# taz.de -- Lithium-Förderung in Spanien: Ein Loch für Strom | |
> Lithium steckt in jedem E-Auto. Eine Firma will das Element in einer der | |
> ärmsten Regionen Spaniens aus der Erde holen – sehr zum Ärger der | |
> Bewohner. | |
Bild: Schön hier. Aber wie schaut es aus, wenn hier ein 800 Meter tiefes Loch … | |
Cáceres taz | Ich konnte es nicht glauben“, erinnert sich Manolo Sánchez an | |
jenen Tag im Juni 2017, als Arbeiter, die Korkrinde ernteten, Alarm | |
schlugen. „Da seien ein paar Männer mit Maschinen weiter unten auf meinem | |
Gelände und würden Bäume fällen und Sträucher entfernen“, erzählt der | |
71-jährige pensionierte Lehrer. Er schaute nach dem Rechten. Die | |
Eindringlinge erklärten ihm, dass sie die Genehmigung besäßen, um hier | |
Probebohrungen vorzunehmen und nach Lithium zu suchen. | |
Sánchez erkundigte sich: „Es stimmte tatsächlich, aber nur zum Teil“, sagt | |
er. San José Valdeflórez, so der Name des Konsortiums der australischen | |
Bergbauunternehmens [1][Infinity Lithium] und des spanischen Baukonzerns | |
Sacyr, das hinter den heimlichen Arbeiten steckte, hatte die Genehmigung | |
erhalten, um die Wege eines alten, in den 1970ern stillgelegten | |
Zinnbergwerks zu nutzen. Das galt aber nur auf dem Nachbargelände, das der | |
ehemaligen Betreiberfirma gehört, auf seinem Gelände natürlich nicht. | |
Sánchez informierte die Nachbarn, die verstreut in den Hügeln unweit der | |
Stadt Cáceres leben. Sie stießen auf Pläne für eine riesige Lithiummine, | |
die das Idyll der [2][Sierra de la Mosca] in eine Industrielandschaft | |
verwandeln soll. Die Bürgerinitiative mit dem Namen „Retten wir die Berge | |
von Cáceres“ entstand. | |
Heute hat Sánchez Besuch von Montaña Chaves. Die 52-jährige | |
Berufsschullehrerin besitzt hier draußen ebenfalls ein Häuschen und ist | |
Sprecherin der Protestbewegung. Die beiden sitzen im Garten über Karten | |
gebeugt, auf denen das ganze Ausmaß des Projekts zu erkennen ist. | |
## Das Loch soll 800 Meter tief werden | |
„Klar gab es hier einst Bergbau, aber es waren ein paar Stollen und ein | |
paar Gebäude“, erinnert sich Sánchez, der in seiner Kindheit mit dem | |
Nachwuchs der Minenarbeiter spielte. Was jetzt geplant ist, habe damit | |
nichts zu tun. Es soll ein Loch mit bis zu 800 Metern Durchmesser und | |
mehreren hundert Metern Tiefe entstehen. Weiter unten plant das Konsortium | |
eine Anlage zur Aufbereitung des Erzes und Platz für Abwässer und Abraum. | |
Insgesamt sollen in 30 Jahren über 53 Millionen Tonnen Gestein bewegt | |
werden, um rund 360.000 Tonnen Lithium zu gewinnen. Das Unternehmen | |
verspricht dabei Investitionen von 300 Millionen Euro. | |
„Die Sierra de la Mosca ist das wichtigste Naherholungsgebiet für die | |
Menschen aus Cáceres“, sagt Montaña Chaves zur Erklärung, warum ihr Kampf | |
gegen die Mine in der Gegend so populär ist. Außerdem sei die | |
100.000-Einwohner-Stadt, gleich hinter der Hügelkette, die einzige | |
Großstadt Spaniens ohne einen Fluss. „Das Wasser versickert hier in den | |
Untergrund aus Kalkgestein und tritt dann wieder in Quellen und Lagunen | |
hervor“, weiß Chaves. Der Tagebau könnte das fragile Gleichgewicht der | |
städtischen Trinkwasserversorgung durcheinanderbringen. | |
„Unser Gelände würde fast völlig verschwinden“, sagt Sánchez. Ihm und | |
seinen Geschwistern gehören rund 100 Hektar mit fünf Häusern und | |
Stallungen, die ihre Eltern nach und nach aufgekauft haben, als viele | |
Nachbarn in den 1950ern und 1960ern emigrierten. „Ich wollte schon als Kind | |
genau hier neben dieser riesigen Kiefer ein Haus bauen und habe es | |
schließlich getan“, sagt er. Der Blick über die bewaldete Landschaft, die | |
Weiden mit Kork- und Steineichen, über denen Adler und Geier ihre Runden | |
drehen, zeigt, warum sich der Alte in diesen Ort vernarrt hat und nirgends | |
sonst leben möchte. | |
Sánchez kramt ein Dokument hervor und sagt: „Schließlich boten sie mir | |
diesen Vertrag an.“ 400 Euro Entschädigung für ein Jahr Sondierungen auf | |
einem 22 Hektar großen Gelände werden da in Aussicht gestellt. „Ist das der | |
Reichtum, den sie uns versprechen?“, fragt er, der längst zu einer Art | |
Symbolfigur für die Bewegung gegen den Tagebau geworden ist, empört. Bei | |
der Menschenkette zum Protest gegen die geplante Mine Ende Februar stand er | |
an erster Stelle, ganz oben auf der Rathaustreppe von Cáceres. | |
## Wie Cayetano Polo mit Arbeitsplätzen wirbt | |
Cayetano Polo dagegen will die ganze Aufregung nicht verstehen. „Die Mine | |
ist eine Chance für die Region“, beteuert der 47-Jährige, der vier Jahre | |
lang für die rechtsliberale Partei Ciudadanos im Stadtrat von Cáceres saß | |
und dort als einer von ganz wenigen Kommunalpolitikern den Lithiumabbau | |
verteidigte. 2019 zog der smarte Ingenieur dann als Spitzenkandidat seiner | |
Partei ins Regionalparlament ein. Vergangenen September legte er alle seine | |
Ämter nieder, trat aus der Partei aus und heuerte bei Infinity Lithium an. | |
Seine Aufgabe besteht jetzt darin, Politik, Verwaltung, die Medien und | |
letztlich die Bevölkerung von dem Projekt zu überzeugen. | |
„1.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze“, steht auf den grünen | |
Plakatwänden, die Infinity Lithium überall in der Stadt hat aufstellen | |
lassen, um Werbung für das Projekt zu machen. Trotz der hohen | |
Arbeitslosigkeit in Extremadura – der ärmsten Region Spaniens – wurden die | |
Werbeposter ausnahmslos mit Graffiti gegen die Mine verunziert. | |
Polo lässt sich davon nicht irritieren. „Nach Nordportugal ist das | |
Lithiumvorkommen hier das zweitwichtigste in Europa“, sagt er. Die | |
Europäische Union benötige den Abbau für eine zukunftsfähige | |
umweltverträgliche Automobilindustrie und unterstütze das Vorhaben von | |
Infinity Lithium. „Wir werden nur 50 Prozent des Vorkommens ausbeuten, und | |
bereits das reicht für zehn Millionen Elektroautos“, sagt Polo und lässt | |
den Blick über das kleine Tal schweifen, in dem Sánchez einst die Arbeiter | |
beim Fällen von Bäumen ertappt hatte. | |
Überall an den Hängen liegen verstreut Grundstücke mit Häuschen. Deren | |
Bewohner werden – sollten die Pläne umgesetzt werden – bald schon in das | |
gigantische Loch des Tagebaus blicken. Für Polo ist das kein Problem. „Wir | |
arbeiten nur tagsüber und sprengen nur einmal die Woche mit vielen kleinen | |
Ladungen. Das wird kaum zu Lärmbelästigungen oder Staub führen“, beteuert | |
er. Der Wasserbedarf für die Aufbereitung würde aus der städtischen | |
Kläranlage gedeckt, um die Trinkwasserressourcen zu schützen. Letztendlich | |
würde nur ein mit Lithium gefüllter Lastwagen am Tag das Gelände verlassen. | |
Auch Polo weiß, dass das zum Weltkulturerbe erklärte Stadtzentrum von | |
Cáceres gleich nebenan liegt. Doch er versichert, dass es „keine visuelle | |
Beeinträchtigung“ gäbe und verweist auf die Hügelkette, die das | |
Minenprojekt von der Stadt trennt. | |
Für [3][Cáceres]’ Bürgermeister Luis Salaya ist das „ein absurdes | |
Argument“. Hügelkette hin oder her, die Entfernung von der Mine zu den | |
ersten Häusern betrage nur 800 Meter, 1,5 Kilometer sind es bis zum | |
Krankenhaus, dem Campus der Universität und mehreren | |
Forschungseinrichtungen. Und die Altstadt, auf die Salaya von seiner | |
Amtsstube aus blicken kann, ist auch nur zweieinhalb Kilometer von der Mine | |
entfernt. „Fast die Hälfte der Zeit weht Ostwind. Dieser würde den ganzen | |
Staub vom Tagebau herüberbringen“, beschwert sich der Bürgermeister. Dann | |
berichtet er von wissenschaftlichen Studien, die er gelesen habe: „Lithium | |
tritt nie alleine auf. Es ist an andere Mineralien gebunden. Einige davon | |
sind krebserregend.“ | |
Luis Salaya, ein Fortschrittsfeind? Nein, diesen Vorwurf will der | |
Bürgermeister nicht gelten lassen. „Natürlich ist mir klar, dass die | |
Elektromobilität die Zukunft ist. Ich selbst fahre ein E-Motorrad“, sagt | |
der Sozialdemokrat, der mit 32 Jahren der jüngste Bürgermeister einer | |
Provinzhauptstadt in ganz Spanien ist. „Aber würde unweit der Sagrada | |
Familia in Barcelona oder dem Stadtpark Retiro in Madrid Lithium gefunden, | |
würden wir es dann etwa auch abbauen?“ | |
Den Vorwurf, der da mitschwingt, versteht in Extremadura jeder. Die armen | |
Regionen haben den Dreck, die Industrieregionen die Batteriefabriken und | |
den Reichtum, so lautet der Vorwurf, der von der Realität gedeckt wird. | |
Denn eine von Volkswagen geplante Batteriefabrik soll in Barcelona | |
entstehen. | |
Salaya hat noch mehr Argumente auf seiner Seite. „195 direkte Arbeitsplätze | |
durch die Mine – und wie viele Arbeitsplätze gehen in der Tourismusbranche | |
verloren, weil niemand eine Stadt besuchen will, die unter einer Staubwolke | |
aus dem Tagebau liegt?“, fragt er. Seine Stadtverwaltung arbeite an einem | |
Projekt, um mehr umweltverträgliche Industrie anzusiedeln. „Unser | |
Wettbewerbsvorteil ist ganz eindeutig die Energie“, sagt der | |
Kommunalpolitiker und meint damit Solarstrom. Ein Drittel des Stroms aus | |
solarthermischen Anlagen und ein Viertel der Energie aus Photovoltaik in | |
Spanien kommt aus Extremadura. | |
Bürgermeister Salaya glaubt fest daran, dass die Stadtverwaltung die Mine | |
stoppen kann. Die Regionalregierung – wie die Stadtverwaltung | |
sozialdemokratisch – hat zugesichert, nichts gegen den Willen der | |
Bevölkerung vor Ort durchzudrücken. „Und die Normen der Stadtplanung in | |
Cáceres lassen keinen Bergbau zu“, gibt Salaya zu bedenken. Spätestens bei | |
der Erstellung des endgültigen Umweltgutachtens werde dies, so ist er sich | |
sicher, zum Problem für Infinity Lithium. | |
Vor gut zwei Jahren hat der Stadtrat schon einmal über einen Antrag | |
abgestimmt, diese Normen zugunsten von Infinity Lithium zu verändern. Kein | |
Geringerer als der heutige Lobbyist Polo hatte damals den Antrag | |
eingebracht. „Bis auf ihn und die anderen drei Stadträte stimmten alle | |
dagegen“, sagt Salaya. Das Nein zur Mine eint die sonst oft zerstrittenen | |
Parteien. | |
Genau das lässt den Rentner Manolo Sánchez darauf hoffen, auch den Rest | |
seines Lebensabends an diesem für ihn ganz besonderen Ort in der Sierra de | |
la Mosca verbringen zu können. Sein Freund Chaves ist mittlerweile nach | |
Hause gegangen. Die Bergbaupläne hat Sánchez wieder fein säuberlich in | |
einer Plastikhülle verstaut. Er geniest die Aussicht. Die Szene überragt | |
eine riesige Kiefer, unter der der Alte schon einst als Kind so gerne | |
spielte. Sánchez’ Wunsch: „Am liebsten hätte ich es, dass, wenn es einmal | |
so weit ist, meine Asche dort beigesetzt wird.“ | |
7 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.infinitylithium.com/ | |
[2] https://turismo.caceres.es/de/node/1308 | |
[3] https://reisen-nach-spanien.com/extremadura/caceres | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
## TAGS | |
Elektroauto | |
Spanien | |
Bergbau | |
GNS | |
Podcast „Vorgelesen“ | |
Sachsen | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Pedro Sánchez | |
China | |
Anja Karliczek | |
Verkehr | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Lithiumabbau im sächsischen Zinnwald: Zukunft unter Tage | |
Rentabilitätsfragen bremsen die Akku-Selbstversorgung bei der | |
Elektromobilität. Dabei könnte der Abbau des Trendmetalls längst begonnen | |
haben. | |
Steigender Strompreis in Spanien: Das Erdgas ist schuld | |
Angebot und Nachfrage bestimmen auch den Preis, so zumindest die Theorie. | |
Doch beim Strom im Spanien stimmt das nicht mehr. Die Verbraucher leiden. | |
Spaniens Pläne mit Corona-Hilfsgeld: Modernisierung dank EU | |
Spanien plant mit Mitteln des EU-Fonds große Investitionen. Die Hoffnung: | |
Wirtschaftswachstum und eine ökologische Transformation. | |
Chinas Elektroauto-Offensive: Smartphones auf Rädern | |
Mit Xiaomi plant das nächste Tech-Imperium aus China Elektroautos. Der | |
heimische Hersteller-Markt ist wegen Subventionen bereits übersättigt. | |
Forschungsfabrik für Autobatterien: Ohne Konzept und Kunden | |
Die Industrie ist mit der Forschungsfabrik für Autobatterien von Ministerin | |
Karliczek unzufrieden. Sie kritisiert: Die Anlage kommt viel zu spät. | |
Batterierohstoff aus Thermalwasser: Erdwärmekraftwerk zu Lithiumquelle | |
Das begehrte Lithium wird in Deutschland bislang nur importiert. Die | |
Geothermieanlage im badischen Bruchsal soll den Rohstoff künftig liefern. |