
sich hier auch per Banküberweisung: Einige sollen ihr Geld und ihre
Geschäfte bereits ins Ausland gebracht haben, um sie vor dem „Kommunismus“
zu retten.
8 Jun 2021
## LINKS
[1] /Praesidentschaftskandidat-in-Peru/!5760882
[2] /Korruptionsverfahren-in-Peru/!5660759
[3] https://www.onpe.gob.pe/
[4] /Gruppe-C-letzter-Spieltag/!5516542
## AUTOREN
Hildegard Willer
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Peru
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Schwerpunkt Coronavirus
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