| # taz.de -- Brandbrief der Umweltorganisationen: Da ist Fernwärme im Busch | |
| > Hamburgs rot-grüner Senat überlegt, namibisches Buschholz zu verfeuern, | |
| > um die Fernwärmeversorgung klimaneutral zu machen. Das weckt Proteste. | |
| Bild: Soll im Zuge der Wärmewende von Kohle auf Holz umgestellt werden: Kraftw… | |
| Hamburg taz | Das [1][Waterberg-Plateau] in der namibischen Savanne ist auf | |
| grausame Weise berühmt geworden. Dort haben die deutschen Kolonialtruppen | |
| 1904 das Volk der Herero besiegt und anschließend in die Wüste getrieben, | |
| um Männer, Frauen und Kinder dort verdursten zu lassen. | |
| Mehr als 100 Jahre später könnte dieser Ort zu einem Beispiel der | |
| Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und den | |
| ehemals Kolonisierten werden. Das klingt zumindest an in einem Papier der | |
| Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die als Werkzeug der | |
| Bundesregierung weltweit die nachhaltige Entwicklung fördern soll. | |
| 2019 [2][präsentierte die GIZ einen Plan], der fast zu schön klingt, um | |
| wahr zu sein: Namibia könnte die wild wuchernden, dornigen Büsche seiner | |
| Savanne häckseln und als Brennstoff nach Deutschland verschiffen. Mit dem | |
| nachwachsenden Rohstoff könnten hierzulande quasi CO2-frei und damit | |
| klimaneutral Kraftwerke betrieben werden. | |
| Namibia hätte damit die Chance, der immer weiter voranschreitenden | |
| Verbuschung und – so eine Lesart – faktischen Verwüstung weiter Landstriche | |
| Herr zu werden. Und Deutschland könnte einen stetigen Strom erneuerbarer | |
| Energie erwarten, mit dem sich Schwankungen bei Wind und Sonne ausgleichen | |
| ließen. | |
| ## Zweifel an der Klimaneutralität | |
| Eine besondere Dringlichkeit ist dabei in Hamburg gegeben, wo der Senat auf | |
| Geheiß der Bevölkerung die Netze für Strom, Gas und Fernwärme zurück | |
| gekauft hat. Ziel des [3][Volksentscheids von 2013] war „eine sozial | |
| gerechte, klimaverträgliche und demokratisch kontrollierte | |
| Energieversorgung aus erneuerbaren Energien“. | |
| Umsetzen muss das der grüne Umweltsenator Jens Kerstan, der dafür das | |
| [4][Kraftwerk Tiefstack] am Elbe-Nebenfluss Bille von Kohle- auf | |
| Holzverbrennung umrüsten will, um klimafreundliche Fernwärme liefern zu | |
| können. | |
| Doch seinen guten Absichten zum Trotz sieht sich der rot-grüne Hamburger | |
| Senat mit einer breiten Gegenbewegung konfrontiert. 40 | |
| Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus dem Bereich der Umwelt und der | |
| Entwicklungszusammenarbeit haben „Entwicklungshilfeminister“ Gerd Müller | |
| (CSU) dringend gebeten, das GIZ-Projekt „Bush Control & Biomass | |
| Utilization“ (BCBU) zu stoppen. | |
| Die Verbrennung von Buschholz als klimaschützend zu kalkulieren, sei keine | |
| überzeugende Rechnung, heißt es von den Aktivisten. Durch die Abholzung | |
| werde in Namibia eine Kohlenstoffsenke zerstört. Auf die entbuschten | |
| Flächen würden Rinder zum Weiden geführt, deren Gedärmen wiederum Methan | |
| entweiche – ein Gas, das viel klimaschädlicher sei als Kohlendioxid. | |
| ## Neokolonial oder ökoimperialistisch? | |
| Nicht zuletzt trage das Vorhaben neokoloniale Züge, denn Deutschland könnte | |
| damit seine Klimabilanz entlasten, während die von Namibia belastet würde. | |
| Profitieren würden deutsche Maschinen- und Anlagenbauer, Geldgeber und | |
| große namibische Farmen – das alles zu Lasten der Namibier, die sich mit | |
| ein paar Rindern und dem Ernten von Holz über Wasser hielten. | |
| Minister Müller hat den Aktivisten allerdings schon eine Abfuhr erteilt. | |
| Und auch in Namibia teilen nicht alle die Argumentation der Gegenbewegung. | |
| Die [5][Namibia Nature Foundation (NNF)] etwa würdigt zwar die Kritik der | |
| internationalen NGOs, warnt aber zugleich vor Öko-Imperialismus: Die | |
| ausufernde Verbuschung lasse den Namibiern immer weniger Land zum | |
| Bewirtschaften übrig. Den Namibiern wachse das Buschholz sozusagen über den | |
| Kopf – in so großen Mengen, dass es im Land bei Weitem nicht verarbeitet | |
| werden könne. | |
| Dabei betonen die namibische Regierung, die GIZ und die Uno, dass es nicht | |
| um einen Kahlschlag, sondern nur um ein Ausdünnen des Buschs gehen könne. | |
| Darum, eine halboffene Savannenlandschaft wie vor 100 Jahren | |
| wiederherzustellen. Die Verbuschung sei auch deshalb ein Problem, da die | |
| Pflanzen dem Boden viel Wasser entziehen, das über die Blätter verdunstet. | |
| Der Grundwasserspiegel sinkt. Zudem ziehen sich viele Wildtierarten aus | |
| verbuschten Gebieten zurück. | |
| Die Umweltorganisation Robin Wood, die grundsätzlich ablehnt, für den | |
| Klimaschutz Holz zu verbrennen, bezweifelt, dass ein Ausdünnen realistisch | |
| ist: Der Preisdruck werde eine quasi-industrielle Abholzung forcieren, | |
| zumal in einem Gebiet, das so groß sei wie Italien, kaum gewährleistet | |
| werden könne, dass nach nachhaltigen Regeln geholzt werde. | |
| Lesen Sie mehr über den Buschholz-Streit in unserer gedruckten | |
| Wochenend-Ausgabe oder [6][hier]. | |
| 12 Mar 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Genozid-an-Herero-und-Nama/!5702260 | |
| [2] https://www.giz.de/de/weltweit/28648.html | |
| [3] https://unser-netz-hamburg.de/ | |
| [4] /Volksentscheid-abgewendet/!5593623 | |
| [5] http://www.nnf.org.na/ | |
| [6] /e-Paper/Abo/!p4352/ | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
| ## TAGS | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| Energiewende | |
| Umwelt | |
| Naturschutz | |
| Entwicklungspolitik | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| Namibia | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| Entwicklungszusammenarbeit | |
| Energiespeicher | |
| Hamburg | |
| Kolonialismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Energiegewinnung aus Buschbiomasse: Hamburg drückt die Pausetaste | |
| Die Umweltbehörde beschäftigt sich nicht mehr mit dem Vorhaben, namibische | |
| Biomasse in Hamburg zu verbrennen. Gewartet wird auf Infos aus Berlin. | |
| Energiepolitik in Deutschland: Holz aus Namibia statt Kohle? | |
| Mit importiertem Holz sollen bisherige Kohlekraftwerke klimafreundlicher | |
| werden. Umweltverbände kritisieren den Vorstoß als neokoloniales Muster. | |
| Holz aus Afrika für die Energiewende: Globale Partnerschaft in der Kritik | |
| Eine Kooperation zwischen Hamburg und Namibia für den Klimaschutz könnte | |
| zum Vorbild werden. Aber nicht alle finden die Idee gut. | |
| Öko-Aktivistin über Buschholz-Verbrenung: „Wir wollen aufbegehren“ | |
| Jana Ballenthien von Robin Wood kritisiert die geplante | |
| Biomassepartnerschaft zwischen Hamburg und Namibia als schädlichen | |
| Präzedenzfall. | |
| Erdwärme-Bohrungen in Hamburg: So tief wie nie zuvor | |
| Erstmals in Norddeutschland soll Tiefengeothermie zum Heizen von Wohnungen | |
| genutzt werden. Das Projekt ist Teil der Hamburger Energiewende. | |
| Kohlekraftwerk verringert CO2-Ausstoß: Eine Schippe weniger in Wedel | |
| Das Kohlekraftwerk Wedel sollte eigentlich längst abgeschaltet sein. Jetzt | |
| will Hamburg es mit einem kleineren CO2-Ausstoß fahren. | |
| Historiker über Bismarck-Verehrung: „Die Opfer werden ausgeblendet“ | |
| Der Hamburger Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer ist gar nicht „gegen“ | |
| Bismarck. Aber er will diesen ambivalenten Staatsmann nicht mehr feiern. |