# taz.de -- Familienpsychologe über den Lockdown: „Was will das Kind kommuni… | |
> Am Montag beginnt in Berlin wieder das Homeschooling. Psychologe Thilo | |
> Hartmann warnt vor dem elterlichen Anspruch, alles kontrollieren zu | |
> wollen. | |
Bild: Immer nur halb so schön, wie die Bilder suggerieren: Homeschooling | |
taz: Herr Hartmann, ab Montag beginnt in Berlin für viele Familien wieder | |
der oft schmerzhafte Spagat aus Homeschooling und Homeoffice. Wie bleibe | |
ich nett zu meinen Kindern und zu meinen KollegInnen? | |
Thilo Hartmann: Ich glaube, wichtig ist es, sich selbst wahrzunehmen und | |
frühzeitig zu merken, wann man an seine Grenzen kommt. Dass man also merkt: | |
Jetzt muss ich mir eine Auszeit nehmen. | |
Wie merke ich das denn? | |
Das ist eine Frage der Selbstwahrnehmung, die man auch trainieren kann. | |
Ganz konkret zum Beispiel, wenn ich merke, meine Stimmung gegenüber den | |
Kindern schlägt um, ich empfinde nicht mehr wohlwollend und fürsorglich, | |
sondern es fährt etwas in mir hoch. Viele merken das rein körperlich. Der | |
Puls steigt, der Blutdruck steigt, ich fange an zu schwitzen, die Stimme | |
wird laut, der Nacken verspannt sich. Diese Spirale sollte man möglichst | |
frühzeitig durchbrechen. | |
Aber wie mache ich das, wenn ich mir gern einen Tee kochen will, aber das | |
Kind will erst die Puppe repariert haben. | |
Grundsätzlich ist es gut, sich klarzumachen: Kinder haben ein Bedürfnis | |
hinter ihren manchmal anstrengenden Anfragen. Da geht es vielleicht gar | |
nicht um die Puppe, sondern einfach darum, dass der Vater oder die Mutter | |
Aufmerksamkeit schenkt. | |
Ich muss die Puppe gar nicht sofort reparieren, aber vor der nächsten | |
Videokonferenz einfach mal ein paar Sätze mit meinem Kind sprechen? | |
Ich kann mich fragen: Wie kann ich das Bedürfnis meines Kindes nach | |
Aufmerksamkeit befriedigen? Das kann auch eine kleine Geste der Zuwendung | |
sein, die signalisiert: Ich nehme dich wahr, du bist mir wichtig. Oder es | |
kann auch mal der stressfreiere Weg sein, die Kinder einfach in die nächste | |
Videokonferenz zu integrieren, anstatt sie auf Abstand halten zu wollen. | |
Was viele im Homeoffice ja auch bereits tun. | |
Viele Kinder haben ein berechtigtes Bedürfnis zu wissen: Wer dringt da in | |
meine Privatsphäre ein? Denn eigentlich ist das Zuhause ein geschützter | |
Bereich – der sich nun aber öffnet für viele dem Kind oft fremde Menschen. | |
Zudem, wenn man das Kind einfach mal mit in die Kamera schauen lässt, | |
wissen die Kollegen auch, wie sie es einordnen sollen, wenn man in der | |
Konferenz mal woanders hinblickt. | |
Wie merke ich denn eigentlich den Kindern an, dass sie gestresst sind? | |
Körperlich reagieren Kinder ähnlich auf [1][dauerhaften Stress] wie | |
Erwachsene: mit Bauchschmerzen, mit Schlafproblemen. Manchmal werden sie | |
auf der Verhaltensebene auffälliger: Sie brauchen mehr Aufmerksamkeit, | |
toben und turnen mehr in der Wohnung herum. | |
Was wiederum bei den Eltern den Puls hochgehen lässt. | |
Ja, aber Kinder machen das nicht, um den Eltern das Leben schwer zu machen. | |
Es ist ihre Art, eine Situation zu managen, für die ihnen andere | |
Bewältigungsstrategien fehlen. Kinder müssen ihre Muskeln trainieren, das | |
ist in der Altersphase quasi ihr Job. Und da stürzt dann vielleicht zu | |
Hause mal das Billyregal um, wenn Kita und Schulsport fehlen. | |
Wie reagiere ich denn konkret, wenn das Kind im Billyregal hängt und ich | |
parallel eine Videokonferenz leite? | |
Ich muss erkennen: Was will mir das Kind mitteilen? Es will mich nicht | |
ärgern, aber offensichtlich hat es ein Bewegungsdefizit. Dann wäre eine | |
Sportstunde auf Youtube vielleicht hilfreich, da gibt es inzwischen ja | |
zahlreiche Angebote. | |
Die Kinder sind jetzt weniger im Sportverein, in der Schule, im Jugendclub | |
organisiert. Tendieren Eltern gerade dazu, die Kinder überzubehüten, und | |
empfinden auch deshalb mehr Stress? | |
Da ist die Bandbreite sicherlich sehr unterschiedlich in den Familien. Da | |
gibt es Familien, die dazu neigen, die Kinder jetzt sehr zu monitoren – und | |
sich dadurch unter Druck setzen. Sie wollen diese beiden Rollen, Lehrerin | |
und Mutter oder Vater sein, sehr stark ausfüllen. Da fehlen aber dem Kind | |
auf Dauer Freiräume. Gleichzeitig ist es auch für das Kind eine | |
Herausforderung: Zu Hause mit der Familie sein heißt nicht mehr | |
automatisch, quality time oder Freizeit zu haben. | |
Da verwischen auch für die Kinder die Grenzen. | |
Ja, und da sollte man nach Möglichkeit versuchen, Markierungen zu setzen. | |
Zum Beispiel in dem man das Homeschooling mit einem Stundenplan und fixen | |
Pausenzeiten strukturiert. Oder man macht sich ein Türstopperschild an die | |
Tür, das signalisiert: Jetzt habe ich gerade eine Videokonferenz, wenn das | |
Schild da ist, dann arbeite ich. Oder bei kleineren Kindern kann man eine | |
Eieruhr einstellen – ich telefoniere jetzt 15 Minuten mit dem Chef, wenn | |
der Wecker klingelt, kannst du wieder reinkommen. | |
Oder doch mal einfach Kika anmachen? | |
Solange ich kontrollieren kann, ob der Inhalt okay ist, ja. Ich wäre mit | |
der [2][Mediennutzung flexibel]. | |
Verschärft Corona das Phänomen, dass einige Milieus die Kinder eher | |
überbehüten und in anderen Familien geht es, mehr als vor dem Lockdown, um | |
die Gefahr der emotionalen Vernachlässigung – was beides Stress bedeutet? | |
Sicher. Wenn vorher schon Stressfaktoren da waren, etwa weil die Eltern | |
eine psychische Erkrankung haben, weil die finanzielle Situation schwierig | |
ist oder weil die Wohnsituation beengt ist – da ist jetzt noch mehr die | |
Gefahr da, dass Situationen eskalieren. Die Faktoren, die vor Corona | |
Stabilität und Freiräume reinbringen in jeden Familienalltag, der | |
Jugendclub zum Beispiel oder der Sportverein, die fallen jetzt weg. Solche | |
Faktoren halten Familiensysteme aber in der Balance. | |
5 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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