# taz.de -- Kinder in der Pandemie: Wir müssen reden | |
> Kinder erleben die Pandemie sehr unterschiedlich. Aber eines ist klar: | |
> Auch sie leiden darunter. Dieses Problem müssen wir anerkennen. | |
Bild: Rodeln während der Pandemie: Absperrband im Hamburger Schanzenpark am ve… | |
Endlich Schnee! Ganz Hamburg ist am Samstag aus dem Haus gegangen. Hatte | |
ich geglaubt, dass Kinder in unseren Breiten keinen Schlitten mehr | |
besitzen, hatte ich mich wohl geirrt. Zwar gibt es keine Berge, in diesen | |
flachen Landen, aber ein Pickel von einer Bodenwelle tat es auch. Bis in | |
die Dunkelheit, und bis die Polizei kam, wurde am Samstag gerodelt. Ich | |
erinnerte mich an meine Kindheit, in Brandenburg, wo wir auch abends im | |
Dunkeln rodelten, das war das Größte, das Allerbeste, das Rodeln im | |
Dunkeln. | |
Ich musste in letzter Zeit viel über Kinder nachdenken, über meine eigene | |
Kindheit, darüber, wie Kinder jetzt diese Pandemie erleben. Es wird viel | |
darüber gestritten und ich bin abwechselnd genervt, von denen, die fordern, | |
dass sich die Kinder nicht so anstellen sollten, weil, früher und so | |
weiter, und noch mehr von denen, die verlangen, dass alte Leute großzügig | |
ihr Leben riskieren, damit die lieben Kleinen ihres unbeschwert | |
weiterführen können, was sie ohnehin nicht können, behaupte ich, weil es | |
unbeschwertes Leben nicht gibt. | |
Die anscheinend komplizierte Frage ist: Leiden Kinder unter der Pandemie? | |
Was? Natürlich leiden sie darunter. Wir leiden alle darunter, Kinder sind | |
auch nur Menschen, wie sollten sie also nicht darunter leiden? Darüber kann | |
man reden, darüber, wie dieses Leid aussieht, wie groß es ist, welche | |
Gruppe von Kindern es besonders betrifft und was man dagegen tun kann. | |
Kinder leben ihr Leben nicht losgelöst von dem der Erwachsenen, sondern im | |
Gegenteil, sie können gar keine eigenen, für sie am besten passenden, | |
Lebensentscheidungen treffen, sie sind gezwungen, das Leben der sie | |
umgebenden Erwachsen, insbesondere der Eltern, zu teilen. Da ist nichts zu | |
machen. Es ist einfach nicht möglich, Kinder vom Leben fernzuhalten. | |
In meiner Kindheit hat mich auch das eine oder andere „verunsichert“. Die | |
Wiedervereinigung, zum Beispiel, die viele Menschen, die damals Kinder | |
waren, geschädigt hat. Ihre Bezugspersonen, Lehrer*innen, Erzieher*innen, | |
Eltern und Verwandte verloren ihre Orientierung, ihren Beruf, sie wussten | |
nicht mehr, auf welche Art sie richtig weiterleben sollten. | |
Dazu kam die Scham, über das anscheinend falsche bisherige Leben. Ich habe | |
mich so geschämt, dass ich niemandem sagen wollte, wo ich herkam. Darüber | |
muss man nachdenken, darüber muss man reden. Aber hätten wir den Menschen, | |
die damals in einer ungeheuren Anstrengung eine Mauer überwanden, sagen | |
sollen: Tut das nicht, ihr müsst doch auch mal an die Kinder denken, wie | |
die das aufnehmen? Die Wiedervereinigung war ohne Alternative, über das Wie | |
hätte man besser reden sollen. Und um die Kinder hätte man sich auch besser | |
kümmern müssen. | |
Ich weiß, die Situation ist nur insofern vergleichbar, als es sich in | |
beiden Fällen um gesamtgesellschaftliche Vorgänge handelt, die alle | |
Menschen gleichermaßen betrifft, auch wenn sie sich keinesfalls auf alle | |
Menschen gleich auswirkt. Wir haben das Kind, dessen Vater am Virus | |
verstarb, das Kind, dem das nicht geschah, dessen junge Eltern fast sorglos | |
im Homeoffice ihr Leben weiterführen, das Kind, dessen überfordertes | |
alleinerziehendes Elternteil in panischer Angst alles meidet, das Kind, | |
dessen Eltern im erbitterten Widerstand leben, und das Kind, das auf dem | |
Lande in der Großfamilie lebt. Es gibt große Unterschiede und das Kind lebt | |
immer das Leben der es umgebenden Gemeinschaft, die mehr oder weniger | |
sorglos lebt oder auch nur leben kann. | |
Wie auch immer, eine tödliche Pandemie muss bekämpft werden. Jedes | |
Medikament richtet Schaden an. Eine Herzoperation ist eine | |
Körperverletzung. Wir nehmen das Medikament, wir lassen uns operieren. | |
Wir sollten uns einfach eingestehen, dass es für Kinder, und vielleicht | |
sogar noch mehr für Jugendliche, gerade nicht so super ist. Wir können die | |
Schäden von vornherein ein bisschen beeinflussen, aber vor allem müssen wir | |
das Problem anerkennen und uns dem widmen, das machen Eltern, das muss auch | |
die Gesellschaft machen. Ohne Hysterie. Und selbstverständlich ohne den | |
Plan, möglichst viele Menschen vor dem Tod zu bewahren, dafür aufzugeben. | |
3 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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