| # taz.de -- Soziologe über Corona und soziale Spaltung: „Armut macht krank“ | |
| > Je weniger Geld, desto größer das Risiko einer Ansteckung: Nico Dragano | |
| > zur Frage, warum die Pandemie ganz besonders Menschen mit geringem | |
| > Einkommen trifft. | |
| Bild: Von Armut betroffene Menschen haben ein deutlich höheres Risiko zu erkra… | |
| taz: Herr Dragano, oft hört man: Vor dem Virus sind wir alle gleich. Stimmt | |
| das? | |
| Nico Dragano: Nein, anhand vieler Studien sehen wir mittlerweile ziemlich | |
| klar, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich oft und | |
| unterschiedlich schwer getroffen werden. Und die Risiken verlaufen hier, | |
| wie bei vielen Krankheiten, entlang ökonomischer Faktoren. Das ist in | |
| Deutschland der Fall wie in zahlreichen anderen Ländern. | |
| Wer arm ist, hat also eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Corona zu | |
| erkranken? | |
| Genau. Untersucht wird der Zusammenhang häufig über die regionale | |
| Verteilung der Infektionen. Da gibt es verschiedene Faktoren, daher ein | |
| Beispiel: Gebiete mit im Schnitt niedrigeren Einkommen haben insbesondere | |
| in der späteren Phase der Pandemie oft ein höheres Infektionsrisiko als | |
| Regionen, in denen Gutverdienende leben. Die sozioökonomische Lage | |
| korreliert also mit den Fallzahlen. | |
| Gibt es auch Unterschiede beim Krankheitsverlauf? | |
| Ja, sogar große. In einer Studie haben wir anonymisierte Datensätze einer | |
| großen Krankenkasse zu schweren Coronaverläufen analysiert. Aus denen | |
| konnten wir ablesen, dass Langzeitarbeitslose, also | |
| [1][Hartz-IV-Beziehende], ein 94 Prozent höheres Risiko aufwiesen, mit | |
| einem schweren Coronaverlauf im Krankenhaus behandelt zu werden, als | |
| Menschen in einem regulären Beschäftigungsverhältnis. | |
| Auch Kurzzeitarbeitslose und Ergänzer haben ein erhöhtes Risiko. All das | |
| sind Menschen, die mit geringen Ressourcen auskommen müssen. | |
| Ein um 94 Prozent erhöhtes Risiko ist ein enormer Unterschied Wie kommt es | |
| dazu? | |
| Da gibt es verschiedene Hypothesen. Eine Erklärung, die wohl einen großen | |
| Einfluss haben dürfte, ist, dass Langzeitarbeitslose oft auch chronische | |
| Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Auch | |
| die Versorgung mit und der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen können | |
| eine Rolle spielen. Also, ob die Menschen problemlos einen Arzt aufsuchen | |
| können, wenn sie Beschwerden haben und, ob sie das rechtzeitig genug tun. | |
| Diabetes und Co. sind lebensstilbezogene Krankheiten. Manche werden da | |
| sagen: Da sind die Arbeitslosen selbst schuld dran. | |
| Das ist meist falsch. Dahinter steckt ein ganzes Bündel von Faktoren, die | |
| die Einzelnen oft gar nicht in der Hand haben. Beispielsweise die Wohnlage. | |
| Es gibt mittlerweile viele Studien, die auf den Einfluss von Umweltfaktoren | |
| auf die Gesundheit hinweisen. Beispielsweise wohnen an viel befahrenen | |
| Straße mit hoher Schadstoffbelastung eher Menschen mit niedrigerem | |
| Einkommen. | |
| Dazu kommen Faktoren wie Erziehung. Aber auch psychische Belastungen, die | |
| durch die Arbeitslosigkeit verursacht werden. Was hinter all dem steht ist | |
| die Erkenntnis: Armut macht krank. | |
| Derzeit spricht man oft über Risikogruppen, aber selten werden Arme konkret | |
| als eine genannt. Wundert Sie das? | |
| Das ist ein Problem, dass wir nicht erst seit der Coronapandemie | |
| beobachten, leider. Dabei sind die Zusammenhänge wirklich nicht neu. Es ist | |
| seit den 60er-Jahren in Studien für Europa erforscht, dass Armut ein ganz | |
| entscheidender Faktor für Gesundheit ist. Das reicht von psychischen und | |
| Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter bis hin zu schwerwiegenden | |
| Erkrankungen bei Erwachsenem und einem deutlich früheren Tod. | |
| Hat die Politik zu wenig unternommen? | |
| In der Pandemie bekommt das Thema etwas mehr Aufmerksamkeit. Bislang wurde | |
| aber versäumt, den [2][Zusammenhang von Armut und Krankheit] mit der | |
| notwendigen Priorität anzugehen. Das zeigt sich jetzt sehr deutlich. | |
| Wie sähe eine politische Antwort aus? | |
| Wichtig ist, dass alle Ressorts das Thema adressieren. Im Gesundheitssektor | |
| landen diejenigen, die schon krank sind. Die Ursachen dafür müssen dagegen | |
| überall, zum Beispiel in der Bildungs- und Umweltpolitik, aber auch im | |
| Steuersystem bekämpft werden. | |
| Mit dem Steuersystem Krankheiten bekämpfen? | |
| Untersuchungen zeigen, dass wenn man die Einkommensunterschiede klein hält, | |
| in diesen Ländern die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt profitiert. Das | |
| ist ganz faszinierend. Und darauf hat die Steuerpolitik natürlich einen | |
| Einfluss. Wird der Reichtum gerechter verteilt, kann das die Gesundheit | |
| verbessern. | |
| Derzeit fordern Wohlfahrtsverbände, den Hartz-IV-Regelsatz auf 600 Euro zu | |
| erhöhen. Wäre das auch eine gesundheitsfördernde Maßnahme? | |
| Das wäre aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht zu befürworten, auch wenn | |
| es nicht die einzige Maßnahme sein sollte. Aber wenn sich die materielle | |
| Lage verbessert, hilft das auch der Gesundheit. Und in der Krise ist das | |
| noch einmal besonders akut. Vieles fällt weg, das kostenlose Schulessen, | |
| die Tafeln. Dazu kommen Zusatzkosten wie für die Masken. | |
| 27 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Alina Leimbach | |
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