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# taz.de -- NDR-Doku „Lovemobil“: Ein überreagierender NDR
> Die Doku „Lovemobil“ ist kein klassischer Dokfilm. Muss man deswegen mit
> Abscheu und Empörung auf die Art und Weise blicken, wie sie gearbeitet
> hat?
Bild: Szene aus „Lovemobil“. Fragt sich, wie authentisch sie ist
Wer Fehler zugibt, verdient Respekt, vor allem, wer dann noch zügig
handelt. Nein, es geht mir nicht [1][um Merkel und die Osterbremse] oder
Döpfner und Reichelt nebenan, sondern um Filmemacherin Elke Lehrenkrauss
und ihren vom NDR geförderten Kinofilm „Lovemobil“.
Lehrenkrauss’ preisgekrönter Dokfilm über einen Wohnwagenstrich in der
niedersächsischen Pampa ist weniger Doku als ein Doku-Fiktion-Hybrid.
[2][Viele Szenen sind mit Darsteller*innen nachgespielt.] Das wurde
aber nirgends transparent gemacht. Was ein Fehler war. Das sagt die
Filmemacherin inzwischen selbst.
Die Entgrenzung des Dokumentarischen ist in der Branche schon länger Thema.
„Hybrid“ geht völlig in Ordnung, wenn man als Zuschauer oder Zuschauerin
denn Bescheid weiß. Das war bei „Lovemobil“ nicht der Fall. Nicht mal die
Redaktion des NDR oder die Filmpreisjurys erkannten die Hauptfiguren als
Schauspielerinnen.
[3][Den Deutschen Dokumentarfilmpreis, mit dem ihr „Lovemobil“ 2020]
ausgezeichnet wurde, hat Lehrenkrauss jetzt zurückgegeben, Preisgeld
inklusive. Das kann als Schuldeingeständnis gewertet werden, springt aber
zu kurz. Was ist mit dem Thema und dem kreativen Potenzial? Nein,
„Lovemobil“ ist kein klassischer Dokfilm. Muss man deswegen mit Abscheu und
Empörung auf die Art und Weise blicken, wie sie gearbeitet hat? Nein.
Warum ist ein Sender wie der NDR, der den Film mitproduziert, abgenommen
und ausgestrahlt hat, nicht eher und vor allem von allein darauf gekommen?
Es könnte sein: weil der Film so gut ist. Davon kann sich bloß niemand mehr
ein Bild machen. Denn der Film wurde umgehend aus der ARD-Mediathek gekippt
und für Wiederholungen im Programm gesperrt. Dafür gibt es jetzt eine
Recherche in eigener Sache bei STRG_F, das vom NDR für Funk produzierte
Rechercheformat. STRG_F ist großartig, stößt hier aber ein bisschen an
seine Grenzen, weil es um einen Fall in eigener Sache geht. Weshalb das
Ganze Enttäuschung atmet und „Betrug“ ruft. Formal ist das richtig, dieser
enge Blick ignoriert aber den Sinn und Zweck von „Lovemobile“, nämlich
auf die beschissene Situation von Frauen an der Straße aufmerksam zu
machen.
Gegebenenfalls ließe sich „Lovemobile“ auch umtexten. Um auf die hybride
Machart hinzuweisen: Uschi ist auch im echten Leben Uschi, „Rita“ wird
gespielt. Das erinnert an den Umgang des SWR mit seiner Doku über den
Corona-Ausbruch in Wuhan. Weil der Film Material einer staatlichen
chinesischen TV-Firma verwendetet, war er umstritten und wurde letzten
Sommer am Tag der Ausstrahlung aus dem Programm gestrichen. Die
Zuschauer*innen, um die es vorgeblich doch immer geht, bleiben auf der
Strecke.
Hinweis der Redaktion: Steffen Grimberg ist Vorsitzender des Fördervereins
des Grimme-Instituts, wo „Lovemobil“ bis diese Woche für den Grimme-Preis
nominiert war.
26 Mar 2021
## LINKS
[1] /Merkels-Absage-des-Osterlockdowns/!5757138
[2] /NDR-Doku-Lovemobil/!5757061
[3] /Dokumentarfilm-Lovemobil/!5643688
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
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Dokumentarfilm
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Sexarbeit
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Lesestück Recherche und Reportage
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