# taz.de -- Demokratie in der Krise: Wider die Autokratien | |
> Die Demokratie gerät zunehmend unter Druck. Ein globales Bündnis aus | |
> Politik und Zivilgesellschaften sollte Autokratien die Stirn bieten. | |
Bild: Ein als Ex-Präsident Trump verkleideter Demonstrant in Gefängniskleidun… | |
Während die Welt mit dem Coronavirus ringt, gerät die Demokratie unter | |
Druck. Laut dem Forschungsprojekt V-Dem hat sich 2020 eine globale | |
Autokratisierungswelle beschleunigt und das globale Demokratieniveau ist | |
auf das Level von 1990 gesunken. Dieses düstere Bild wird von anderen | |
Studien bestätigt. | |
Die in den USA ansässige [1][Stiftung Freedom House] berichtet, dass die | |
globale Freiheit 2020 zum fünfzehnten Mal in Folge abnahm, und der | |
[2][Economist verzeichnete in seinem Demokratie-Index] den schlechtesten | |
Zustand seit Beginn der Bewertungen in 2006. Autoritäre Regierungen machten | |
sich die Pandemie zunutze, um nicht nur die Opposition im eigenen Land zu | |
unterdrücken, sondern sich zunehmend auch jenseits ihrer Grenzen | |
einzumischen. | |
Für eine wirksame Gegenstrategie der bestehenden Demokratien könnte ein | |
gemeinsamer Club entscheidend sein. Als der [3][frühere US-Außenminister | |
Mike Pompeo] im vergangenen Jahr eine Allianz der Demokratien ins Spiel | |
brachte, war die Glaubwürdigkeit der Trump-Regierung schon lange an einem | |
Tiefpunkt angelangt. | |
Trumps populistische „America First“-Ideologie, seine Missachtung der | |
Demokratie, seine Bewunderung autokratischer Herrscher und zuletzt sein | |
Versuch, das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen zu kippen, haben | |
massiven Schaden angerichtet. Nun aber könnte sich das Blatt wenden. | |
[4][US-Präsident Joe Biden] hat versprochen, in seinem ersten Amtsjahr | |
einen globalen „Gipfel für Demokratie“ auszurichten, wo die Weichen | |
gestellt werden könnten. | |
## Biden plant Demokratie-Gipfel | |
In einer vorläufigen nationalen Sicherheitsstrategie heißt es, dass die | |
Umkehrung des antidemokratischen Trends in der Welt für die nationale | |
Sicherheit der USA wesentlich sei. Der Außenbeauftragte der Europäischen | |
Union, [5][Josep Borrell], meint, dass die EU ihre Zusammenarbeit „mit | |
anderen Demokratien vertiefen sollte, um dem Aufstieg des Autoritarismus | |
entgegenzuwirken“. Ein neuer [6][EU-Aktionsplan] räumt der | |
Demokratieförderung hohe Priorität ein. | |
Großbritannien will die Mitgliedschaft der Gruppe der Sieben (G7), | |
bestehend aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, | |
Kanada und die USA, um Australien, Indien und Südkorea erweitern, um einen | |
sogenannten „D10“-Club der Demokratien zu bilden. Dabei ist nicht | |
ersichtlich, warum es bei diesen zehn Ländern bleiben sollte. | |
In der Bewertung von V-Dem ist auch Indien in die Kategorie einer | |
Wahlautokratie gerutscht, und bei Freedom House wird das Land nur noch als | |
„teilweise frei“ angesehen. Sogar Frankreich, Italien und die USA werden im | |
Economist-Index als „mangelhafte Demokratien“ eingestuft. Der Club sollte | |
für alle Staaten offen sein, die ähnlich oder besser bewertet werden. Eine | |
rote Linie darf nur in Bezug auf solche Länder gezogen werden, die | |
eindeutig autoritär regiert werden. | |
Die G7 ist aber auch wegen eines Mangels an Legitimität und Transparenz | |
heftig in die Kritik geraten und deshalb kein guter Ausgangspunkt. Zudem | |
fehlen ein ständiges Sekretariat und eine formale Struktur. Stattdessen | |
könnte die seit 2000 bestehende Gemeinschaft der Demokratien aufgewertet | |
werden. Mit Ausnahme von Australien, Deutschland und Frankreich gehören | |
alle „D10“-Länder bereits zu ihren 29 Mitgliedstaaten. | |
## Mehr als ein Club ist nicht nötig | |
Es leuchtet nicht unmittelbar ein, warum parallel eine weitere Gruppierung | |
gebildet werden sollte. Der Blick muss sich auch selbstkritisch nach innen | |
richten. Wie Biden feststellte, ist die Erneuerung der Demokratie im | |
eigenen Land eine Voraussetzung dafür, um in der internationalen | |
Demokratieförderung wieder mehr Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Umfragen | |
zeigen, dass große Mehrheiten weiterhin an die Demokratie glauben. Trotzdem | |
besteht große Unzufriedenheit darüber, wie sie in der Praxis funktioniert. | |
Die Regierungen werden als unfähig wahrgenommen, Probleme wie Korruption | |
oder Ungleichheit anzugehen und die Bedürfnisse der einfachen Menschen in | |
den Mittelpunkt zu rücken. Die Stürmung des US-Kapitols durch einen | |
rechtsgerichteten Mob am 6. Januar veranlasste Außenminister Heiko Maas, | |
einen „gemeinsamen [7][Marshallplan für die Demokratie]“ zu fordern. Es sei | |
notwendig, „den Wurzeln der sozialen Spaltung in unseren Ländern auf den | |
Grund zu gehen“. | |
Die Frage, wie die Demokratie nach innen und außen verteidigt und gestärkt | |
werden soll, kann nicht den Regierungen allein überlassen werden. Es ist | |
eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Biden will zu dem Demokratie-Gipfel | |
auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft einladen. Ein Club | |
der Demokratien sollte weitergehen und ein beratendes offenes Netzwerk | |
zivilgesellschaftlicher Organisationen unterhalten. Darüber hinaus ist es | |
wichtig, demokratisch gewählte Parlamentarier einzubeziehen. | |
Der Club sollte daher auch ein globales Netzwerk von Abgeordneten aus | |
demokratischen Parteien organisieren, das zudem demokratischen | |
Oppositionellen aus autoritär regierten Staaten offensteht. Schließlich | |
könnte der Club auch eine transnationale Bürgerversammlung einberufen, um | |
Empfehlungen zu erarbeiten. Auf nationaler Ebene gibt es gute Beispiele für | |
dieses Format. | |
Nach außen sollte der Club nicht nur die Demokratieförderung koordinieren, | |
sondern für eine gemeinsame wertebasierte Politik sorgen, einschließlich | |
abgestimmter Sanktionen bei groben Menschenrechtsverletzungen. Ganz | |
besonders müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um den Einfluss | |
autokratischer Staaten innerhalb der Vereinten Nationen zurückzudrängen. | |
Der Club der Demokratien kann zudem nur glaubwürdig sein, wenn er sich auch | |
für mehr Demokratie in globalen Institutionen einsetzt. Die Einrichtung | |
einer Parlamentarischen Versammlung bei den UN und das Instrument einer | |
[8][Weltbürgerinitiative] bieten dafür Möglichkeiten. | |
12 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://freedomhouse.org/ | |
[2] https://www.economist.com/graphic-detail/2021/02/02/global-democracy-has-a-… | |
[3] /Letzte-Amtshandlung-von-Mike-Pompeo/!5742014 | |
[4] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-bams/2434146 | |
[5] https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/91479/node/91479_… | |
[6] https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/new-push-european-d… | |
[7] /Heiko-Maas-Marshallplan-fuer-die-USA/!5738810 | |
[8] /Zivilgesellschaft-und-UNO/!5642308 | |
## AUTOREN | |
Andreas Bummel | |
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