| # taz.de -- Game-Expertin über die Spiele der Nazis: „Eine Gamefizierung von… | |
| > Computerspiele boomen – was Rechtsradikale geschickt ausnutzen. Die | |
| > Gamerszene muss sich eindeutiger von ihnen distanzieren, fordert Veronika | |
| > Kracher. | |
| Bild: Im Fokus rechter Propaganda: Jugendliche, die ihre Freizeit mit Computers… | |
| Laut „Game“, dem Verband der deutschen Games-Branche, spielen mittlerweile | |
| mehr als 40 Prozent der Deutschen regelmäßig Computerspiele. Das Klischee | |
| vom Nerd im Jugendzimmer hat also ausgedient, Eltern zocken inzwischen | |
| genauso viel wie ihre Kinder. Dieser kulturelle Wandel macht das Feld der | |
| Computerspiele auch interessant für Rechte aller Couleur. | |
| Nicht zuletzt durch den [1][Terroranschlag von Halle] steht die Gamer-Szene | |
| im Fokus: Attentäter Stephan B. hatte auf der Spieleplattform „Steam“ | |
| mehrfach über seine rechtsradikalen Ansichten Zeugnis abgelegt und seinen | |
| Anschlag auf eine Synagoge wie einen Gaming-Live-Stream inszeniert. Die | |
| kritische Aufarbeitung dieser Entwicklung steht erst am Anfang. Das bewegt | |
| auch Veronika Kracher, die bei der Initiative „Keinen Pixel den Faschisten“ | |
| mitmacht. | |
| taz: Veronika Kracher, vergangenes Jahr wurde das Spiel „Heimat Defender“ | |
| wenige Wochen nach der Einführung indiziert. In dem Spiel kämpfen Neonazis | |
| als Helden in Antifazonen. Figuren wie [2][Björn Höcke] und der Identitäre | |
| Martin Sellner sind Avatare. Wie kam das an? | |
| Veronika Kracher: Das Spiel selbst wurde belächelt. Es war leicht als | |
| plumpe Propaganda zu durchschauen, obwohl vordergründing nur Interessierte | |
| in der Gaming-Community angelockt werden sollten. Es scheint aber, dass | |
| dabei Metapolitik im Fokus stand. Kalkül war, dass das Spiel von den | |
| Verkaufsplattformen genommen wird und Medien negativ darüber berichten. | |
| Schlechte Publicity trat dann ein und stützte das Narrativ, das auch im | |
| Spiel selbst vertreten wird: Es behauptet, wir leben in einer | |
| Meinungsdiktatur und niemand darf mehr öffentlich Kritik üben. | |
| Bei Nazi-Musik hat man in den letzten Jahren einen neuen Trend gehört: | |
| Während in den Neunzigern Rechtsrock benutzt wurde, um Fans derselben | |
| Ideologie auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören, versucht man inzwischen, | |
| mit Nazi-Rap von Protagonisten wie Chris Ares eine hippe, unpolitische | |
| Klientel anzusprechen. Ist das vergleichbar mit der Strategie hinter | |
| „Heimat Defender“? | |
| Musik und Game ergänzen sich. Es bleibt festzuhalten, dass die | |
| Radikalisierung nach rechts heute generell online stattfindet. Über | |
| Imageboards wie 4chan und 8kun und Meme-Kultur ist die Anwerbung sehr | |
| niedrigschwellig geworden. Gerade gruppenbezogener Menschenhass, | |
| Antifeminismus und Queerfeindlichkeit lassen sich als Bezugspunkte auch in | |
| Computerspiele einbauen. Im Fall von „Heimat Defender“ gab es Karikaturen | |
| von queeren Menschen als Feindbilder zu bekämpfen. Dass es dennoch nicht | |
| klar als „Nazi-Spiel“ zu erkennen ist, sondern locker-lustig solche Themen | |
| verhandelt, ist dabei ein Türöffner: Interessierte sollen nicht | |
| abgeschreckt werden. Bereits Indoktrinierte sollen mit allerlei Referenzen | |
| und Witzen bei Laune gehalten werden. | |
| Bei der Diskussion über Computerspiele gibt es eine Fixierung auf Shooter, | |
| auf Spiele also, in denen die Lösung mit Waffen herbeigeführt wird. Was | |
| kommt heraus, wenn man so zwischen guten und bösen Spielen auf einer | |
| oberflächlichen Ebene debattiert? | |
| Die Killerspieldebatte, wie sie nach dem Amoklauf in Erfurt 2002 | |
| entbrannte, ist eine Stellvertreterdiskussion. Damit lässt sich | |
| vortrefflich vermeiden, über gesellschaftlich relevante Probleme zu | |
| sprechen. Statt zu schauen, warum Spieler:Innen sich dieser fiktiven | |
| Erfahrung von Gewalt zuwenden, dämonisiert man diese per se. | |
| Das ist zu simpel; die Alternative wäre meines Erachtens die Erkenntnis, | |
| dass Ballern sehr viel mit der Kapitalismus-inhärenten Ohnmachts- und | |
| Entfremdungserfahrung zu tun hat. Darüber will aber niemand reden. Generell | |
| ist es gerade für Journalist*innen und Politiker*innen, die wenig mit | |
| Computerspielen zu tun haben, einfacher, über die Form zu reden und nicht | |
| über den Inhalt. Das schwächt die Kritik leider. | |
| Nun hat sich die Killerspieldebatte in Folge des Terroranschlags von Halle | |
| gewandelt. Heute stehen nicht allein die Spiele im Fokus, sondern der ganze | |
| Lifestyle. Der Attentäter hat den Anschlag live ins Internet ausgespielt | |
| und reale Gewalt wie eine herkömmliche Computerspiel-Erfahrung kommentiert. | |
| Wenn man über Stephan B. redet, fällt ein neuer Attentäter-Typus auf. Ich | |
| nenne ihn Do-it-yourself-Attentäter. Er lässt sich als Ausdruck der rechten | |
| Idee eines „führerlosen Widerstands“ verstehen. Typen wie B. werden | |
| vornehmlich online radikalisiert und sind kein Teil einer organisierten | |
| rechten Struktur wie beim NSU und der Atomwaffen-Division. Sie agieren | |
| dennoch nicht allein, dahinter steht eine Onlinecommunity, die ihre Taten | |
| anfacht und sich radikalisiert – es findet eine regelrechte Verehrung von | |
| Mördern wie Anders Breivik statt. Der Norweger Breivik ist der Heilige | |
| dieser Onlinecommunity, der diese neue Form begründet hat. | |
| Dazu findet auch eine Gamifizierung von Terror statt, die von den | |
| Erfolgslogiken inspiriert ist. Der Attentäter von Halle hatte sich zum | |
| Beispiel eine Liste von Achievements, also von angestrebten Zielen, | |
| angelegt. Das dient aber nicht nur dem Selbstzweck, sondern ist, worauf | |
| auch Klaus Theweleit hinweist, ein Werkzeug von Dehumanisierung. Seine | |
| Opfer als Zahlen und nicht als Menschen darzustellen vereinfacht oder | |
| ermöglicht erst die Tötung. | |
| Hat die Gamer-Szene also ein Rechtsextremismus-Problem? | |
| Nein, das lässt sich so nicht sagen. Aber es ist eindeutig, dass die | |
| Distanzierung der Szene von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und | |
| Rechtsextremismus mangelhaft ist. | |
| Wie könnten Lösungsansätze aussehen? Ist es ein Problem von Medien, dass | |
| Computerspiele in Print, im Fernsehen und bei den großen Onlineplattformen | |
| immer nur dann erwähnt werden, wenn es einen Skandal oder gar Straftaten | |
| gibt? | |
| Was meines Erachtens keine Lösung wäre, was in der Debatte um Spiele seit | |
| mindestens 20 Jahren aber dennoch immer wieder gewünscht wird, ist die | |
| behördliche Überwachung. Wir wissen nicht erst seit dem NSU, dass so etwas | |
| in Deutschland nicht funktioniert. Ob es hilft, wenn Computerspiele mehr in | |
| der Öffentlichkeit stattfinden, kann ich nicht einschätzen. | |
| Eindeutig kann ich aber sagen, dass es wichtig wäre, innerhalb der | |
| Gaming-Community – auch gegen alle Widerstände – Aufmerksamkeit für das | |
| rechtsradikale Problem zu erzeugen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit | |
| darf nicht geduldet werden und müsste mit Ausschluss bestraft werden. Da | |
| hakt es ganz gehörig. | |
| Woher kommt das? | |
| Die Methoden der Rechten sind geschickt: Sie testen mit Memes und | |
| (Pseudo-)Humor stets das Wasser und schauen, wer mitzieht. Wer sich dagegen | |
| wehrt und darauf verweist, dass ein rassistischer Witz nicht okay ist, wird | |
| schnell als Spielverderber:In geoutet. Das Argumentieren gegen Hass | |
| wird dann problematisiert. Eine Methode, die wir ja auch aus der | |
| Parteipolitik kennen. | |
| Mit der Folge? | |
| Dass Frauen, Menschen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind, | |
| diese Räume dann meiden. Für die Rechten sind homosoziale Räume das Ziel. | |
| Hier kann jeder, der nicht dazu gehört, dann als nichtzugehörig und gar als | |
| Feind markiert werden. | |
| Sie sind Teil des zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses „Keinen Pixel | |
| den Faschisten“. Was verbirgt sich hinter dieser Initiative? | |
| Es ist eine Gemeinschaft aus Spieler:Innen, Entwicklerstudios, | |
| Medienschaffenden und Forscher:Innen. Wir versuchen gemeinsam ein | |
| Gegengewicht darzustellen und aufzuklären. Auf unserer Homepage gibt es | |
| Informationen und Stellungnahmen; etwa eine lange Aufarbeitung von | |
| Gamergate (so wird der sexistische Shitstorm von 2014 gegen weibliche | |
| Beschäftigte in der US-Spiele-Industrie genannt. Er gilt als Geburtsstunde | |
| der Vereinnahmung der Games-Community durch Rechte). | |
| Die Beteiligten wollen die Beißreflexe der Szene aushebeln und klar machen: | |
| Es ist nicht okay, rassistische Witze zu machen. Da muss die Community | |
| mitziehen. | |
| 1 May 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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