# taz.de -- Rebelleneinmarsch aus Libyen: Der neue Krieg um Tschad | |
> Tschadische Rebellen sind aus Libyen heraus bis nahe der Hauptstadt | |
> Ndjamena vorgerückt. Die Blitzoffensive gefährdet Frankreichs | |
> Sahel-Strategie. | |
Bild: In Rebellenhand: Zouar im Norden Tschads | |
TUNIS taz | Im Tschad hatten am 11. April gerade die Wahllokale | |
geschlossen. Die Bewohner der Oasenstadt Wour im äußersten Norden strömten | |
auf die Märkte, um sich mit Lebensmitteln für den am nächsten Tag | |
beginnenden Ramadan einzudecken. Nach dem Kriegsende in Libyen sollte der | |
diesjährige Fastenmonat eine Atempause werden, trotz der wahrscheinlich | |
sechsten Amtszeit des in Nordtschad unbeliebten Präsidenten Idriss Déby. | |
Doch sich aus Libyen nähernde Staubwolken beendeten die Hoffnungen. | |
Wenige Stunden später hatten Kämpfer der Rebellenallianz [1][FACT (Front | |
pour l’Alternance et le Concorde au Tchad – Front für Wandel und Eintracht | |
im Tschad)] die 30.000-Einwohner-Oase und dazu die Orte Zouarke und Zouar | |
erobert. Ihr Konvoi aus 400 Toyota Pick-ups hat die Machtbalance in wenigen | |
Tagen auf den Kopf gestellt. | |
Die Kämpfer seien in brandneuen Jeeps und Uniformen eingerückt, berichten | |
Bewohner aus Wour der taz am Telefon. Tschads Regierungssprecher Cherif | |
Mahmat Zene bestätigte in der Hauptstadt Ndjamena, dass die Angreifer am | |
11. April gegen 18 Uhr ohne Widerstand die Grenze aus Libyen überschritten | |
hätten. | |
Seitdem nähern sie sich täglich der 1.300 Kilometer entfernten Hauptstadt | |
Ndjamena. Am Samstag, dem 17. April erreichten Rebellenkolonnen die Provinz | |
Kanem direkt nordöstlich der Hauptstadt. Videos zeigen die Einnahme der | |
Stadt Mao, weniger als 300 Kilometer von Ndjamena entfernt. | |
Zwar meldete Tschads Regierung am Samstag, den Rebellenvorstoß | |
zurückgeschlagen zu haben. Doch riegelten zugleich Militäreinheiten die | |
Hauptstadt ab, und am Sonntag wurde der Einsatz französischer | |
Kampfflugzeuge gemeldet, um den tschadischen Regierungstruppen zu Hilfe zu | |
kommen – wie bereits mehrfach in der Vergangenheit. | |
## Freunde der russischen Wagner-Gruppe | |
Diesmal haben die Rebellen einen starken Verbündeten. Libysche Militärs | |
berichten, dass die kilometerlange FACT-Kolonne vor drei Monaten aus dem | |
Ort Sukna in den zentrallibyschen „schwarzen Bergen“ aufgebrochen sei. | |
Unweit von Sukna in Libyen sind die russischen Wagner-Söldnertruppen | |
stationiert, die zusammen mit Truppen des Feldmarschalls Chalifa Haftar, | |
sudanesischen Söldnern und ägyptischen Spezialisten zwei Jahre lang | |
versuchten, aus Ostlibyen heraus die libysche Hauptstadt Tripolis | |
einzunehmen und in Libyen die Macht zu übernehmen. | |
Die tschadischen FACT-Kämpfer waren nach Aussagen des | |
Menschenrechtsaktivisten Hamsa El Nahja bei Haftars Allianz dabei. Sie | |
wurden in Gharian gesichtet, Haftars Hauptquartier im Westen Libyens, und | |
rückten von dort in mehrere Hauptstadtbezirke ein. | |
Auch [2][nach Haftars Niederlage] im vergangenen Sommer, geschuldet dem | |
Eingreifen türkischer Militärs auf Seiten der Regierung in Tripolis, | |
schützten rund ein Dutzend moderne russische Mig-29-Jets weiterhin Wagner | |
und die Söldner aus den Nachbarländern in Zentrallibyen. Sie sind auf dem | |
Flughafen Dschufra stationiert, den FACT-Kämpfer gegen Angriffe des in der | |
Region operierenden „Islamischen Staates“ (IS) schützen. | |
Der politische Beobachter Younis Issa vermutet, dass FACT von Wagner | |
ausgerüstet und trainiert worden ist. Toubou-Militärkommandeure bestätigen | |
der taz Militärtraining durch „europäische“ Spezialisten in Sukna. | |
Verlagert sich nun also der Libyenkrieg nach Tschad? Das von den | |
Volksgruppen der Toubou und Touareg bewohnte Dreiländereck zwischen Libyen, | |
Tschad und Niger ist eine der entlegensten Regionen des Planeten und doch | |
entscheidend für die Kontrolle der gesamten Sahara. | |
Die Ausläufer des bis zu 3.500 Meter hohen Tibesti-Gebirges sind seit dem | |
Zusammenbruch der staatlichen Strukturen in Libyen ein [3][Magnet für | |
Goldschürfer], Schmuggler und Migranten auf dem Weg nach Europa. Nun steht | |
Tibesti im Visier der sich in Libyen gegenüberstehenden neuen Großmächte | |
auf dem afrikanischen Kontinent – Türkei, Russland, Katar, Frankreich, | |
China und die Vereinigten Arabischen Emirate. | |
[4][In Tschad stehen französische Soldaten und Kampfjets], das Land ist | |
Frankreichs wichtigster militärischer Verbündeter in der Region. Kurz vor | |
Tschads Wahlen waren französische und tschadische Kommandos in Wour, dessen | |
Luftwaffenbasis der von Paris zusammengeschmiedeten | |
[5][G5-Sahel-Militärallianz] dienen soll – ein Zusammenschluss von Truppen | |
aus Mauretanien, Burkina Faso, Mali, Niger und Tschad zum gemeinsamen Kampf | |
gegen islamistische Rebellen. | |
## Hier kämpfte schon einmal Frankreich gegen Libyen | |
Der gut vorbereitete FACT-Angriff ist ein Rückschlag für die französische | |
G5-Sahel-Strategie. Younis Issa betont, dass die FACT mit Zouar praktisch | |
den Norden Tschads kontrolliere. In dem zwischen Libyen und dem Tschad | |
lange umstrittenen Aouzou-Grenzstreifen wurde in den letzten Jahrzehnten | |
enorme Mengen Gold gefunden, zudem Uran und seltene Erden. | |
In den 1970er und 1980er Jahren führte der Gebietsanspruch des libyschen | |
Diktators Muammar Gaddafi auf Aouzou zum fast zehnjährigen „Toyota-Krieg“, | |
bei dem sich Frankreich und Libyen im Tschad direkt bekämpften. Der | |
damalige libysche Oberbefehlshaber war General Haftar. Er verlor | |
schmählich. | |
Tschadische Toubou-Soldaten schweißten damals mangels schwerer Waffen | |
einfach Maschinengewehre auf ihre Pick-ups und verjagten die mit den | |
neuesten russischen Waffen kämpfenden Libyer. | |
In der Neuauflage des Toyota-Krieges durch FACT sieht Younis Issa | |
allerdings keine Revanche des mit der Niederlage vor Tripolis zum zweiten | |
Mal gedemütigtem Haftar, sondern den russischen Versuch, Déby unter Druck | |
zu setzen. Der seit 1990 regierende tschadische Präsident solle wohl seine | |
Unterstützung für Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik überdenken, | |
deren Regierung militärisch von Russland unterstützt wird, glaubt Issa. | |
## „Débys Zeit ist abgelaufen“ | |
Unabhängig davon ist der FACT-Vorstoß für Déby die größte Gefahr seit | |
Jahren. Younis Issa hat in den letzten Tagen mit wichtigen Anführern aller | |
Volksgruppen im Tschad und Libyen gesprochen. „Sie sind sich alle einig, | |
dass die Zeit von Déby abgelaufen ist. Aber einen Krieg wollen vor allem | |
die Toubou nicht. Denn ein Chaos wie nach dem Sturz Gaddafis in Libyen | |
würde vor allem die Islamisten stärken.“ | |
Issa war bis 2014 Kulturminister in Tripolis und fürchtet, dass Tschad ein | |
Libyen-Szenario droht: „Stammesdenken, Korruption, Waffen aus Libyen und | |
Flüchtlinge – eine explosive Situation auch für Europa.“ | |
In den schwarzen Bergen rund um das zentrallibysche Sokna, von wo sich der | |
FACT-Konvoi auf den Weg machte, sichten Durchreisende immer wieder kleine | |
IS-Gruppen. Unter ihnen vermuten deutsche Ermittler auch einen Kontaktmann | |
von [6][Anis Amri], der Tunesier, der im Dezember 2016 einen Terroranschlag | |
auf dem Breitscheidplatz in Berlin verübtet. | |
Während des Attentates sprach Amri mit einem IS-Mann aus Sokna. Wenige | |
Wochen später bombardierten die USA dort mutmaßliche IS-Lager. „Seitdem hat | |
Europa die Gegend wieder vergessen“, wundert sich Younis Issa. | |
18 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de-de.facebook.com/pg/LeFACT/posts/ | |
[2] /Krieg-in-Libyen/!5693952 | |
[3] /Konflikt-um-Goldvorkommen/!5550286 | |
[4] https://fr.wikipedia.org/wiki/Base_a%C3%A9rienne_172_Fort-Lamy | |
[5] https://www.g5sahel.org/ | |
[6] /Das-Netzwerk-von-Anis-Amri/!5595838 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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