| # taz.de -- Betroffenensprecher über Missbrauch: „Woelki ist Teil eines Syst… | |
| > Der katholischen Kirche und Kölns Erzbischof mangelt es im | |
| > Missbrauchsskandal an Aufklärungswillen, sagt Betroffenensprecher | |
| > Matthias Katsch. | |
| Bild: Protest vor dem Kölner Dom gegen die Bischofskonferenz und deren Umgang … | |
| taz am wochenende: Herr Katsch, Sie kämpfen seit elf Jahren für die Opfer | |
| sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche – seit dem Beginn des | |
| Skandals in Deutschland 2010 mit den [1][Enthüllungen am Berliner | |
| Canisius-Kolleg]. Erleben wir derzeit so etwas wie ein Endspiel? | |
| Matthias Katsch: Nein, das ist ein Langstreckenlauf. Wir erleben aber | |
| gerade eine neue Phase. Allmählich verlieren die Öffentlichkeit und auch | |
| Menschen in der Politik die Geduld mit der katholischen Kirche. | |
| Es wird immer deutlicher, dass die meisten Bischöfe in Deutschland über | |
| Jahre eine Aufklärung nur simuliert oder verschleppt haben. Was hat Ihnen | |
| Kraft gegeben, trotzdem immer weiterzumachen, immer wieder in all diesen | |
| Jahren Gerechtigkeit für die Betroffenen einzufordern? | |
| Es ist eine Gemengelage. Ich habe viele Menschen in der Kirche | |
| kennengelernt, die tatsächlich versuchen, Aufklärung und Aufarbeitung auf | |
| den Weg zu bringen. Aber letztlich geht es hier um Machtmissbrauch in einer | |
| Institution, die problematische Machtverhältnisse hat, die Missbrauch | |
| begünstigt haben. Deshalb kann Aufarbeitung nur gelingen, wenn wir die | |
| Institution nicht selber machen lassen, sondern immer wieder Rechenschaft | |
| einfordern. Mir hat geholfen, dass ich auf dem Weg einfach viele Verbündete | |
| gefunden habe. In Deutschland, aber auch international. Die | |
| Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt ist ja ein Phänomen, das inzwischen | |
| global diskutiert wird, die Betroffenengruppen haben angefangen, sich zu | |
| formieren. Und dann sieht man, unsere Lage hier in Deutschland ist | |
| gesellschaftlich betrachtet hervorragend, was die Bereitschaft zum Hinhören | |
| und Hinsehen angeht – wenn ich das mit europäischen Nachbarländern, | |
| Lateinamerika, Afrika oder Asien vergleiche. | |
| Auch die katholischen Laien haben sich erst in den letzten Monaten | |
| glaubhaft und nachdrücklich auf die Seite der Opfer gestellt – hat Sie das | |
| enttäuscht? | |
| Da hätte ich mir tatsächlich früher stärkere Signale gewünscht. Oft hatte | |
| ich das Gefühl, die Laien betrachten die Missbrauchskrise als ein Problem | |
| der Bischöfe. Das verweist auf die starre hierarchische Ordnung der | |
| katholischen Kirche, die auch Teil des Problems ist. Auch Katholikinnen und | |
| Katholiken schimpfen auf die „Amtskirche“. Viele sind ausgetreten, aber | |
| immer mehr setzen sich auch dafür ein, dass sich Dinge ändern, und erklären | |
| sich mit den Opfern solidarisch. Das bewegt mich dann auch. | |
| Wie erklären Sie es sich, dass nach dem ersten Entsetzen über den Skandal | |
| 2010 der Aufklärungswille bei den Bischöfen und auch bei den Laien ganz | |
| offensichtlich erlahmt ist? | |
| Das Interesse der Öffentlichkeit insgesamt hat natürlich nachgelassen. Vor | |
| allem die Politik hat sich viel zu lange rausgehalten und gedacht: Wir | |
| haben einen Unabhängigen Beauftragten, da gab es doch mal einen Runden | |
| Tisch. Also ist das Problem irgendwie erledigt. Erst die Veröffentlichung | |
| der MHG-Studie 2018 hat das wieder geändert. | |
| Also der Studie, die den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch | |
| katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im | |
| Verantwortungsbereich der Deutschen Bischofskonferenz erfassen sollte. | |
| Genau. Nur hatten wir zu dem Zeitpunkt aber schon acht Jahre dafür | |
| gearbeitet, dass nun endlich Betroffene wahrgenommen werden. Die | |
| Betroffenen hatten nach 2010 kaum Unterstützung, um sich besser zu | |
| organisieren und zu vernetzen. Das hätte den Unterschied gemacht. 2018 war | |
| das anders. | |
| Haben da auch die Medien eine Schuld: Sind sie über Jahre nicht hartnäckig | |
| bei dem Thema gewesen? | |
| Ich weiß, dass manche Chefredaktion auch mal gesagt hat, „Ach, bitte nicht | |
| schon wieder das Thema Missbrauch. Darüber haben wir doch schon so viel | |
| gebracht.“ Aber viele Journalist*innen sind drangeblieben und haben | |
| nicht nachgelassen. Das war für die Betroffenen wichtig und hat geholfen, | |
| den Druck immer wieder aufzubauen. Das Versagen der Kirchenleitungen hat | |
| auch verlässlich immer neuen Stoff geliefert. | |
| Nach der großen MHG-Studie über die sexualisierte Gewalt in der | |
| katholischen Kirche war schnell klar, dass das erst der Anfang sein kann | |
| und bald alle 27 Bistümer Einzelstudien zur sexualisierten Gewalt liefern | |
| müssten – mit der Nennung von Namen von Verantwortlichen. Jetzt liegen ein | |
| paar Einzelstudien vor. Die Ergebnisse sind aber meist sehr dürftig. Der | |
| Eindruck ist: Die Vertuschung geht weiter. Oder sind Sie da gnädiger? | |
| Ohne Öffentlichkeit, ohne klare Signale des Parlaments wird das ein ganz | |
| schwieriger Weg. Wir haben in Deutschland keine geeigneten Instrumente, auf | |
| die wir für die Aufarbeitung zurückgreifen können. Andere Länder haben | |
| Untersuchungskommissionen eingesetzt, sogenannte Royal Commissions. Wir | |
| machen das ehrenamtlich und freiwillig. Wir brauchen jetzt endlich auch den | |
| politischen Willen, aufzuklären, auch Namen zu nennen, Akten vollständig | |
| zugänglich zu machen und aufzuarbeiten. Sonst versandet auch der gute | |
| Wille, den es ja gibt in der Institution, gegen die Kräfte der Beharrung, | |
| die zäh Widerstand leisten. | |
| Sie fordern schon länger, dass nur eine unabhängige Untersuchung der Akten, | |
| vielleicht von staatlicher Seite, eine schonungslose Aufklärung bringen | |
| kann. Sehen Sie für diese Idee eine Mehrheit unter den Bischöfen – und | |
| genug Druck von Seiten der Politik? | |
| Es gibt ein Konzept, das vereinbart wurde mit dem Unabhängigen Beauftragten | |
| und den Bischöfen. Damit es wirklich funktioniert und auch die Orden | |
| einbezogen werden, braucht es eine politische Rahmung. Das, was wir mit | |
| „Wahrheitskommission“ bezeichnet haben: ein Gremium, vom Parlament | |
| eingesetzt, das den Aufarbeitungsprozess begleitet, kontrolliert, dass die | |
| Dinge auch eingehalten werden, zu denen man sich verpflichtet hat, und auch | |
| Mittel bereitstellt, um professionell zu arbeiten. Der Beauftragte mit | |
| seinem kleinen Stab, die ehrenamtlichen Kommissionen in 27 Bistümern, die | |
| 400 Ordensgemeinschaften, die sind ohne Mittel überfordert. | |
| [2][Der Kölner Kardinal Woelki] hält die Studie über sein Erzbistum zurück, | |
| angeblich wegen methodischer Mängel. Nun will er am 18. März eine neue, | |
| angeblich bessere Studie vorlegen. Glauben Sie ihm noch ein Wort? | |
| Ich glaube, er ist Teil eines Systems, das dort in Köln entstanden ist in | |
| den vergangenen Jahrzehnten. Und diesem System und seinen Repräsentanten | |
| muss die Aufarbeitung aus der Hand genommen werden. Da müssen unabhängige | |
| Aufklärer ran, mit politischer Unterstützung. Woelki selbst ist zur | |
| Belastung geworden für den Willen zur Aufarbeitung in der katholischen | |
| Kirche. | |
| Fast alle katholischen Laien und selbst viele Bischöfe wünschen sich | |
| offenbar, dass Woelki zurücktritt. Haben Sie da Hoffnung? | |
| Er wäre nur ein Repräsentant eines Systems. Sein Rücktritt wäre ein | |
| wichtiges Signal, aber es würde nicht wirklich das System grundlegend | |
| verändern. | |
| Immer wieder hört man in letzter Zeit auch von ernst zu nehmenden | |
| Fachleuten die Analyse: So hat die Kirche keine Zukunft, in 20 Jahren wird | |
| sie sich völlig verändert haben – oder sie wird in Deutschland nicht mehr | |
| sein. Finden Sie das schlüssig? | |
| Ich glaube, ohne ein Update für die Neuzeit, das die menschenrechtliche | |
| Entwicklung, die Demokratisierung der letzten 200 Jahre aufholt, hat die | |
| Kirche als Institution keine Chance. | |
| Manche Bischöfe meinen, die Kirchen hierzulande gingen in der Aufarbeitung | |
| der sexualisierten Gewalt de facto voran – andere gesellschaftliche | |
| Bereiche lägen noch weit zurück. Ist das eine Schutzbehauptung? Wo sehen | |
| Sie den größten Aufklärungsbedarf in Sachen sexualisierte Gewalt? | |
| Die Kirchen bieten viel Angriffsfläche auch für Aufarbeitungsprojekte. | |
| Soziale Bewegungen wie das pädosexuelle Netzwerk der 70er Jahre in Berlin | |
| und in Deutschland sind viel schwerer aufzuklären und aufzuarbeiten. | |
| Sexuelle Gewalt in der Familie bleibt die große Herausforderung. Wir dürfen | |
| uns nie damit abfinden, dass Kinder und Jugendliche auch heute noch | |
| sexueller Gewalt ausgesetzt sind. | |
| 26 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Canisius-Kolleg/!t5022330 | |
| [2] /Deutsche-Bischofskonferenz/!5750530 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
| ## TAGS | |
| katholisch | |
| sexueller Missbrauch | |
| Kardinal Woelki | |
| Katholische Kirche | |
| Katholische Kirche | |
| Katholizismus | |
| Katholische Kirche | |
| Katholische Kirche | |
| Katholische Kirche | |
| Kardinal Woelki | |
| Kardinal Woelki | |
| sexueller Missbrauch | |
| Kindesmissbrauch | |
| Kardinal Woelki | |
| Bischofskonferenz | |
| Kardinal Woelki | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Sexualisierte Gewalt und Kirche: „Die haben Mauern hochgezogen“ | |
| Ein Fall von sexueller Belästigung im Bistum Limburg wirft die Frage auf. | |
| Wie ernst nimmt es Bischof Georg Bätzing mit der Aufarbeitung? | |
| Maria 2.0 zu Kirche und Machtstrukturen: „Es wäre eine freundliche Kirche“ | |
| Lisa Kötter von Maria 2.0 wünscht sich ein Ende des Machtmißbrauchs in der | |
| Katholischen Kirche. Ein Gespräch über Kardinal Woelki und das System Rom. | |
| Kölner Missbrauchsgutachten: Weiterer Bischof beurlaubt | |
| Nach dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem Kölner Weihbischof | |
| Dominikus Schwaderlapp zog nun ein dritter Bischof Konsequenzen. | |
| Das Woelki-Gutachten: Wenig überzeugend | |
| Das Missbrauchsgutachten aus Köln liefert bei Weitem nicht die | |
| Erkenntnisse, die eine umfassende Aufarbeitung braucht. Es ist allenfalls | |
| ein Anfang. | |
| Gutachten zu Missbrauchsfällen in Köln: Persilschein für Kardinal Woelki | |
| Das Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche entlastet | |
| den Kölner. Belastet wird sein Hamburger Kollege Stefan Heße. | |
| Gutachten zu Missbrauch in Bistum Köln: Woelki entlastet, Heße belastet | |
| Kardinal Reiner Maria Woelki kommt im neuen Gutachten zu Missbrauchsfällen | |
| in Köln gut weg. Schwere Vorwürfe werden gegen andere Bischöfe erhoben. | |
| Missbrauch im Bistum Köln: Gutachten bei Staatsanwaltschaft | |
| Am Donnerstag wird ein neues Gutachten zu Missbrauchsfällen im Bistum Köln | |
| vorgestellt. Der Kardinal Rainer Maria Woelki steht unter massivem Druck. | |
| Deutsche Bischofskonferenz: Woelkis menschliches Versagen | |
| Kardinal Woelki hält das Gutachten über die sexualisierte Gewalt zurück. | |
| Die Kirche schuldet den Opfern eine schonungslose Aufklärung. | |
| Deutsche Bischofskonferenz: Zum ersten Mal eine Frau | |
| Die Theologin Beate Gilles wird neue Generalsekretärin der deutschen | |
| Bischofskonferenz. Ein „starkes Zeichen“, findet der Vorsitzende der | |
| Männerrunde. | |
| Junge Frau über ihre Bindung zur Kirche: „Ich bin Feministin und katholisch�… | |
| Was hält junge Frauen noch in der katholischen Kirche? Wut und Hoffnung, | |
| sagt die Politologin Daniela Ordowski. Sie macht sich für Reformen stark. |