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# taz.de -- Kinderbetreuung in der Pandemie: Allein und erziehend
> Zwischen Homeoffice und Homeschooling: Corona hat die Probleme von 2,6
> Millionen Alleinerziehenden in Deutschland verschärft. Drei Protokolle.
Bild: Pandemie bedeutet für Eltern: sehr viele gleichzeitig machen
## Eva-Maria Vogt, 37, Juristin, Mainz: „Mein Kind fühlt sich
zurückgewiesen“
„Unser schlimmstes Erlebnis in der Pandemie war die Quarantäne für mein
Kleinkind im September. Nach einem Covid-19-Fall in der Kita war es
eingesperrt in unserer kleinen Stadtwohnung. Für mich als alleinlebendes
Elternteil gab es keinerlei Entlastungsmöglichkeiten mehr, da keiner in die
Wohnung durfte und das Kleinkind nicht alleingelassen werden konnte.
Ich arbeite in Mainz für die evangelischen Landeskirchen in Rheinland-Pfalz
und habe einen achtjährigen Sohn, für den ich im Alltag allein
verantwortlich bin, und ein zweieinhalb Jahre altes Kleinkind, das zwischen
meinem Mann, der in Schweden lebt und arbeitet, und mir pendelt. Während
der Quarantäne meines jüngeren Sohns konnte ich meinen Zweitklässler auch
nicht mehr zur Schule bringen, und der voll berufstätige
Freund*innenkreis konnte das nicht auffangen. Mir blieb also nichts
anderes übrig, als es bei Verwandten unterzubringen. Die [1][Quarantäne
wurde nach einer Woche aufgehoben], weil ich dem Gesundheitsamt nachweisen
konnte, dass mein Kind keinen Kontakt hatte – das hätte besser ermitteln
müssen. Der Kleine fing in dieser Zeit wieder an einzunässen, damit kämpfen
wir bis heute.
Doch auch ohne Quarantäne ist unser Alltag herausfordernd. Mein älterer
Sohn begreift zwar schnell, doch trotzdem brauche ich für vier Stunden
Berufstätigkeit sechs Stunden Zeit, wenn er neben mir sitzt. Er unterbricht
meine Arbeit mit seinen Fragen, was für mich bedeutet, dass ich immer
wieder den Faden verliere. Für uns beide ist das eine enorme Belastung,
denn mein Kind fühlt sich zurückgewiesen und ich mich von ihm gestört. Das
bekommen wir beide zu spüren: Wir haben mehr Konflikte, die Stimmung ist
deutlich gereizter. Durch die Coronamaßnahmen sind wichtige Hilfestrukturen
für uns weggebrochen und die Kontaktbeschränkungen nehmen nicht genug
Rücksicht auf verschiedene Familienformen, sondern sind zu sehr an der
Zwei-Eltern-Kleinfamilie orientiert. Wir sind immer schon der eine
Haushalt, zu dem nur noch eine andere Person dazukommen darf. Seit Montag
geht mein Sohn nun für zwei Tage die Woche wieder in den Präsenzunterricht,
das wird zumindest die Homeschooling-Tage entspannen, weil er dann konkrete
Aufgaben mitbringt.
Diese Krise hat verdeutlicht, dass alle Forderungen, die Alleinerziehende
schon vor der Pandemie gestellt haben, jetzt noch dringender geworden sind.
Das reicht von steuerlichen Entlastungen, angemessenerer
Unterhaltsberechnung für die Kinder, besserer Altersvorsorge bis hin zu
Ganztagesbetreuungsangeboten im Grundschulalter. Aber auch für
maßnahmenbedingte Probleme fehlt es mir an Lösungen und Begleitstrategien.
Von der Politik kommt nur wenig Hilfe, der Kinderbonus beispielsweise, der
nur zur Hälfte bei den Alleinerziehenden ankommt, reicht häufig nicht
einmal aus, die Lohneinbußen für Freistellungen (Kinderkrankengeld ist
nicht der volle Lohn) zu kompensieren, geschweige denn für Entlastung oder
Erholung, dabei sind die meisten Eltern inzwischen sehr erschöpft.“
## Anonym, 33, Pflegerin, Landkreis Reutlingen: „An der Kindergartentür
abgewiesen“
„Der erste Lockdown war schon herausfordernd, doch jetzt ist mein Alltag
kaum mehr auszuhalten. Ich arbeite als Pflegehilfskraft in einer Klinik für
Psychiatrie und Psychosomatik und bin alleinerziehend. Seit im Dezember die
Kitas geschlossen haben, kämpfe ich für eine vollständige Notbetreuung für
meinen dreijährigen Sohn. Doch leider ohne Erfolg.
Obwohl ich jede Woche eine Bestätigung beim Kindergartenträger einreiche,
dass ich als Alleinerziehende in einem systemrelevanten Präsenzjob Anspruch
habe, wurden mein Sohn und ich schon an der Tür des Kindergartens
abgewiesen. Ich kam damals direkt aus einer zehnstündigen Nachtschicht, war
müde und wollte meinen Sohn abgeben, um vor meiner nächsten Nachtschicht
ein wenig schlafen zu können. Doch stattdessen wurde ich gezwungen, ihn
wieder mit nach Hause zu nehmen. Die Begründung war, dass ich ja gerade
nicht arbeiten würde und somit auf ihn aufpassen könnte. Andere Mütter
würden das ja auch schaffen. Ich war fassungslos.
Ab da begann für mich ein bürokratischer Marathon. Wochenlang hing ich
jeden Morgen am Telefon, um mein Kind fünf Tage die Woche in die
Notbetreuung bringen zu dürfen. Denn dass ich meinen Sohn nur dann bringen
darf, wenn ich gerade arbeite, macht bei einem Drei-Schicht-System keinen
Sinn.
Ich habe mit dem Kindergartenträger der Stadt gesprochen, mit allen
Instanzen des Jugendamtes und schließlich auch mit dem Kultusministerium
Baden-Württemberg. Doch keiner wollte zuständig sein, ich wurde von einem
Amt zum nächsten weitergeleitet. Das Kultusministerium meinte, sie stellen
zwar die Regeln auf, nach denen ich einen Anspruch auf Notbetreuung habe –
aber die Umsetzung liege in der Hand der Kommune beziehungsweise des
Einrichtungsträgers. Niemand zeigte Verständnis für meine Situation.
Stattdessen herrschte absolute Willkür und ich wurde von jeglicher Instanz
alleine gelassen.
Im Januar kamen das Jugendamt und der Kindergartenträger dann auf die Idee,
dass ich ein Formular unterschreiben sollte, das mir eine dauerhafte
Notbetreuung zusichern sollte. In dem Formular stand, dass das Kindeswohl
gefährdet sei. Ich weigerte mich zu unterschreiben. Denn was würde so ein
Formular für mich bedeuten, wenn es einmal zum Sorgerechtsstreit kommen
würde? Mich hat das ganze Prozedere total geärgert. Ich hatte um Hilfe
gebeten, doch stattdessen wurde ich als „labil“ und als „Dramamutter“
abgestempelt.
Ohne Formular gibt es für mich bis heute keine vollständige Notbetreuung.
Also darf ich mein Kind weiterhin nur an den Tagen, an denen ich Frühdienst
habe, in den Kindergarten bringen. Dieses ganze Hin und Her war nicht nur
für mich psychisch und organisatorisch anstrengend, sondern auch für meinen
Sohn. Er wurde quengeliger, fing wieder an, einzunässen und wurde immer
anhänglicher. Irgendwann konnte ich nicht einmal mehr alleine auf Toilette
gehen, er hing mir buchstäblich immer am Bein. Da war für mich klar: So
kann es nicht weitergehen. Deswegen hab ich Anfang Februar beschlossen,
mich von der Arbeit freistellen zu lassen.
Jetzt kann ich mich um meinen Sohn kümmern, doch wie ich meine Miete
nächsten Monat bezahlen soll, ist mir nicht klar. Ich habe zwar einen
Lohnausgleich bei der Krankenkasse beantragt, doch ob und wann der
bestätigt wird, weiß ich nicht. Deswegen geh ich jetzt nach zwei Wochen
wieder zur Arbeit. Meine Mutter, die selbst Krankenschwester ist, hat sich
nun Urlaub genommen und passt auf meinen Sohn auf.
Seit der zweite Lockdown gestartet ist, heißt es überall, das Kindeswohl
stehe an erster Stelle. Und man wolle es den Familien dieses Mal einfacher
machen, ohne große bürokratische Hürden. Doch als alleinerziehende Mutter
im Drei-Schicht-Betrieb der Pflege fühle ich mich in der Praxis einfach nur
alleingelassen. [2][Während mir und anderen Menschen in der Pflege
applaudiert wurde], wurde mir ironischerweise in meiner Notlage nicht
geholfen. Jetzt öffnen die Kitas in Baden-Württemberg wieder und ich kann
nur hoffen, dass es auch dabei bleibt. Denn noch einmal halten wir das
nicht aus.“
## Mandy K., 37, Angestellte im öffentlichen Dienst, Gera: „Immer wieder
muss ich Pause machen“
„Manchmal denke ich, dass ich noch ganz schön Glück habe. Da ich im
öffentlichen Dienst arbeite, musste ich auch im Lockdown nicht um meinen
Job bangen, habe durchgehend Lohn bekommen und konnte meinen fünfjährigen
Sohn in die Notbetreuung geben, während meine zehnjährige Tochter zu Hause
geblieben ist. Anstrengend ist mein Alltag als Alleinerziehende und
Alleinverdienerin trotzdem.
Jeden Morgen um 5.30 Uhr klingelt mein Wecker. Um 6 Uhr logge ich mich zum
ersten Mal in meinen Rechner ein, um in Ruhe zu arbeiten, bevor die Kinder
wach werden. Ab dann beginnt für mich ein Tag mit Lohnarbeit,
Kinderbetreuung und Haushaltsaufgaben. Immer wieder muss ich Pause machen,
um einen Sohn zur Kita zu bringen, die Hausaufgaben meiner Tochter zu
kontrollieren, Mittagessen zu kochen oder mit meinen Kindern auf den
Spielplatz zu gehen. An manchen Tagen kommt es dann vor, dass ich erst um
22 Uhr meine sieben Stunden Arbeitszeit vollbekomme.
Ohne Notbetreuung wäre das alles überhaupt nicht möglich. Im ersten
Lockdown war die Situation schon grenzwertig, damals hatte ich beide Kinder
zu Hause. Da war es dann manchmal so, dass ich in einer Telefonkonferenz
war, während sich meine Kinder im Hintergrund stritten oder gegenseitig
durch die Wohnung jagten. Da hat die Qualität in jeder Hinsicht gelitten:
Ich hatte das Gefühl, meine Kinder nicht mehr richtig zu betreuen. Es gab
immer häufiger Fastfood, weil ich keine Zeit zum Kochen hatte, und auch
meine Arbeit hat gelitten.
Mein Arbeitgeber zeigt zum Glück viel Verständnis für meine Lage und es ist
auch mal in Ordnung, wenn ich nicht so viel schaffe wie sonst. Auch wenn
die Kitaöffnungszeiten verkürzt bleiben, kann jetzt meine Tochter nach zwei
Monaten Pause wieder zur Schule gehen. Obwohl sie schon eigenständig
arbeiten kann, wird sich jetzt erst zeigen, ob sie mit dem Stoff richtig
mitgekommen ist.
Denn Unterstützung von den Lehrern gab es in den letzten Monaten kaum und
auch ich hatte im Alltagsgeschäft einfach keine Zeit, jede einzelne Aufgabe
zu kontrollieren. Gerade weil jetzt auch der Wechsel zur weiterführenden
Schule ansteht, mache ich mir da ein bisschen Sorgen. Aber ich hoffe, dass
sie jetzt wenigstens das restliche Schuljahr normal zur Schule gehen kann.“
24 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Carolina Schwarz
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