| # taz.de -- Maria 2.0 zu Kirche und Machtstrukturen: „Es wäre eine freundlic… | |
| > Lisa Kötter von Maria 2.0 wünscht sich ein Ende des Machtmißbrauchs in | |
| > der Katholischen Kirche. Ein Gespräch über Kardinal Woelki und das System | |
| > Rom. | |
| Bild: Aktivistinnen von Maria 2.0 schlagen Thesen an die Kirchentüre des Mainz… | |
| taz am wochenende: Frau Kötter, was hat Ihre vorösterliche Stimmung mehr | |
| getrübt: Die Vorstellung des Missbrauchsgutachtens in Köln oder die | |
| Weigerung des Papstes, auch homosexuelle Paare zu segnen? | |
| Lisa Kötter: Beides ist im gleichen Garten auf dem gleichen unheilvollen | |
| Kompost gewachsen. Die Ablehnung, die Liebe zwischen zwei Menschen zu | |
| segnen, ist anmaßend und widerspricht dem, was ich aus der Frohen Botschaft | |
| des Jesus von Nazareth verstanden habe: dass die Liebe auf der Welt der | |
| sichtbare Segen eines bedingungslos liebenden Gottes ist. Gott hat jede | |
| Liebe gesegnet, auch die zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. | |
| Sie sehen den Papst, im römisch-katholischen Glauben immerhin der | |
| Stellvertreter Gottes auf Erden, im Widerspruch zu Jesus? | |
| Ganz deutlich. Von Rom aus zu bestimmen, was Gott angeblich nicht gutheißt | |
| – und dies mit dem Titel „Responsum ad dubium“, also „Antwort auf einen | |
| Zweifel“ –, was ist das anders als eine Machtgeste? Ähnlich [1][das | |
| autoritäre Gebaren von Kardinal Woelki] in Köln: Er allein entscheidet, ein | |
| [2][Gutachten über Missbrauchsfälle] nicht zu veröffentlichen, er lässt | |
| sich von Advokaten bescheinigen, keine Fehler gemacht zu haben. Doch was | |
| ist mit seinem moralischen Versagen, was damit, dass er als Teil und | |
| [3][Stütze einer Institution Menschen nachhaltig retraumatisiert] hat? | |
| Maria 2.0 hat sich vor zwei Jahren als innerkirchliche Reformbewegung | |
| gegründet. Vor Kurzem haben Sie in einer Protestaktion sieben Thesen an | |
| Kirchentüren angeschlagen – für eine „zukunftsfähige, geschwisterliche u… | |
| vielgestaltige Kirche“. Was verstehen Sie darunter? | |
| In diesen Thesen haben wir dieselben Themen aufgegriffen, die wir schon | |
| 2019 in unserem Brief an den Papst formuliert haben. Es ist eine Aufzählung | |
| dessen, was in unseren Augen schiefläuft in der römischen Kirche. Die nennt | |
| sich die Kirche Jesu Christi, doch sie hält dieses Versprechen nicht. Dabei | |
| denke ich nicht nur an sexuellen Missbrauch. Sondern daran, dass die | |
| [4][Kirche Frauen, die schwanger werden], seit Jahrhunderten in lebenslange | |
| unglückliche Ehen zwingt. Und wenn diese Frauen zum Priester gehen, weil | |
| sie es nicht mehr aushalten, bekommen sie gesagt: „Das ist das Kreuz, das | |
| du zu tragen hast.“ Diese [5][Kirche bringt Leid für viele Menschen]. Und | |
| viele sehen das. Als wir den Zeitpunkt zum Thesenanschlag im Netz | |
| verbreitet haben, waren nach einer Stunde schon über 1.000 Kirchentüren | |
| damit behängt. Sie sind Klage und Sehnsucht in einem. | |
| Aber ist die Kontrolle über die Lebensführung des Einzelnen nicht der | |
| Wesenskern der katholischen Kirche? Wenn dieselbe Institution, die | |
| Ehescheidung, Verhütung und Sex vor der Ehe verboten hat, plötzlich sagen | |
| würde: „Lebt, wie ihr wollt“ – was bliebe dann noch von ihr? | |
| Dieser Wesenskern, den die Kirche nach außen nie zugegeben hat, entblößt | |
| sich gerade: in Rom und in Köln. Das römische System ergeht sich in | |
| narzisstischen Selbstbespiegelungen, die Mächtigen sind schamlos und | |
| bemerken es nicht einmal mehr. Man kommt sich vor wie bei einer Aufführung | |
| von „Des Kaisers neue Kleider“: Alle sehen, dass der Kaiser nackt ist, aber | |
| niemand wagt, es zu sagen. | |
| Manche versuchen es. In Köln errichteten Betroffene eine satirische | |
| Skulptur auf dem Domplatz: Ein Bischof schläft in einer Hängematte, die | |
| zwischen abgebrochene Kreuze gespannt ist. Darauf steht: „11 Jahre | |
| schonungslose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle“. Hätte es für Sie etwas | |
| geändert, wenn Woelki zurückgetreten wäre? | |
| Das hätte letztlich keinen Unterschied gemacht. Kardinal Woelki ist selbst | |
| nur ein Symbol für das System Rom. Es war richtig, dass Leute wie | |
| Schwaderlapp gehen mussten … | |
| … der Kölner Weihbischof, dem im Gutachten Fehlverhalten im Umgang mit | |
| missbrauchenden Bischöfen nachgewiesen wurde … | |
| Allerdings sind diese Herren nur vorläufig freigestellt, bis zu einer | |
| Entscheidung aus Rom. Das sind Handlungen, die wichtig sind, aber sie | |
| ändern nichts am System. | |
| Hat es Sie nicht hoffnungsvoll gestimmt, dass Kardinal Woelki bei der | |
| Vorstellung des neuen Gutachtens selbst von einem System gesprochen hat? | |
| Ja, er hat gesagt, das System funktioniere nicht. Und im nächsten Satz | |
| nannte er als Beispiel, dass Akten falsch oder unvollständig abgelegt | |
| worden seien. Mit „System“ meint Woelki nicht etwa die hierarchische | |
| Monarchie, die Sexualmoral, die Fixierung auf ein sehr enges | |
| Reinheitsverständnis. Nein, Herrn Woelki geht es um korrekte Aktenführung! | |
| Er kann und will den Kern der Kritik nicht verstehen, denn dieses römische | |
| System ist schließlich sein Leben. Er ahnt wohl, dass grundsätzlich etwas | |
| nicht stimmt, deshalb greift er die Rede vom System auf, um sie dann in | |
| eine Nebelkerze zu verwandeln: Ach, ich verstehe, die Akten sind schlecht | |
| geführt. | |
| Sie sprechen vom System Rom – zweifeln sie die spirituelle Führungsmacht | |
| des Vatikans an? | |
| Maria 2.0 geht es um Selbstermächtigung. Die Macht der Kirchenoberen | |
| beruht darauf, dass sie den Menschen immer erzählt haben, der Zugang zu | |
| Gott funktioniere nur über sie. Und das glauben wir schon lange nicht mehr. | |
| War die evangelische Kirche, die ganz ohne Papst und Vatikan auskommt, je | |
| eine Alternative für Sie? | |
| Wenn Sie denken, es gebe keinen Machtapparat in der evangelischen Kirche, | |
| dann unterhalten Sie sich mal mit einer Pfarrerin! Das wäre, wie vom Regen | |
| in die Traufe zu kommen. Nein, die Leute, die sich derzeit von der römisch | |
| verfassten Kirche abwenden, sind suchende, freie Menschen auf dem Weg. Sie | |
| wollen sich hinwenden zur revolutionären Botschaft des Jesus von Nazareth. | |
| Wie würde eine Kirche ohne Machtstrukturen aussehen, wäre das [6][eine | |
| Kirche der Laien]? | |
| Zuerst einmal wäre das eine Kirche, die sich mit den Verletzten und | |
| Schwachen auf die Erde legt und sich wirklich ihren eigenen Fehlern | |
| aussetzt. Und sich dann irgendwann aufhelfen lässt, auf Augenhöhe mit den | |
| Leuten. Es wäre eine freundliche Kirche, die sich eine demokratische | |
| Verfassung gibt und die den Menschen vertraut. Das aber kann die römische | |
| Kirche nicht, hier hat der Verrat schon vor 1.400 Jahren stattgefunden. Und | |
| ein Teil des Verrats ist die Aufteilung in Laien und Kleriker. | |
| Sie haben die Hoffnung auf eine Reform von innen aufgegeben? | |
| Ich werde noch in diesem Jahr austreten. In den letzten Jahren habe ich so | |
| viel Schamlosigkeit und Machtmissbrauch mitbekommen, dass ich schon allein | |
| aus Gewissensgründen dieser Körperschaft öffentlichen Rechts mein Geld | |
| entziehen muss. Meinen Glauben behalte ich natürlich und lasse ich mir | |
| nicht absprechen. Ich bin und bleibe getaufte Christin – auch bei Maria 2.0 | |
| werde ich mich weiter engagieren. Und wenn ich mich so umhöre, dann geht es | |
| vielen so. Ich habe mit alten Ordensfrauen gesprochen, die gesagt haben: | |
| Wenn ich nicht so existenziell abhängig wäre von diesem Lebensmodell, dann | |
| würde ich heute noch austreten. | |
| Wie werden Sie Ihr vermutlich letztes Osterfest in der römisch-katholischen | |
| Kirche begehen? | |
| Ich bin traurig darüber, dass ich pandemiebedingt keine Osternacht in | |
| meiner Gemeinde mitfeiern werde. Diese ist mir die liebste Liturgie im | |
| Kirchenjahr: Wenn das Licht weitergegeben wird und die Dunkelheit erhellt, | |
| während die Gemeinde zusammen „Lumen Christi“ singt, dann spürt man, was | |
| die römische Kirche kann: wunderbare Bilder erzeugen. Aber seit Corona da | |
| ist, halte ich mich von Gottesdiensten in Kirchen fern. Auch aus | |
| Solidarität mit denen, die sich einschränken müssen, während die | |
| Glaubensgemeinschaften weiter Messe feiern können. | |
| 4 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
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