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# taz.de -- Kriminologin über Sicherheit von Frauen: „Die Angst ist da“
> Über raumgreifenden Gang und vergessene Opfer: die Hamburger Kriminologin
> Pamela Kerschke-Risch über den Weg zu einem öffentlichen Raum ohne Angst.
Bild: Für viele Frauen noch weit entfernt: das Gefühl im öffentlichen Raum s…
taz: Was würde den öffentlichen Raum für Frauen sicherer machen, Frau
Kerschke-Risch?
Pamela Kerschke-Risch: Das ist schon einmal eine spannende Frage: Warum
muss ein öffentlicher Raum [1][für Frauen sicher] sein – das heißt ja schon
implizit, dass Frauen sich dort in einer unsichereren Lage befinden als
Männer. Natürlich ist das subjektive Sicherheitsgefühl größer, wenn es
nicht zu angsteinflößenden Situationen kommt: Das bedeutet
klassischerweise, es ist dunkel, es ist eine einsame Bahnunterführung. Da
kann eine bessere Beleuchtung ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Wobei dann
nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass der öffentliche Raum dann
sicherer ist.
Warum nicht?
Das soll ein subjektives Sicherheitsgefühl vermitteln. Wir kommen dann aber
zu dem Punkt, dass der öffentliche Raum objektiv gar nicht so gefährlich
für Frauen ist. Wenn es um sexualisierte Gewalt und sexuelle Übergriffe
geht, besteht die größte Gefahr immer im häuslichen Umfeld.
Gleichzeitig sind wir darauf angewiesen, unserem alltäglichen Umfeld zu
vertrauen und lagern die Angst nach draußen aus.
Das kann durchaus sein. Wir gehen davon aus, dass, wer Opfer einer Straftat
wird, eine gewisse Mitschuld hat, das liegt in der Vorstellung einer
gerechten Welt. Wenn also eine Frau Opfer eines sexuellen Übergriffs
geworden ist, kommt häufig etwas wie: Sie ist selber schuld, weil sie
alleine abends durch den Park gegangen ist oder weil sie leicht angetrunken
war.
Ist das nicht der Diskurs, der zunehmend hinterfragt wird?
Genau. Die spannende Frage ist: Was macht das mit Mädchen und Frauen, wenn
sie so sozialisiert werden? Es ist immer noch in den meisten Köpfen, dass
Frauen oder Mädchen besonders schützenswert sind. Darin manifestiert sich,
dass wir ein Geschlechter- und ein Machtungleichgewicht haben: Frauen
werden in der Öffentlichkeit vielfach noch – unbewusst – als das schwäche…
Geschlecht wahrgenommen.
Rein körperlich stimmt das ja in der Regel.
Wenn Frauen Opfer werden, dann sind sie nicht nur körperlich schwächer,
sondern sie sind auch diejenigen, die im öffentlichen Raum weniger
raumgreifend sind als Männer. Ich habe das gerade mit Studierenden
diskutiert: Obwohl ich mir als Studierende der Kriminologie bewusst bin,
dass Sozialisation eine große Rolle spielt, ist im Kopf: Ich muss mich im
öffentlichen Raum schützen, ich habe Pfefferspray dabei oder eine
Handy-App. Da ist das Gefühl: Ich könnte Opfer werden.
Obwohl die Gefahr de facto ja gering ist, zumindest was Vergewaltigung und
Tötung anbelangt.
Die Anzahl der Morde nimmt kontinuierlich ab und die Gefahr, aus dem
Hinterhalt vergewaltigt und ermordet zu werden, geht statistisch gegen
null. Aber die Angst ist da und wird durch Sozialisation und Medien
vermittelt.
Spielt bei den Frauen die Erfahrung mit, durch Blicke, Pfiffe, Anmache
immer wieder zum Objekt gemacht zu werden?
Auf jeden Fall. Ich agiere nicht, ich reagiere. Und das ist so
internalisiert, dass es gar nicht mehr reflektiert wird. Es gibt
Selbstverteidigungskurse, körperlich und verbal – so etwas wird nicht für
Männer angeboten.
Ändert sich da nicht allmählich das Bewusstsein?
Frauen werden sich dieses Machtungleichgewichts immer stärker bewusst, das
zeigt auch die #MeToo-Debatte. Das klassische Beispiel ist, dass – man mag
es kaum glauben – erst seit 1997 die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe
steht.
Noch einmal zum öffentlichen Raum: Wie können Frauen da ganz konkret
raumgreifender werden?
Wichtig sind eine selbstbewusste Körperhaltung und selbstbewusstes
Auftreten, sich nicht klein machen, auch im übertragenen Sinn. Dabei können
flankierende Maßnahmen wie eine bessere Beleuchtung, ein Handtaschenalarm
oder Selbstverteidigungstechniken durchaus einen indirekten Einfluss auf
das Auftreten haben. In dem Moment, in dem sich eine Person sicherer fühlt,
wird sie auch sicherer auftreten. Darüber hinaus sollten sogenannt typisch
weibliche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum diskutiert werden. Dies
fängt schon beim Ausweichen auf schmalen Wegen an: Wer geht zur Seite? Wir
wissen von der Forschung zu sexuellen Übergriffen: Das ist normalerweise
nicht die aufgebrezelte Frau in High Heels. Es sind oft Frauen, denen es in
diesem Moment schlecht geht, Frauen, die schon einmal Opfer waren.
Der Begriff Opfer ist inzwischen ambivalent, weil er mit Schwäche und
Passivität verbunden wird. Bei Initiativen wie #reclaimthesestreets
scheint das Agieren ganz bewusst im Vordergrund zu stehen.
Der Opferbegriff ist ein zentraler Punkt. Was heißt es, wenn ich mich
selbst als Opfer bezeichne, bringe ich mich da in eine passive Rolle? Wäre
es besser, den Begriff Betroffene zu benutzen? Das ist auch in der
Kriminologie nicht eindeutig. Mir ist er zu neutral.
Wann glauben Sie, werden Ihre Studentinnen die Frage nach Angst von Frauen
im öffentlichen Raum nicht mehr verstehen, weil sie sie nicht kennen?
Es wird noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis wir in einer
so geschlechteregalitären Welt leben. Was wir dabei nicht vergessen dürfen:
Es gibt noch viele andere, viele Homosexuelle und Transpersonen, die Opfer
von sexueller Gewalt werden – die werden in der Öffentlichkeit kaum
wahrgenommen. Das lässt sich medial nicht so gut vermarkten.
5 Apr 2021
## LINKS
[1] /Nach-dem-Mord-an-Sarah-Everard/!5760260
## AUTOREN
Friederike Gräff
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Feminismus
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Kriminologie
taz-Serie Sexuelle Gewalt
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